Kapitel 1-1

797 Worte
1 Carly Tate summte zur Musik aus dem Radio und kam vor dem vorderen Eingang des Yachats State Parks zum Stehen. Heute war es soweit! Sie übernahm die Kontrolle über ihr Leben. In Wahrheit war heute der dritte Tag von „Heute war es soweit“. Sie wollte mit dem Training beginnen, ein paar Kilo abnehmen, sich einen besseren Job suchen und vielleicht sogar darüber nachdenken, aus Yachats, Oregon, wegzuziehen. Verdammt, sie könnte sich sogar vorstellen, nach Portland oder Seattle zu ziehen. „Einen kleinen Schritt nach dem anderen“, sagte sie laut und wiederholte ihr neues Mantra. Sie musste sich nur darauf konzentrieren, dran zu bleiben, was sie nicht besonders gut konnte. Glücklicherweise liebte ihre Mitbewohnerin und langjährige beste Freundin sie genau so, wie sie war – meistens zumindest. Die arme Jenny hatte die besten Schultern zum Ausweinen und flippte nur ein bisschen aus, wenn Carly völlig am Durchdrehen war, nachdem sie sich mal wieder mit der falschen Sorte Mann verabredet hatte – wie Ross Galloway. „Wie viele?“, fragte der Ranger in leicht gelangweiltem Tonfall. „Nur ich“, antwortete Carly und überreichte ihm ihren State Park-Ausweis. „Seien Sie vorsichtig auf den Wegen; es sieht aus, als würde ein Sturm aufziehen. Der Park schließt bei Sonnenuntergang. Bitte parken Sie nur in den ausgewiesenen Bereichen und füttern Sie keine Wildtiere“, informierte sie der Ranger und gab ihr ihren Ausweis zusammen mit einer Karte und dem Parkticket für ihr Auto zurück. „Danke“, erwiderte Carly. Sie kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich das Beste wäre, dem Ranger nicht mitzuteilen, dass sie die letzten drei Tage schon dasselbe Gespräch geführt hatten. Dies war ihr viertes Mal in ebenso vielen Tagen. Mittlerweile hatte sie einen schönen Stapel Karten auf ihrem Beifahrersitz herumliegen. Sie beschleunigte und folgte der kurvenreichen Straße. Die gleichen alten Gefühle begannen sie zu ersticken, je weiter sie fuhr. Sie drehte die Musik auf, genauso wie sie es die letzten drei Tage getan hatte, in der Hoffnung, dass dadurch ihr Adrenalin und nicht ihre Fantasie angeregt werden würde. Hohe Mammutbäume und andere Immergrüne säumten die schmale, kurvenreiche Straße. Auf den Felsen wuchs grünes Moos, das sie rutschig machte, und üppige Farne ragten bis über ihre Hüfte empor. Carly wusste genau, wie glitschig das Moos und wie hoch die Farne waren, denn gestern, als sie oben angekommen war, war sie für eine Rocky Pose wie im Film auf einen Felsen gestiegen und prompt – äußerst ungeschickt – mitten in ein paar Farnen auf dem Hintern gelandet. Carly war keine anmutige Athletin. Tatsächlich reichte schon die Verwendung des Wortes Sport und ihres Namens im selben Satz aus, um sich für den Preis als beste Komikerin bei einem Comedy-Wettbewerb zu qualifizieren. Am Tag zuvor hatte sie beschlossen, dass die Chancen, dass sie als Komikerin zum Megastar wurde, besser standen, als endlich etwas Gewicht zu verlieren und die gesamte Strecke zu wandern, ohne dabei umzukippen. Dennoch hatte sie Jenny – ihrer unglaublich sportlichen besten Freundin – geschworen, dass sie es tun würde, selbst wenn es sie umbringen würde. „Leider könnte das durchaus passieren“, murmelte Carly, als sie sich auf den Fahrersitz ihres dunkelroten Ford Focus setzte und die Prellungen und ihre protestierenden Muskeln von ihrem Sturz am Vortag spürte. Immer noch vor sich hinmurmelnd fuhr sie auf den Parkplatz in der Nähe des Eingangs zu einem Wanderweg und schaltete die Zündung aus. Diesen Wanderweg hatte sie noch nicht ausprobiert. Sie schnappte sich eine der Karten vom Stapel und studierte sie. Sie rümpfte die Nase und stieß ein leises Stöhnen aus. „Sechs Kilometer“, schnaubte sie und lehnte ihre Stirn gegen das Lenkrad. „Du schaffst das, Carly. Es sind nur sechs Kilometer. Das wird wie ein Spaziergang im Park.“ Bei diesen Worten entwich ihr ein Schnauben. „Okay, du schaffst das und zur Belohnung kannst du dir auf dem Heimweg ein kleines Eis im Dairy Queen gönnen. Na, wie klingt das?“ Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück, schnappte sich ihren Rucksack, der auf dem Boden lag, und schob die Karte hinein. Dann öffnete sie die Tür und stieg mit einem weiteren lauten Stöhnen aus, bevor sie sich umsah, um sicherzustellen, dass niemand sie sehen oder hören konnte. Sie drehte sich um, knallte die Tür zu und steckte ihre Autoschlüssel ein. „Eis. Denk an das Eis“, murmelte sie leise, als sie ihre schmerzenden Muskeln in Bewegung setzte. Sie betrat den Wanderweg und warf sich den Jeans- und Lederrucksack über die Schulter. Die Riemen fest umklammert ging sie den unebenen Weg entlang. „Eis ...“ murmelte sie bei jedem der ersten zweihunderteinundsiebzig Schritte, bevor sie begann, sich auf andere wichtigere Dinge zu konzentrieren – wie hungrige Bären, Berglöwen und Bigfoot.
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