Kapitel 2-1

665 Worte
2 Vereinigte Staaten, heute Sara »Bist du sicher, dass du nicht etwas mit mir und den Mädchen trinken gehen möchtest?«, fragt Marsha und kommt zu meinem Spind. Sie hat bereits ihren Schwesternkittel aus- und ein sexy Kleid angezogen. Mit ihrem leuchtend roten Lippenstift und ihren blonden Locken sieht sie wie eine ältere Version von Marilyn Monroe aus und liebt es auch genau wie sie, Party zu machen. »Nein, danke. Ich kann nicht.« Ich versüße meine Abfuhr mit einem Lächeln. »Es war ein langer Tag, und ich bin müde.« Sie rollt mit den Augen. »Natürlich bist du das. Du bist in letzter Zeit dauernd müde.« »Arbeit bringt das mit sich.« »Ja, wenn man neunzig Stunden in der Woche arbeitet. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, würde ich sagen, dass du dich zu Tode arbeitest. Du bist kein Assistenzarzt mehr. Du musst diesen Scheiß nicht mehr machen.« Ich seufze und ergreife meine Tasche. »Jemand muss Rufbereitschaft haben.« »Ja, aber das musst nicht immer du sein. Es ist Freitagnacht, und du hast die ganzen letzten Monate am Wochenende gearbeitet, von den Nachtschichten mal ganz abgesehen. Ich weiß, dass du der Neuzugang in eurer Praxis bist, aber ...« »Mir machen die Nachtschichten nichts aus«, unterbreche ich sie und gehe zum Spiegel. Die Wimperntusche, die ich heute Morgen aufgetragen habe, ist unter meinen Augen verwischt, und ich benutze ein feuchtes Papiertuch, um sie wegzubekommen. Das verbessert meine hagere Erscheinung nicht wirklich, aber ich nehme an, dass das sowieso egal ist, da ich auf direktem Weg nach Hause gehen werde. »Genau, weil du nicht schläfst«, sagt Marsha und stellt sich hinter mich. Ich bereite mich darauf vor, ihr beliebtestes Thema über mich ergehen zu lassen. Auch wenn sie gute fünfzehn Jahre älter ist als ich, ist Marsha im Krankenhaus meine beste Freundin und hat ihre Bedenken in letzter Zeit immer deutlicher ausgesprochen. »Marsha, bitte. Ich bin einfach zu müde dafür«, sage ich und binde meine widerspenstigen Wellen zu einem Pferdeschwanz. Ich brauche keine Vorhaltung, um zu wissen, dass ich mich gerade verausgabe. Meine braunen Augen sehen im Spiegel rot und trüb aus, und ich fühle mich wie sechzig und nicht wie achtundzwanzig. »Ja, weil du überarbeitet bist und unter Schlafmangel leidest.« Sie verschränkt ihre Arme vor der Brust. »Ich weiß, dass du nach George Ablenkung brauchst, aber ...« »Aber nichts.« Ich wirbele herum und starre sie wütend an. »Ich will nicht über George reden.« ...»Sara ...« Sie legt die Stirn in Falten. »Du musst damit aufhören, dich selbst dafür zu bestrafen. Das war nicht dein Fehler. Er wollte ans Steuer, es war seine Entscheidung.« Mein Hals wird eng, und meine Augen brennen. Zu meinem Entsetzen bin ich kurz davor zu weinen, und ich drehe mich weg, um mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Aber ich kann mich nirgendwohin drehen, da vor mir der Spiegel ist und alles reflektiert, was ich gerade fühle. »Es tut mir leid, Süße. Ich bin ein unsensibles Arschloch. Das hätte ich nicht sagen sollen.« Marsha sieht wirklich so aus, als würde sie es bereuen, als sie sich ausstreckt, um meinen Arm leicht zu drücken. Ich atme tief durch und drehe mich herum, um sie wieder anzuschauen. Ich bin müde, was nicht gerade dabei hilft, die Gefühle zu kontrollieren, die mich überkommen. »Das ist schon in Ordnung.« Ich zwinge mich dazu, zu lächeln. »Kein Problem. Du solltest dich langsam auf den Weg machen, die Mädchen warten wahrscheinlich schon auf dich.« Und ich muss nach Hause, bevor ich zusammenbreche und in aller Öffentlichkeit weine, was mehr als demütigend wäre. »In Ordnung, Süße.« Marsha lächelt zurück, aber ich sehe das Mitleid in ihren Augen. »Aber sieh zu, dass du dieses Wochenende ein wenig Schlaf bekommst, okay? Versprich es mir.« »Ja, Mama.« Sie rollt mit den Augen. »Gut, dass du mich verstanden hast. Wir sehen uns am Montag.« Sie verlässt den Umkleideraum, und ich warte eine Minute, bevor ich ihr folge, um im Fahrstuhl nicht auf die Gruppe ihrer Freundinnen zu stoßen. Noch mehr Mitleid halte ich nicht aus.
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