„Oma, steh auf, wir müssen gehen. Sie gehen von Tür zu Tür“, flüstere ich, streife mir meine löchrigen Stiefel über die Füße und binde sie schnell zu. Ich binde mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit sie mir nicht ins Gesicht fallen. Ich setze meine Kontaktlinsen ein und höre weitere Schreie von draußen und Menschen, die sich streiten.
„Komm schon, Oma, steh auf“, sage ich und ziehe sie am Arm. Sie schüttelt den Kopf, bevor sie ein kleines Messer aus der Schublade des Couchtischs in ihren Schoß zieht. Sie schaut mich mit einem traurigen Gesichtsausdruck an.
„Lauf, Elora. Ich werde nicht zulassen, dass sie es erfahren. Ich werde dich nur aufhalten. Du musst ohne mich gehen“, flüstert sie. Ich schaute sie panisch an. Wovon redet sie?
„Nein, Oma, komm schon. Wir müssen jetzt gehen“, sage ich und versuche, sie auf die Beine zu bringen. Sie schüttelt mich ab und schüttelt den Kopf.
„Ich habe versprochen, auf dich aufzupassen. Das kann ich nicht, wenn du jetzt nicht gehst.“
„Wovon redest du, Oma? Wem hast du was versprochen?“
„Erinnere dich an die Geschichten, Elora. Du musst dich an die Geschichten erinnern. Jetzt lauf.“
„Nein, ich gehe nicht ohne dich“, sage ich und spüre, wie mir die Tränen über das Gesicht laufen. Bevor jemand so heftig gegen die Tür schlägt, dass ich dachte, sie würde aus den Angeln springen,
„Bitte, Oma, wir müssen gehen.“
„Ich liebe dich, Elora“, flüstert meine Oma, bevor sie das Messer hebt und sich die Kehle aufschlitzt. Ich schreie und greife nach ihrem Hals, um die Blutung zu stoppen.
„Lauf“, gurgelt sie. Gerade als sie die Tür eintraten, waren meine Hände mit ihrem Blut bedeckt. Das Adrenalin schoss in meine Adern und ich rannte durch die Hintertür aus der Stadt. Ich begann über Zäune zu springen und durch Gassen zu rennen. Mein Körper schrie mich an, als ich mich über einen weiteren Zaun warf, um in einer anderen Gasse zu landen.
Ich kann das panische Kreischen der Menschen in den Nachbarstraßen hören. Ich laufe hinter einen Müllcontainer, gehe schnell in die Hocke und lausche aufmerksam. Ich höre ein leises Schluchzen, nur um festzustellen, dass es von mir kommt, während mir heiße Tränen über die Wangen laufen, weil meine Großmutter gerade das getan hat. Die Bilder haben sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt.
Ich drücke meine Hand auf den Mund und versuche, die Geräusche zu unterdrücken, die ich mache, während mein Atem unregelmäßig ist. Mein Herz schlägt so stark, dass ich es hören kann. Ich schaue über den Müllcontainer und ducke mich wieder hinter dem Müllcontainer, als ich einen Mann rufen höre, der in meine Richtung zeigt.
„Du da! Stehen bleiben!“ Ich höre nicht hin, sondern renne los. Ich renne bis zum Ende der Gasse, wo sie durch ein Gebäude und eine Ziegelmauer versperrt ist, sodass sie in einer Sackgasse endet. Ich sehe einen Müllcontainer und klettere darauf, um die Feuerleiter zu erreichen. Ich greife mit den Fingerspitzen nach dem unteren Lauf und ziehe sie zu mir heran. Ich höre jemanden hinter dem Müllcontainer weinen und schaue nach unten, wo ich ein kleines Mädchen in Lumpen sehe. Ich ziehe die Leiter herunter und strecke meine Hand nach ihr aus.
„Wo ist deine Mutter?“, frage ich und blicke auf ihr tränenüberströtes Gesicht hinunter.
„Sie haben sie mitgenommen“, schluchzt sie.
Ohne zu zögern, ziehe ich sie hoch, damit sie klettern kann, und gemeinsam rennen wir auf das Dach zu. Aber nicht schnell genug für den Vampir, der uns verfolgt. Eine starke Hand greift nach meinem Knöchel und reißt mich wieder zu Boden. Ich falle schmerzhaft auf einen Mann, mein Kopf schlägt mit einem lauten Knall auf den Boden, als ich mir auf die Zunge beiße. Ein anderer Mann holt das Mädchen zurück, und ich höre sie schreien, bevor ein lautes SCHLAGEN ertönt, als er ihr ins Gesicht schlägt.
Ihr schmutziges, verfilztes blondes Haar ist alles, was ich sehe, als ihr Kopf zur Seite schleudert, Blut von ihrer Lippe tropft und das Geräusch von Fleisch auf Fleisch durch die Gasse hallt.
„Lass sie los, sie ist doch noch ein Kind!“, schreie ich. Das kleine Mädchen, das vielleicht neun Jahre alt ist, entkommt dem Mann und rennt hinter mich, versteckt sich an meinem Rücken. Ich halte sie dort und schütze sie vor ihren feindseligen Blicken, während weitere Männer die Gasse entlangkommen. Ein großer Mann mit schwarzem Panzer läuft über sein Haar bis zu den Schultern und einer riesigen Narbe im Gesicht, seine blutroten Augen spiegeln sich seltsam, als er uns anstarrt. Ein Vampir.
„Beeilung, bringt sie mit den anderen zum Schloss“, schreit er den anderen Männern zu. Der Mann, der mich gefangen hat, packt mich an den Haaren, sodass die Wurzeln schmerzhaft aus meinem Schädel reißen, als mein Kopf nach hinten gerissen wird.
„Bewegung“, schreit er mir ins Gesicht. Ich gehorche und folge dem Vampir in schwarzer Rüstung. Das kleine Mädchen klammert sich an meinem Hemd fest. Ich spüre, wie ihre Hände zittern, als ich bemerke, dass sie keine Schuhe anhat.
Ich bücke mich, greife sie unter den Armen und hebe sie hoch. Ihre Füße sind eiskalt, als sie ihre Beine um meine Taille schlingt. Ich versuche, ihre eiskalten Körper mit meiner Körperwärme zu wärmen. Als wir die Hauptstraße erreichen, sehe ich eine riesige Schlange von Frauen, die zum Schloss getrieben werden. Sie schieben uns in die Schlange hinter weiteren Frauen, die alle schluchzen, weil sie mitten in der Nacht aus ihren Betten gerissen und von ihren Familien getrennt wurden. Ich denke an meine Großmutter und daran, wie sie sich vor meinen Augen das Leben genommen hat. Ich versuche verzweifelt, einen Sinn darin zu finden, warum sie das getan hat. Ich schlucke. Es scheint jetzt sinnlos, da ich gefasst wurde und bald zusammen mit ihr tot sein werde. Was würde sie sagen, wenn sie es wüsste?
Ich kann mir mein Leben ohne sie nicht vorstellen; sie war immer an meiner Seite. Ich kann nicht anders, als die Trauer der Frauen um mich herum zu teilen, während ich spüre, wie meine Tränen über meine Wangen laufen. Wir stehen alle stundenlang in der Kälte, bis mein ganzer Körper taub wird. Als wir endlich durch die hohen Burgtore gehen, finde ich die Gruppe von Frauen in Reihen aufgeteilt vor. Ein Mann, den ich als Drachen erkenne, steht vorne und beobachtet, wie alle hereingezerrt und in einer Reihe aufgestellt werden. Ich bin in einer der mittleren Reihen.
Als ich sehe, wie seine Augen über die Menge huschen, senke ich schnell meinen Kopf und hoffe, dass er nicht bemerkt hat, dass ich ihn anstarre. Ein anderer Mann geht die erste Reihe entlang, schaut sich jede Person an und greift nach ihren Gesichtern, um in ihre Augen zu blicken. Dann entlässt er sie, und ein anderer Mann führt sie wieder aus den Eisentoren heraus, sobald sie überprüft und für unschuldig erklärt wurden.
Meine Füße sind taub, weil der Schnee in meine Schuhe einsinkt. Der Prozess dauert lange, da er schließlich alle Reihen vor unserer abfertigt. Ich setze das kleine Mädchen auf den Boden, schiebe sie hinter mich und versuche, sie vor ihren wachsamen Augen zu schützen. Ich achte darauf, meinen Kopf unten zu halten, um Augenkontakt zu vermeiden.
Der gesamte Burgplatz ist dunkel und unheimlich. Das einzige Licht, das zu sehen ist, kommt vom Mond und dem Schein der bösartigen Raubtieraugen, die uns umgeben. Ich unterdrücke den Drang zu zittern, als ich bemerke, wie viele dunkle Kreaturen uns beobachten, ihre Augen die Menge absuchen, auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer.
Das kleine Mädchen schluchzt. Der Mann, der uns hergebracht hat, schreit sie an, sie solle den Mund halten, was ihr Schluchzen nur noch verstärkt. Ich versuche, sie zu beruhigen, aber nichts, was ich tue, beruhigt sie. Der Vampir hat ihr Schluchzen satt und schleicht sich heran. Seine roten Augen glühen vor Wut, seine blasse Haut sieht im Mondlicht fast grau aus. Er packt sie am schmutzigen Kleid und zieht sie nach vorne, vor alle Anwesenden.
Ich sehe, wie er eine Peitsche hebt, um sie damit zu schlagen. Ich höre, wie die Peitsche durch die Luft zischt, bevor ich mich schreiend über sie werfe und spüre, wie die Peitsche in mein Rückenfell beißt. Mein Hemd reißt auf, bevor ich spüre, wie meine Haut weggerissen wird, und der Schnee unter meinen Füßen wird mit meinem Blut bespritzt. Ich lasse mich auf sie fallen, um sie zu schützen, als ich höre, wie der Mann mich wütend anschreit, mich zu bewegen.