Ich kann nicht glauben, was ich da höre.
Hat er mir gerade wirklich gesagt, dass er mich nach Hause fährt?
Wahrscheinlich liege ich eine gefühlte Ewigkeit verdutzt da, bis ich ein Schnaufen von dem Gemeinen-Grünäugigen-Lockenkopf höre.
"Entweder du bewegst dich jetzt oder du kannst die Nacht hier draußen verbringen. Ich sage es nicht nocheinmal."
Und mit diesen Worten höre ich, wie er langsam anfängt sich von mir zu entfernen. Sofort springe ich auf die Beine und folge ihm. Oder versuche es, da ich wegen der Erde und den Blättern schreiend ausrutsche. Doch anstatt Bekanntschaft mit dem Boden zu machen, mache ich sie wieder mit dieser Brust und diesem schönen Duft.
Er hat mich aufgefangen.
Seine Arme greifen unter meine, sodass ich an seine Brust gepresst bin und es scheint, als würde sein Körper brennen. Die Hitze verteilt sich, angefangen von meinen Händen, die seine trainierte Brust berühren, über jede Zelle meines Körpers.
Überfallen von der Wärme und dem verdoppelten Herzschlag, blicke ich erst stumm sein Brustkorb an, was verschnellert auf- und wieder absinkt. Als ich langsam aufblicke, bemerke ich, dass er mich anschaut.
Dank der Dunkelheit kann ich nicht wirklich sein Gesicht erkennen, doch wir verharren für ein paar Sekunden so, bis er mich grob loslässt, sodass ich fast schon wieder umgefallen wäre.
Und all die Wärme verschwindet mit einem Mal.
"Pass verdammt nochmal auf, wohin du trittst. Ich fange dich nicht nocheinmal auf, also gewöhn dich nicht dran", brummt er und dreht sich um, um seinen Weg fortzusetzen.
Stumm folge ich ihm und sage nichts, da einfach nur ein Lächeln mein Gesicht verziehrt.
Ich würde von mir aus zehntausendmal nochmal ausrutschen, nur damit er mich auffängt. Auch wenn er halt so gemein ist.
Warte, wovon rede ich da?!
Ich schiebe es auf den Schlafmangel und den Alkohol.
Eindeutig.
Wir gehen leise den Pfadweg weiter, den ich eben alleine hätte laufen müssen. Er läuft etwas weiter vorne und ich hinter ihm.
So nah wie möglich, da ich immernoch Angst habe.
Als wir um die Ecke biegen, sehe ich ein schwarzes Auto, dass am Waldrand geparkt hat. Es ist schwarz und ähnelt einem alten Jeep.
Ich öffne die Tür des Beifahrersitzes und mache mich in meinem Mantel ganz klein, da es im Auto kalt ist. Dem Fremden scheint die Kälte nichts auszumachen und er fährt einfach los. Es ist still im Auto. Keiner sagt etwas und er starrt stur nach vorne, während ich die Chance nutze und ich ihn beobachte.
Die Lichter der Straßen, lassen sein Gesicht immer wieder erhellen und ich bemerke, wie schön er ist. Sein Gesicht ist makellos, mit hohen Wangenknochen verziehrt und mit diesen wunderschönen Locken umrahmt, die ich gerne anfassen würde.
Das Einzige, was das Bild zerstört, ist sein konzentrierter Blick auf die Straße. Ich kann mir schon die Falte auf seiner Stirn denken.
"Hör verdammt nochmal auf mich anzustarren."
Sofort blicke ich nach vorne und bemerke, wie die Hitze in meine Wangen steigt. Er hat bemerkt, dass ich ihn beobachtet habe.
Damit er meine wahrscheinlich rosa Wangen nicht sieht und mir immernoch kalt ist, rutsche ich weiter in den Sitz, um mich hinter meinem Mantel zu verstecken. Ich bemerke, wie der Namenslose, so wie ich ihn jetzt getauft habe, mir einen kurzen Seitenblick zu wirft.
Er brummt etwas vor sich hin, bis er dann die Heizung des Wagens aufdreht. Ich muss leicht Lächeln.
"Wie alt bist du eigentlich?"
Ich unterbreche die Stille, doch er gibt keine Antwort und tut so, als hätte ich gar nichts gesagt. Ich sollte einfach aufhören eine Konversation mit ihm zu starten. Doch eins interessiert mich sehr.
"Warum nennst du mir nicht deinen Namen?"
Er blickt weiter stur gerade aus und ich sehe, dass er seine Lippen aufeinander presst. Ich seufze und lehne meinen Kopf, gegen das Fenster. Und langsam werde ich immer müder.
"Hey!"
Ich blinzele ein paar Mal, bis ich merke, dass der Wagen steht. Ich bemerke, dass wir vor unserem Haus stehen und krause meine Stirn.
Ich habe ihm doch gar keine Adresse genannt?
"Entweder du steigst jetzt sofort aus oder du landest unsanft auf dem Boden."
Sofort weite ich meine Augen und öffne meine Tür. War klar, dass er wieder so ein Kommentar ablassen muss.
Und ich traue ihm das zu.
Ich flüstere noch ein "Danke", doch natürlich überhört er es. Gerade als, ich die Tür schließen will, halte ich, dank ihm, inne.
"Verräts du deinen Namen, erwartest du Vertrauen, Mady."
Meinen Namen betont er und mit offenem Mund sehe ich ihn an. Ich bin geschockt, weil er überhaupt gesprochen hat und ich versuche zu verstehen, was er damit sagen will.
Ohne ein Wort zu sagen, schließe ich die Tür, da er schon den Motor an geschaltet hat und in Gedanken versunken, betrete ich unser Haus und laufe hoch in mein Zimmer.
Seine Wörter spielen sich wie eine kaputte Schallplatte immer wieder in meinem Hirn ab.
Was will er damit sagen? Dass er mir nicht vertraut? Und ich so naiv bin und ihm schon seit dem ersten Treffen meinen Namen gegeben und sofort vertraut habe?
Doch hat er nicht irgendwie Recht. Vertraue ich ihm nicht?
Doch tue ich.
Seufzend lasse ich mich rückwärts auf mein Bett fallen.
Das ist alles so frustrierend und ich weiß gar nicht, warum mich das so mitnimmt. Als ich in den Spiegel blicke, bemerke ich, die Röte auf meinen Wangen und meine Augen, die irgendwie lebendiger aussehen.
Und in dieser Nacht träume ich zum ersten Mal von den grünen Augen.
_
"Na, was ist denn los, mein Kind? Du bist ständig in Gedanken versunken."
Grandma nimmt ihre Brille von der Nase und sieht mich lächelnd und durchdringend an.
"Denkst du etwa an jemand bestimmtes?"
Ich weite meine Augen.
"Grandma! Wie kommst du wieder darauf?"
Wenn sie nur wüsste.
"Es ist Zeit, dass du jemanden kennenlernst, der dich glücklich macht. Du bist ein hübsches Mädchen und du solltest den Jungs, die Schlange stehen, ein Chance geben."
Sie zwinkert mir zu, während ich rot werde und meine Augen verdrehe.
"Ich finde, wir sollten für heute aufhören und einbisschen an den Hafen zum Spazieren gehen. Na, los!"
Und somit machen wir uns auf den Weg zum Hafen, was eine ganze Weile dauert, da Grandma wirklich jeden kennt und mit jedem fast ganze fünfzehn Minuten quatscht.
Als wir am Hafen ankommen, hören wir die Fischer schreien, die vor ihren Booten frischen Fisch verkaufen. Die Bänke sind voll mit Familien, die auf den Bänken oder in den gegenüberliegenden Cafe's die Aussicht und das Wetter genießen, da es heute für die Verhältnisse, etwas wärmer ist, als sonst. Zum Glück habe ich mich für eine Jeansjacke entschieden.
Ich genieße die Geräusche der Möwen und den Geruch des Meerensalzes. Das Meer glitzert heute dank den Sonnenstrahlen wunderschön und ich wünschte, ich könnte auch hinaussegeln.
"Komm, lass uns Fische für's Abendessen kaufen. Deine Mutter liebt es!"
Von mir aus.
Also folge ich meiner übertrieben gut gelaunten Grandma zu den Ständen der Fischer.
Sie kauft immer von demselben Fischer, William, ein, weswegen sie sich kennen und sofort in ein Gespräch vertieft sind. Er ist so alt, wie sie selbst und ich wundere mich immernoch, wie er in diesem Alter noch fischen kann.
Als ich sehe, wie meine Grandma übertriebenermaßen lacht, muss ich grinsen. Sie soll sich erstmal selbst einen Typen schnappen.
Und zwar den vor ihr.
Mein Blick gleitet zu dem Segelboot des Mannes, als ich eine mir bekannte Stimme höre.
Und dann sehe ich ihn.
Und mir steht der Mund auf.
Dort steht der Fremde und hilft die frischgefangen Fische in eine anderes Becken zu füllen. Sein Blick konzentriert und er wischt sich den Schweiß von der Stirn. Doch das ist nicht das, was mich fasziniert.
Sondern sein nackter, trainierter Oberkörper, der übersäht mit wunderschönen, allmöglichen Tattoos ist und dank dem Schweiß glitzert. Eigentlich sollte man das ja eklig finden, aber bei ihm stört es gar nicht.
Ganz im Gegenteil.
Er fährt sich durch die Haare und dank der Sonne, die hinter ihm, auf ihn herabstrahlt, sieht er aus wie ein Engel.
Ich schlucke hart und kann meine Augen kaum abwenden.
Woher sollte ich auch wissen, dass er als Fischer arbeitet?
Doch es steht ihm irgendwie.
Er hat mich noch nicht gesehen und macht mit seiner Arbeit weiter. Ich bemerke, wie manche Mädchen auf der gegenüberliegenden Bank sitzen und ihn anschmachten, doch er scheint davon nichts mitzubekommen.
William bekommt meine Aufmerksamkeit, als er ihn zu sich ruft.
"Kannst du bitte von den Neugefangenen die besten Fische herausholen? Die, die gesäubert sind?"
Er nickt nur und verschwindet wieder. Als er wiederkommt, stellt William ihn meiner Grandma.
"Das ist Lotta, unsere beste Kundin."
Grandma wird sofort rot, während er ihre Hand schüttelt und auch gentleman-like lächelt. Ich traue meinen Augen nicht.
Er lächelt.
Und es ist ein wunderschönes Lächeln.
"Hallo, du bist aber ein hübscher junger Mann. Bist du neu hier, ich habe dich noch nie gesehen?"
"Ja, seit ein paar Wochen."
Grandma nickt, bis ihr Blick dann zu mir gleitet und ich versuche mit meinem unauffälligem Kopfschütteln ihr ein Nein verstehen zu geben, doch natürlich ignoriert sie es.
"Das ist Mady, meine Enkelin."
Er nickt nur, blickt aber nicht einmal zu mir. War ja klar.
"Wie heißt du eigentlich, mein Junge?"
"Harvey, m'am."
Ich glaube, meine Kinnlade fällt zu Boden. Ihr sagt er seinen Namen?! Ich glaub's nicht!
Harvey..
Komischerweise werde ich wütend. Es regt mich auf, dass er mich absichtlich ignoriert, obwohl es mir ja eigentlich egal sein sollte, doch das ist es halt nicht.
"Ich setze mich solange auf die Bank, Grandma."
Und mit diesen Worten drehe ich mich um und lasse mich auf einer freien Bank nieder.
Ich sehe, wie er weiterhin mit meiner Grandma redet, während William, die Fische vorbereitet. War klar, dass er sich mit Grandma versteht. Sie schafft es irgendwie alle zum Reden zu bringen.
Er blickt nicht einmal zu mir und ich nehme tief Luft und schließe meine Augen.
Kann mir doch egal sein.
Ich höre einfach mit geschlossenen Augen dem Rauschen des Meeres zu und lege meinen Kopf in den Nacken.
"Ich gehe noch zum Obststand", höre ich meine Grandma sagen, da hinten wohl der Markt aufgestellt ist, doch ich antworte nicht, was ich auch nicht brauche. Sie wird so oder so hingehen.
Plötzlich stellt sich jemand vor mich, weswegen diese Person die Sonne verdeckt. ich öffne meine Augen und sehe Dewson vor mir.
"Na, genießt du das Wetter?"
Ich nicke nur und wünschte, er würde wieder gehen. Doch natürlich tut er das nicht und bleibt weiter vor mir stehen.
"Was machst du hier?", frage ich deswegen, weswegen er nur seine Schultern zuckt.
"Wollte ein bisschen nachschauen, ob alles im Rechten ist, doch dann sah ich die Diebin höchstpersönlich."
"Diebin?", schmunzelnd sehe ich ihn an, doch das fällt, als er auf seine linke Brust zeigt.
"Verschwinde, Dewson!"
"Ach komm, das war nur ein Spaß. Lass uns ins Cafe gehen. Ich lade dich ein."
"Ich weiß nicht.."
"Ich mache so ein Angebot nicht alle Tage."
Naja, ich habe sonst nichts zu tun, also kann ich ruhig etwas mit ihm Zeit verbringen.
Und gerade als ich aufstehen will und Dewson sich schon ein bisschen von mir entfernt hat, um vorzugehen, fange ich an zu schreien, genau wie Dewson, da er von einem Fisch getroffen wurde?!
Seit wann können Fische fliegen?!
Ich blicke in die Richtung, aus der, der Fisch geflogen kam und sehe den Engel auf dem Segelboot zu uns blicken.
Beziehungsweise zu mir.
"War ein Fehlfang. Er sollte eigentlich ins Meer."
Doch es kommt nicht, wie eine Entschuldigung rüber und ich bin mir sicher, dass es auch keine ist.