Kapitel 1-1

1239 Worte
KAPITEL 1 Mehrere Jahrhunderte zuvor: „Bleibt bei eurer Mutter“, befahl Creja, der sich zu seiner Gefährtin umdrehte. „Lass sie auf keinen Fall raus.“ „Das werde ich nicht“, erwiderte Lyla mit leiser, besorgter Stimme. „Versprichst du mir, dass du vorsichtig bist?“ Crejas Blick wurde weich, und er streckte seine Finger aus, um mit dem Handrücken über die zarte Wange seiner Gefährtin zu streichen. Seine finstere Miene zeugte von der gefährlichen und schwierigen Aufgabe, die vor ihm lag. Er zuckte zusammen, als er erneut den Klang der Hörner hörte. Sein Blick wanderte zu seinen beiden kleinen Söhnen. Staunend und aufgeregt sahen sie zu, wie sich der Symbiont ihres Vaters aufzulösen begann und einen schützenden Panzer um ihn herum bildete. „Was ist los, Vater?“, fragte Cree neugierig. „Wird das Dorf angegriffen?“ „Wir können helfen“, sagte Calo und grinste. „Cree und ich sind sehr schnell.“ „Nein“, erwiderte Creja scharf, als er die Tür zu ihrem kleinen Haus öffnete. „Bleibt bei eurer Mutter. Passt gut auf sie auf.“ Calo nickte enttäuscht, während Cree mit dem Messer an seiner Hüfte spielte. Ihr Vater hatte jedem von ihnen zu ihrem zwölften Geburtstag im letzten Monat ein fein geschliffenes Messer mit einer speziell geschmiedeten Klinge und einem kunstvoll geschnitzten Knochengriff geschenkt, um den sich jeweils ein Drache rankte. Calo und er hatten mit ihrem Vater geübt, wie man es benutzte. Sie würden ihre Mutter mit ihrem Leben beschützen. „Das werden wir“, versprach Calo mit einem kurzen Blick auf seinen Zwillingsbruder. „Wir werden nicht zulassen, dass ihr etwas zustößt.“ „Creja“, begann Lyla zu sagen, bevor sie die Hand hob und ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen hauchte. „Komm wieder zurück zu mir.“ „Das werde ich“, versicherte Creja ihr, als er aus der Hütte trat. „Achte darauf, dass die Jungs drinnen bleiben. Ich will nicht, dass sie das sehen.“ „Das werde ich“, flüsterte Lyla und sah schweren Herzens zu, wie ihr Gefährte seine Drachengestalt annahm. „Mutter“, rief Cree mit zarter Stimme. „Was ist los? Warum blasen die Hörner? Wird das Dorf angegriffen?“ Lyla drehte sich um und sah ihren Sohn an, der eine Minute älter war als sein Zwillingsbruder. „Ja, wir werden angegriffen. Dein Vater und die anderen Männer werden sich um … die Situation kümmern. Kommt, lasst uns wieder hineingehen“, sagte sie. „Wer greift uns an?“, fragte Calo und schaute aus dem Fenster. „Und warum?“ „Geh vom Fenster weg, Calo“, wies Lyla ihn an. „Kommt, helft mir, die Küche zu putzen.“ „Das ist Frauenarbeit“, stöhnte Calo. „Wir sollten Vater und den anderen helfen, das Dorf zu verteidigen.“ Lyla drehte sich um und blickte ihren jüngsten Sohn streng an. Sie stemmte die Hände in die Hüften und starrte ihn an, bis er von einem Fuß auf den anderen trat. Missbilligend presste sie die Lippen aufeinander. „Tut mir leid, Mutter“, murmelte Calo und senkte den Kopf. „Ich habe es nicht so gemeint.“ „Putzen und Kochen sind ebenso wichtige Fähigkeiten wie das Kämpfen“, mahnte Lyla mit freundlicher, aber strenger Stimme. „Wenn die Göttin es gut mit euch meint, werdet ihr in eurem Leben mehr Hausarbeit erledigen als zu kämpfen. Dein Vater wäre enttäuscht, wenn er dich so etwas sagen hören würde.“ „Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut“, protestierte Calo und warf Cree einen hilfesuchenden Blick zu. „Wir werden aufräumen“, bot Cree an. „Komm schon, Calo.“ Calo öffnete den Mund, um sich zu beschweren, nickte aber, als er den berechnenden Blick seines Bruders bemerkte. Er blickte seine Mutter an und schenkte ihr ein schiefes Grinsen. Dieses Grinsen brachte sie immer zum Lächeln. „Na gut“, antwortete Lyla und sah die beiden Jungen mit einem leicht misstrauischen Blick an. „Ich habe etwas zu flicken. Ihr passt nicht sonderlich gut auf eure Kleidung auf.“ „Wir kümmern uns um die Küche“, versprach Calo. „Na gut, wenn du meinst“, erwiderte Lyla. „Danke.“ Cree und Calo sahen zu, wie ihre Mutter das Zimmer verließ und die polierte Holztreppe hinaufging, die nach oben in den zweiten Stock führte. Cree fasste Calo am Arm und zog ihn in die Küche. Als er sicher war, dass sie allein waren, wandte er sich an seinen Zwillingsbruder. „Wir müssen uns beeilen“, murmelte er. „Warum? Und warum hast du gesagt, wir würden putzen? Du weißt doch, dass ich Putzen hasse“, brummte Calo und trat gegen einen der Stühle. „Was glaubst du, was hier los ist? Warum sollte jemand unser Dorf angreifen?“ „Ich habe ihr gesagt, dass wir die Küche putzen, damit du von Vater keinen Ärger bekommst“, sagte Cree, während er die leeren Teller vom Tisch abräumte. „Ich habe es nicht so gemeint“, brummte Calo abwehrend. Die nächste Stunde arbeiteten sie schweigend und putzten die Küche, bis sie glänzte. Immer wieder wanderten ihre Augen zum Fenster, wo große, dunkle Rauchschwaden über den Bäumen und dem Nebel aufstiegen. Obwohl das Dorf mehrere Kilometer von ihrer Hütte entfernt war, klapperten die Teller von den Explosionen, die den Boden erschütterten. Die Hörner, die vorhin Alarm geschlagen hatten, waren mittlerweile verstummt. Das Gebrüll der kämpfenden Drachen war jedoch sogar durch die geschlossenen Fenster zu hören. Calo hatte begonnen, ein kriegerisches Kampflied zu singen, um seine Nervosität zu überspielen. Er verstummte, als eine besonders laute Explosion den Boden erschütterte. Diese war stärker als alle anderen. Seine Augen weiteten sich für einen Moment, bevor er zum Fenster eilte. „Was war das?“, fragte er und blickte über seine Schulter zu Cree. „Ich weiß es nicht“, antwortete sein Bruder und schob Calo zur Seite, damit auch er hinausschauen konnte. Beide drehten sich um, als sie hinter sich ein leises Geräusch hörten. Ihre Mutter stand in der Tür, ihr Gesicht war angespannt und blass. Ihre Hand zitterte, als sie eine schwarze Haarsträhne hinter ihr Ohr schob. In ihrer anderen Hand hielt sie eines von Calos Hemden. „Ihr beide müsst hierbleiben“, flüsterte sie. „Mutter, was ist los?“, fragte Calo zögernd. „Euer Vater … Ich muss zu eurem Vater“, antwortete Lyla benommen. „Vater“, begann Cree zu sagen, doch ihre Mutter hatte sich bereits wieder zur Haustür umgedreht. „Mutter …“ „Passt gut aufeinander auf“, flüsterte ihre Mutter, bevor sie die Tür öffnete und sich in eine zarte, lavendelfarbene Drachin verwandelte. „Cree“, knurrte Calo frustriert. „Glaubst du, Vater ist etwas zugestoßen?“ Cree sah seinen Zwillingsbruder mit dunkelgoldenen Augen voller Sorge an. In Calos Blick schimmerte die gleiche Emotion. Ihre beiden Symbionten, die noch nicht ausgewachsen waren, traten neben sie. Mit einem stummen Nicken drehten sich die beiden um und eilten zur Tür hinaus. Innerhalb von Sekunden hoben identische topasfarbene und schwarze Drachen in goldenen Rüstungen vom Boden ab. Die Drachen bewegten sich wie eine Einheit, als sie durch den dichten, nebelverhangenen Wald am Fuße des Großen Nördlichen Gebirges auf die Geräusche der Schlacht zuhielten.
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