Zweites Kapitel.Unfall, Unfall, du wildes Thier!
Wie thust du dich wider mich sperren.
Wenn wir den Gang der Menschheit bis zu den Spuren ihrer Kindheit mit aufmerksamen Blicken verfolgen, so finden wir, daß ein Wechsel von Bildern, erst wie die Natur ihn in den Jahrszeiten, in ihren ungewöhnlichern, stürmischen Erscheinungen bietet, dann wie die entkeimende und fortschreitende Kunst, der Natur ihre Geheimnisse ablauschend, ihn in einem engern, aber durch die Phantasie mannichfaltiger ausgestatteten Kreise gestaltet, immer dem menschlichen Gemüthe zur Erhebung diente und ihm nach und nach zum Bedürfniß wurde. Die Nachahmungssucht ward die Mutter der ersten dramatischen Versuche und seitdem der Karren des Thespis den ersten Anstoß erhielt, rollt er unaufhaltsam durch alle Jahrhunderte fort. Seine Hülle hat unzähliche Verwandlungen erfahren, sein Wesen erscheint uns in einer Verfeinerung, die das Werk der fortschreitenden allgemeinen Cultur ist; allein seine Bedeutung erhält sich noch in ihrem ersten Ursprunge, sie übt die alte Macht auf das menschliche Herz: es zu erfreuen, zu rühren und zu erheben. Wir lassen es dahingestellt, ob die Geschmacksrichtung unserer Zeit in Sachen der Kunst die beste sey; sind jedoch überzeugt, daß so unvollkommen nach unseren Begriffen die dramatische Kunst in jenen Tagen, welche unsere Erzählung schildert, geübt wurde, sie nichtsdestoweniger die Macht ihrer Eindrücke vielleicht wirksamer behauptete, als jetzt, wo die Erfahrungen von Jahrtausenden das sinnliche Gefühl der Menschheit abgestumpft haben, wo der Geist den Reichthum einer geschichtlichen Vergangenheit überblickt, die der Phantasie wenig Neues mehr zu schaffen übrig läßt.
Jene Zeit besaß eine ebenso große Anzahl von Leuten, die es sich zum Berufe gemacht hatten, den Ernst des Lebens auf die genannte Weise zu erheitern, wie die jetzige. Freilich trat hier Alles in derbern Erscheinungen hervor, das Phantastische wurde zum Grotesken, der Scherz zur Posse, das Seltsame zum Abentheuerlichen. Die Märchen vom König Artus Hofe, vom Zaubrer Merlin, von Riesen und Zwergen, von Drachen und andern Ungeheuern, die damals unter dem Volke lebten, gaben den Maßstab zu den theatralischen Darstellungen, die von einer schwachen Nachbildung der Turniergepränge prunkvoller gemacht werden sollten, deren Dialoge hauptsächlich dem sogenannten Sprecher und dem ergötzlichen Pickelhäringe zufielen, während die übrigen Mitspielenden sich auf Action und andre körperliche Leistungen, in equilibristischen Kunststücken und seltsamen Kraftäußerungen bestehend, zu beschränken hatten. Auch die Tonkunst verlieh damals schon solchen Darstellungen einen erhöheten Reiz; Zitterspieler und Sängerinnen traten auf, trugen die beliebtesten Volkslieder, wo sie dem Anordner der theatralischen Spiele passend schienen, vor und genossen der besondern Vergünstigung, auch allein die Häuser der Vornehmen und Reichen besuchen zu dürfen, um sich hier hören zu lassen und einen ungewöhnlichen Tribut für ihre Leistungen zu erheben. Alle diese Leute, zu denen man auch Wahrsager und Wunderdoctoren rechnete, waren unter dem Namen des »fahrenden Volks« oder »fahrender Leute« bekannt. Sie hatten keine Heimath, sie zogen von Ort zu Ort, sie lebten unter einander nach ihren eigenen Gesetzen und bildeten so einen wandernden Staat, dessen Grenzen nicht zu bestimmen waren. Der Ritter und Bürger, der sich ihrer Spiele erfreute, verachtete sie zugleich unsäglich; der Geistliche, der ihren Darstellungen eben so gern beiwohnte, versagte ihnen ein ehrliches Begräbniß. Nur die öffentlichen Herbergen gestatteten ihnen ein Nachtlager und wenn die um Weniges höher gehaltenen Zitterspieler und Sängerinnen einmal Aufnahme in einem Rittersitze oder einem Bürgerhause fanden, so geschah das aus Rücksichten, die ihrem Stande fremd waren und die meist durch die höhere Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit der Gäste bestimmt wurden.
Wenn wir uns hier eine Abschweifung von dem Gange unsrer Erzählung erlaubten, so geschah dieses, um den Leser mit der Bedeutung und Eigenthümlichkeit einer Classe von Menschen bekannt zu machen, in deren Gesellschaft wir ihn einzuführen im Begriff stehn. Jede Zeit gibt sich nur in ihren Erscheinungen und wir müssen diese mit scharfem Blicke auffassen, um in ihrem Innern das uns Befreundete, die Wahrheit, die stets eine und dieselbe bleibt, zu entdecken.
Es war am Abende eines heitern Tages, als eine Bande solcher fahrender Leute in einem Waldgrunde, nur wenige Stunden von der freien Reichs- und Handelsstadt Frankfurt, welche das vorläufige Ziel ihrer Reise war, lagerte. Die Vertiefung, die sie zu ihrem Ruheplatze gewählt hatte, gehörte zu dem uralten Kaiserforste, der, die spitzzulaufende Erdzunge zwischen Main und Rhein einnehmend, freilich zu dieser Zeit durch das immer weiter um sich greifende Culturleben, schon sehr gelichtet war, aber doch noch abgeschlossenes Dickigt genug besaß, in dem Eber und Wolf eine Zufluchtsstätte vor den Verfolgungen der Jäger fanden. Den kleinen Thalkessel umgab von der einen Seite ein Birkengehölz, das ihn von der offenen, großen Heerstraße trennte, von der andern ein Steinbruch, dessen Halbrund sich mit beiden Enden an jenes Gehölz anschloß. Von dem Steinbruch, den die Bewohner der nahen Orte zu ihren Gebäuden benutzten, führte ein schmaler Fahrweg durch den Grund nach dem Birkengehölz und, dieses durchschneidend, nach der großen Straße. Neben ihm rieselte ein kleines Bächlein herab und wässerte den Wiesenboden des einsam gelegenen Raums.
Um ein Feuer in der Mitte des Platzes hatte sich in verschiedenen Gruppen der größte Theil der Gesellschaft niedergelassen. Ein großer Kessel, der über dem Feuer schwebte, enthielt die Bestandtheile einer Mahlzeit, zu der jedes Mitglied der achtbaren Truppe aus seinem Reisesacke sein Schärflein beigetragen. Der eine brachte ein ungerupftes Huhn, der andre einen Hasen mit Haar und Balg, der dritte eine wohlbefiederte Gans, der man die Eil ansah, mit welcher ihr der Hals umgedreht worden, ein vierter ein Spanferkel, das noch das mörderische Messer in der Brust trug, zum Vorschein. Alles war von geschäftigen Männer- und Frauenhänden rasch zum Kochen bereitet worden und in der Tiefe des mächtigen Kessels verschwunden. Man mochte wohl größtentheils auf die nämliche Weise zu diesen Leckerbissen gekommen seyn, wie zu den Rüben und Bohnen, die sich beim Vorübergehen an den Äckern des letzten Dorfes, unvermerkt in die Taschen der fahrenden Herrn und Damen verloren hatten. Die Reden des Pickelhärings, der in der Tracht seines Berufs und diesen im gewöhnlichen Leben auch immer vor Augen, sich zwischen den Lagernden umhertrieb, ließen wenigstens dergleichen vermuthen:
»Gelt,« sprach er zu dem einen, »diese Gans konnte nicht von dir lassen, als du aus dem Hause Martin’s, des Schmidt’s, schiedest und blos, um ihr zu Willen zu seyn, hast du sie mitgenommen; dieses Hühnlein,« neckte er einen andern, »ist dir aus purer Dankbarkeit nachgeflogen, weil du den Hahn so täuschend zu agiren wußtest, und du,« wandte er sich zu einem ferner Sitzenden, »hast durch dein Zitterspiel das Herz dieser Spansau so gerührt, daß sie, an deiner Gegenliebe verzweifelnd, sich selbst den Tod gegeben. Friede sey mit ihnen! Wir wollen ihnen ein fröhliches Begräbniß anstellen, unser Magen soll ihr Grab seyn, mit einem frischen Trunke Bergsträßer aus des Dux wohlgefülltem Fäßlein wollen wir ihr Gedächtniß feiern.«
Der Dux oder Director dieser Truppe hatte eine Art von Ehrenplatz am Feuer eingenommen, der freilich nur aus einem aufgerichteten Stein, über den man einen verschossenen und zerrissenen Teppich gebreitet, bestand. Er war ein Mann von gesetzten Jahren, von einem hohen schlotterigen Körperbau, dessen Knochen allenthalben scharf gezeichnet hervortraten. In seinen Zügen lag eine große Gleichgültigkeit, eine Abgestumpftheit gegen das Leben, ein verwittertes Bild von Erfahrungen, die gewiß manchen bittern Kampf mit dem tiefsten Elende, mit der niedrigsten Bedürftigkeit gekostet hatten. Sobald aber ein Mitglied seiner Bande ihn anredete oder sobald ein Wort an sein Ohr traf, das eine Berücksichtigung von seiner Seite zu erheischen schien, so war er gleich bemüht, ein angenehmes Lächeln zu zeigen, die schlaffen Muskeln der Wangen rundeten sich, die wulstigen Lippen dehnten sich in die Breite und unter diesem freundlichen Grinsen rann ein Redestrom von seinem Munde, der selbst Tadel und Mißbilligung in wohlgefällige Formen zu hüllen wußte. Dieser Sonnenschein auf dem Angesichte des Dux dauerte immer nur so lange, als er sprach. Mit dem letzten Worte, das seine Lippen verließ, trat sogleich im schroffsten Gegensatze jene Stumpfheit und Apathie hervor, die ein verödetes inneres Leben zur Schau stellten. Wie unter den fahrenden Leuten jener Zeit Jeder nur unter dem Eckelnamen, den man ihm beigelegt, bekannt war, so erging es auch diesem Führer einer irrenden, heimathlosen Heerde. Wegen seiner ausserordentlichen Freundlichkeit im Lebensverkehr hatte er von der ersten Gesellschaft fahrenden Volks, zu der er sich gefunden, den Namen Süßbutter erhalten. Dieser schien ihm nun neben dem Taufnamen Felician für sein ganzes Leben treu bleiben zu wollen und die Truppe, die unter seiner Anführung Deutschland durchzog, genoß, da er viel Geschick im Anwerben tauglicher Mitglieder besaß, eines gewissen Rufs, der ihre Erscheinung an den meisten Orten willkommen machte. Selbst die immer weiter um sich greifende Pest lähmte nur bei ihrem ersten Eindringen in irgend einen bedeutenden Ort die Freude, die Jung und Alt an den Darstellungen der fahrenden Leute fand; nach einigen Tagen war das erste Entsetzen verschwunden und man gab sich nun um so lieber zerstreuenden Vergnügungen hin, weil man aus ihnen ein Vergessen der ernst drohenden Wirklichkeit schöpfen wollte. Ueberdem war es damals nichts ungewöhnliches, daß ein Mensch im Laufe seines Lebens dreimal diese furchtbare Geisel des Morgenlandes Europa verheerend durchziehn sah. So versichert wenigstens der glaubwürdige Verfasser der bekannten Limburger Chronik.
Zu beiden Seiten des Dux hatten auf niedrigen Steinsitzen ein junges Weib und ein junger Mann, die sich durch feinere und zierlichere Kleidung, selbst durch einige glänzende Schmuckstücke von den übrigen Mitgliedern der fahrenden Gesellschaft auszeichneten, ihre Plätze genommen. Das Frauenzimmer ließ ihre Blicke frei und keck umherschweifen. Ihre Wangen zeigten eine Röthe, die mehr der Kunst, als der Natur anzugehören schien. Felician Süßbutter behandelte sie mit besondrer Aufmerksamkeit. Sein Mund verzog sich noch einmal so stark in die Breite, das Lächeln auf seinen Wangen wurde wahrhaft monströs, wenn sie ihn, bald mit einem muthwilligen Scherze, bald im gebietenden Tone anredete. In dieser Dame lernen wir Eitel Glockenklang, die Sängerin der fahrenden Gesellschaft, kennen. Der junge Mann an der andern Seite des Dux, der seine wohlgefälligen Blicke nicht von dem rosaseidenen Bande, an dem er sein Instrument hängen hat, abwenden kann, ist der Zitterspieler Muskablüt: ein glattes und niedliches Figürchen mit gealtertem, bartlosem Angesichte, mit grauen nichtssagenden Augen und einer Glatze, die den ganzen Kopf einnimmt. Seine dünnen Finger sind fortwährend an den Saiten der Zitter beschäftigt. Von Zeit zu Zeit schlagen sie einen Accord an und dann nur sieht Muskablüt auf, um einen schmachtenden Blick zum Himmel zu senden. An ihn und die Dame Eitel reihen sich die übrigen unbedeutendren Subjecte an: der pedantische Sprecher, der sich nur in erlernten, herkömmlichen Redensarten zu bewegen hatte, und viele Männer und Frauen, Seil- und Eiertänzer, Ball- und Taschenspieler, Springer und Grimassenschneider. Im Hintergrunde zeigt sich ein Leiterwagen, mit einem einzigen, magern und hinfälligen Pferde bespannt. Die Kinder, welche zu der Bande gehören, klettern an ihm umher und treiben ihr Kurzweil mit den theatralischen Maschinen, die er enthält. Bald verbergen sie sich in den Drachen, den Sanct Georg schon unzählichemale erstochen, bald kriechen sie in die sogenannte Hölle, in der – ein besondrer ergötzlicher Scherz jener Zeit – böse Weiber und Narren gebacken wurden.
Indem der größte Theil der Gesellschaft mit lüsternen Blicken den Kessel hütete, herrschte eine allgemeine Stille der Erwartung. Da räusperte sich plötzlich der Director Felicianus, verzog das schlaffe Antlitz zu einem angenehmen Lächeln und sagte, sich zu der Sängerin Eitel wendend:
»Wir haben lange nichts aus deiner Nachtigallkehle vernommen! Willst du uns nicht ein Lied singen? Die Sänger des Waldes schweigen, da sie dich erblicken, sie wagen es nicht, ihre Stimme vor der erklingen zu lassen, die sie als ihre Meisterin anerkennen. Laß uns eins der Lieder hören, womit du die Patricier der reichen Handelsstadt zu entzücken gedenkst, süße Eitel!«
»Wenn Muskablüt mich begleitet, so mag’s seyn!« erwiederte die Sängerin. »Er muß aber hübsch bescheiden spielen und nicht immer sein Geklimper vordrängen wollen.«
Der Zitterspieler beantwortete diese Bemerkung nur mit einem geringschätzenden Blicke. Dann schlug er sogleich eine Weise an, in die Eitel mit folgenden Worten einfiel:
Auf grünen Matten
Wo Rose und Viol’ sich gatten,
Ergeht die Liebe sich.
Sie kann zu zweien,
Ergötzen nur und freuen
Den Knaben, den getreuen,
Die Maid, so minniglich.
Das ist die Stärke
Von jedem minniglichen Werke,
Von süßer Liebeslust,
Daß sie stets zweien
Bringt Wonne und Erfreuen,
Dem Knaben, dem getreuen,
Der Maid, so minniglich.