Szene 1

641 Worte
Hast du es verstanden? Hast du es gehört? Er schleicht herum in der Nacht. Sucht die Feen, die so einsam sind. Nimmt sie mit. Lässt sie steigen. Lässt sie fliegen. Lässt sie frei sein. Hast du es gehört? Hast du es gesehen? Die wunderschönen Flügel, die er ihnen schenkt. Die herrliche Freiheit, die er ihnen gibt. Ihr Blut zeigt ihnen den Weg. Ihre Tränen zeugen von dem Glück, das sie ereilt. Hast du es gesehen? Hast du es gefühlt? Die kalten Hände der Männer, die seine Feen einsammeln. Herausreißen aus dieser wunderbaren Welt, die er ihnen schenkt. Sie verstehen es nicht. Hast du es gefühlt? Hast du es verstanden? Traurige Kinder. Traurige Feen. Er lässt sie fliegen. Die Tränen versiegen. Sie sind frei und kein Leid wird sie je wieder ereilen. Kein einziges, denn sie sind endlich wieder frei. Sammler Die Nadel stach durch Stoff und darunter liegendes Fleisch. Er zog, spannte den Faden und die zwei Schichten wuchsen enger zusammen. Mit hoher Präzision vollführte er sein Werk und ließ sich alle Zeit der Welt. Der Stoff zeigte ein buntes Farbenmeer, das so lebendig wirkte, dass man das Gefühl bekam, es würde sich jeden Moment bewegen. Die Finger waren voller Blut, doch er vollzog sein Werk weiter. Mit einer Genauigkeit, als würde er nur dafür leben. Immer wieder trieb er die Nadel durch Fleisch und Stoff. Es sollte wunderbar werden. Perfekt sein. Erst als er den letzten Stich gesetzt hat, legte er die Nadel zur Seite und lächelte zufrieden. Sie war fertig und bereit in den Wald entlassen zu werden … Er saß am Spielplatz auf einer Bank, sah den Kindern dabei zu, wie sie über das Gerüst kletterten oder mit der Schaukel in die Lüfte flogen. Manche unter ihnen trugen mehr in sich als nur die Seele eines Menschen. Viel mehr. Hier zu sitzen und ihnen dabei zuzusehen, wie ihr glockengleiches Lachen erklang und sie sich gegenseitig jagten, war alles, was er sich wünschte. Denn dort fand er sie. Die verlorenen Seelen der kleinen Feen, die er zurück in den Wald brachte. Ihr Lachen drang zu ihm durch, berührte sein Herz und er sah ihre Flügel. Nicht jedes Kind trug welche auf seinem Rücken, doch diese schrien ihn an, dass er sie befreien möge, sie aus diesem menschlichen Dasein erlöse und ihnen wieder die Möglichkeit gäbe, durch die Wipfel der Bäume zu tanzen. Er sah ihre traurigen Augen, die ihn anflehten, dass er ihnen die endgültige Freiheit schenke. Sie wünschten sich alle, endlich wieder zu fliegen und nicht mehr an diesen grausamen, harten Boden gekettet zu sein. An diesem Tag sah er drei Feen. Eine verzweifelter als die andere. Die Entscheidung, welche er in die große Freiheit entließ, fiel ihm schwer. Ihre Schreie gingen im Lachen der Menschen unter. Dennoch sah er ihr Leid, erkannte, wie sie sich in den kleinen Körpern krümmten und mit aller Kraft versuchten auszubrechen. Doch die Seele der Kinder verhinderte es. Langsam war es an der Zeit. Er musste sich entscheiden, welche der Feen er heute frei ließ. Es war nicht leicht. Das war es nie. Dennoch war es nötig. Ansonsten erschienen sie ihm in seinen Träumen und stellten ihm Fragen. Warum er ihnen nicht geholfen hatte, als er ihr Leid gesehen hatte. Sein heutiges Opfer war ein Junge, dessen Flügel zum größten Teil weiß waren. Rein wie der Schnee mit sanften roten Streifen, als würde Blut darüber fließen. Die Fee in diesem Leib schrie am lautesten. Sie schien schon so lange zu leiden, dass er keine andere Wahl hatte, als ihr Flehen endlich zu erhören. Er erhob sich und bereitete alles vor. Süßen Sachen widerstanden alle Feen nicht, aber die weißen liebten den Geruch von Eis am meisten. Er brauchte nur die Falle aufzustellen, dann kam das kleine Wesen von allein zu ihm und er konnte ihm die Freiheit schenken. Es endlich fliegen lassen.
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