~Vergangenheit~
Der Tag, der mein Leben veränderte, war wunderschön. Die Sonne schien durch die Fenster in unsere Wohnung und die Vögel zwitscherten leise. Hin und wieder brachte der Wind das Windspiel an der Terrassentür zum Erklingen. Es war so ein Tag, an dem es einem eh schon gut ging, nur weil das Wetter perfekt war.
Ich holte wie jeden Tag die Post von uns und war irritiert, als ich unter den Prospekten, Werbebriefen und einer Rechnung auch ein Antwortschreiben von einer Plattenfirma fand. Es schien eine halbe Ewigkeit her zu sein, dass ich mal auf gut Glück ein paar Demotapes verschickt hatte. Mein Freund meinte, dass ich es doch zumindest einmal versuchen sollte. Ich hatte ja nichts dabei zu verlieren. Mehr als nein sagen konnten sie nicht.
Jetzt, als ich den Brief in den Händen hielt, begannen sie zu zittern. Es konnte alles sein: Vom überschwänglichen Lob, zur einfachen Absage oder sogar eine so niederschmetternde Kritik, dass ich diesen Traum nicht mehr verfolgen wollte.
Daher entschloss ich mich, ihn erst in der Gegenwart meines Geliebten zu öffnen. Doch der Weg nach oben erschien plötzlich so endlos, sodass ich nicht mehr damit warten konnte. Mit fahrigen Bewegungen riss ich den Umschlag auf und blieb dabei mitten auf der Treppe stehen.
Meine Hände zitterten jetzt so stark, dass ich Probleme damit hatte, den Brief zu entfalten. Ich wusste nicht einmal, was ich hoffen sollte oder mir wünschte, das dort stand. Es sollte mir nur zeigen, ob mein Traum realistisch war oder ob ich einem Luftschloss hinterherrannte.
Ohne es zu merken, hielt ich die Luft an, als ich die ersten Zeilen überflog und versuchte, ihren Sinn zu verstehen. Alles begann sich um mich herum zu drehen, als mich Glücksgefühle überrannten und ich die Zeilen des Briefes nicht glauben konnte.
Wir würden sie gerne besser kennenlernen.
Ein Freudenlaut verließ meine Lippen, als ich wieder zu atmen begann und die Treppen empor stürmte. Das musste ich unbedingt jemandem erzählen. Diese Neuigkeit war der Hammer. Bestimmt würde er sich genauso freuen wie ich mich. Endlich ging mein Traum in Erfüllung.
„Chris! Chris! Du glaubst nicht, was heute in der Post war!“ Ich platzte in unsere gemeinsame Wohnung und vernahm ein irritiertes Murren aus dem Wohnzimmer, dem ich sofort folgte. Ein junger Mann saß auf der Couch. Sein schwarzes Haar fiel ihm neckisch ins Gesicht und er sah mich neugierig aus seinen braunen Augen an. Die harten Konturen seines Gesichtes wurden weicher, als er meine Freude bemerkte. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Ich wusste nicht wieso, aber wenn er grinste, dann hob sich eine Seite immer mehr als die andere und wirkte so leicht schief.
Vor Freude strahlend blieb ich hinter der Couch, auf der Chris gerade saß, stehen und wedelte mit dem Brief in der Luft herum. Ich konnte es immer noch nicht glauben, dass mein Traum eine Chance bekam, in Erfüllung zu gehen. Niemals hätte ich gedacht, dass die Idee von meinem Liebsten wirklich funktionieren könnte. Warum sollte eine Plattenfirma auf eine ungefragte Einsendung anspringen von jemanden, den niemand kannte? Aber ich hatte in sein Fachwissen vertraut und wurde nicht enttäuscht.
„Was hat es denn mit diesem Brief auf sich, den du gerade so herum schleuderst, dass man meinen könnte, du willst mit ihm gleich abheben?“ Sein Lächeln wurde eine Spur frecher. Er faltete die Zeitung, die er gerade eben noch gelesen hatte, ruhig zusammen und legte sie auf seinem Schoß ab.
„Der ist von einer Plattenfirma! Ihnen hat mein Demotape gefallen und ich soll in drei Tagen bei ihnen vorbeischauen, um mit ihnen über eine mögliche Musikkarriere zu sprechen!“ Ich hatte während dieser Sätze nicht einmal Luft geholt, sodass meine Stimme zum Ende hin schwächer wurde und kaum, dass ich geendet hatte, tief einatmen musste.
Ungläubig stand er auf und griff nach dem Brief. Er brauchte mehrere Anläufe, bevor er das Stück Papier von mir ergattern konnte, weil ich immer noch aufgeregt damit herum fuchtelte. Ich konnte es genauso wenig glauben, aber es stand dort schwarz auf weiß. Wie oft hatte ich es gelesen und wahrscheinlich sah ich dabei genauso aus wie mein Freund jetzt. Immer wieder überflogen seine Augen die Zeilen und weiteten sich bei jedem neuen Lesen mehr. Sein Lächeln wurde wärmer, je öfter er sie las und im nächsten Moment sprang ich ihm überglücklich in die Arme.
Ich nippte an seinen Lippen, als er sich immer noch nicht von dem Brief lösen konnte. Im nächsten Moment durchschoss mich ein leichter Schmerz im Arm und ich schrie kurz auf, worauf ich die nächsten Worte meines Freundes hörte: „Das ist wirklich kein Traum, Tys. Das ist der Wahnsinn! Ich freu mich so für dich!“
Endlich umarmte er mich auch und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss. Sein Herz schlug vor Freude schneller und seine Wärme strich durch meinen Körper, als sich unsere Zungen umspielten. Immer wieder umschlangen sie sich und meine Knie wurden jede Sekunde weicher, doch bevor ich gänzlich den Halt verlor, beendete Chris den Kuss und sah noch einmal auf den Brief.
Seine Augen glänzten vor Stolz und Freude. Gefühle, die auch durch meinen Körper tobten und sämtliches Denken befielen. Trotz der vielen Arbeit und Unterstützung, die wir in dieses Tape gesteckt hatten, rechnete ich auf Grund meiner Unbekanntheit mit einem eher mäßigen Erfolg. Doch da lag ich falsch. Mein Traum wurde wahr. Endlich würde er wahr werden. Ein so wunderschöner Traum konnte mein Leben nur positiv verändern, oder? Wie sehr man sich nur täuschen kann.