Kapitel 4 Juni 2011 Nathan

1435 Worte
Ich hatte bereits die Hälfte des Weges, bis zu meinem Rudel, hinter mir. Sobald ich mich gewandelt hatte, begann ich bereits meine menschliche Gestalt zu vermissen. Die Plastiktüte mit den Lebensmitteln trug ich in der Schnauze. Mein Magen knurrte, aber ich wagte es nicht mich an dem Essen zu bedienen. Es war für das gesamte Rudel bestimmt. Eigentlich freute ich mich nur noch darauf, mich hinzulegen und endlich meine Augen schließen zu dürfen. Trotzendem ging mir dieses Mädchen, Anika, nicht aus dem Kopf. Irgendetwas war besonders an ihr. Irgendwas machte sie mit mir. Die Zeit mit ihr war wundervoll, obwohl ich immer darauf bedacht sein musste, ihr nicht zu nahe zu kommen. Sie vertraute mir vielleicht, aber sie hatte ja auch keine Ahnung, dass ich mich überhaupt nicht im Griff hatte. Ich war wie ein Pulverfass, dass nur auf einen Funken wartete um zu explodieren und alles um sich herum zu zerstören. Wie gerne hätte ich bei ihr auf der Couch geschlafen. Aber selbst das war eigentlich zu gefährlich. Zumindest in meinem jetzigen Zustand. Wenn wir wieder in der Gegend sind, würde ich auf jeden Fall nach ihr sehen. Vielleicht wäre es ja dann doch möglich, eine Nacht bei ihr zu schlafen. Je näher ich bei ihr wäre, umso besser könnte ich sie beschützen. Aber heute Nacht musste ich wirklich zurück zum Rudel. Ich glaube Jackson würde mich sonst umbringen. Endlich angekommen, war Marc der Einzige der noch wach war. „Sag Jackson nicht, dass ich jetzt erst gekommen bin“ bat ich ihn. Ich erhielt keine Antwort auf meine Bitte. „Hält die Kleine dicht?“ war das Einzige, was ihn interessierte. „Ja“ entgegnete ich mürrisch. „Gibst du mir was von deinem Essen?“ jetzt hatte ich Marcs gesamte Aufmerksamkeit. „Ja, aber erst morgen früh. Wir könnten alle zusammen frühstücken bevor wir aufbrechen, als Menschen.“ „Was ist denn mit dir los?“ wollte Marc wissen. „Nichts.“ Für mich war das telepathische Gespräch damit beendet. Ich ließ mich auf die Erde fallen, schloss die Augen und fiel nahezu augenblicklich in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen, konnte ich die anderen tatsächlich davon überzeugen, zumindest schnell in menschlicher Gestalt zu frühstücken. Die Tüte hatte sich im Nullkommanichts geleert, aber immerhin hatten wir jetzt alle etwas im Magen. Irgendwie benahmen wir uns ja schon ein wenig wie wilde Tiere. Dann brachen wir auf und verfolgten die Spur der Vampire bis in den späten Abend hinein. Wir hatten die norwegische Grenze bereits erreicht und beschlossen dort ein paar Stunden zu schlafen. Ich hatte natürlich auch noch das Glück, die erste Nachtwache halten zu dürfen. Dies war immer nötig, wenn wir alle so ausgelaugt waren, dass uns eventuell nicht mal das Näherkommen eines Vampirs aufwecken würde. Um nicht einzuschlafen, schlich ich die ganze Zeit um unser Lager herum, bis ich endlich von Jackson abgelöst wurde. Die nächsten Wochen verliefen ähnlich. Immer wenn wir dachten, wir hätten den beiden Vampiren auflauern können, waren sie uns wieder einen Schritt voraus. Mittlerweile kam ich mir wirklich vor, wie ein verwahrlostes, wildes, unberechenbares Tier. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich wieder Zuhause zu sein, bei meinem Vater... oder bei ihr. Aber sie hatte mich bestimmt schon längst vergessen. Mittlerweile waren zwei Monate seit unserer Begegnung vergangen. Ich hoffte wirklich, dass sie niemandem von unserer Existenz erzählt hatte. Es ist strengstens verboten einem Menschen von übernatürlichen Wesen zu erzählen. Uns Werwölfen würden diese Worte, selbst wenn wir es wollten nicht über die Lippen kommen. Den Anordnungen des Rudelführers muss immer Folge geleistet werden. Wir haben keine andere Wahl. Es ist uns bisher auch gelungen unser Geheimnis vor allen Menschen, außer vor denen, die uns am nächsten stehen, zu waren. Dazu zählen engste Familienmitglieder, oder die Menschen, mit denen wir unsere Lakota-Verbindung eingegangen sind. Da Anika weder zu meiner Familie gehört, noch ich mich mit ihr verbunden habe, stellt sie eigentlich ein Problem dar. Ich glaube zumindest, dass ich keine Bindung mit ihr eingegangen bin, dafür erschien mir das Gefühl nicht intensiv genug. Aber irgendwas hat sie mit mir gemacht. Irgendwas, dass ich mir nicht erklären kann und was mich ständig an sie denken lässt. Im Hinblick darauf ist es gut, dass wir im Moment genug andere Probleme haben. Sonst hätte es Priorität dafür zu sorgen, dass sie niemandem etwas verrät. Wären wir Vampire, hätten wir sie töten müssen. Aber da wir da sind um die Menschen vor Vampiren zu beschützen, kommt es nicht in Frage mit Absicht einen Menschen zu töten. Unfälle sind laut unserer Geschichte aber wohl schon häufiger passiert... Ein weiterer Grund, weshalb ich mich auf jeden Fall von Anika fernhalten sollte. Aber irgendwie war die Hoffnung sie wiederzusehen momentan mein einziger Lichtblick. Es vergingen noch einige Tage, nach wie vor verfolgten wir die beiden Vampire. Mittlerweile waren wir in den italienischen Bergen unterwegs. Von der dritten Vampirin, Lysann, die zusammen mit Fergus und Valeria eine Gruppe bildete, hatten wir zuletzt gehört, als wir Washington verlassen hatten. Jackson hatte die Hales auf sie angesetzt, aber ich machte mir trotzendem Sorgen, dass sie Anika findet um Valerias Plan zu Ende zu führen. Niemand wäre da um sie zu schützen. Niemand. Gerade als ich darüber nachdachte, wie ich Jackson überreden konnte nach Deutschland, zu unseren Familien zurück zu kehren, hatte dieser meine Gedanken schon lange mitgehört. Genau wie alle anderen. „Nathan, das kannst du vergessen!“ „Wir werden nicht aufgeben.“ „Wir sind zu sechst und sie nur zu dritt.“ „Das schaffen wir!“ hallten die Stimmen meiner Rudelmitglieder in meinem Kopf wider. Nur Mason hielt sich zurück. Eigentlich hatten sie ja Recht. Aber ein Vampir ist in der Regel schon etwas stärker als ein Werwolf, und erst recht stärker als ein völlig ausgehungerter, erschöpfter Werwolf. „Konzentriert euch! Wir haben sie gleich!“ riss Mason mich aus meinen Gedanken. Und er hatte Recht. Ich konnte die beiden ganz in der Nähe riechen. „Da vorne ist eine sehr steile, hohe Felswand, da kommen sie so schnell nicht hoch! Wenn wir uns beeilen können wir sie vorher schnappen. Wir teilen uns auf und kreisen sie ein. Leon, Marc, ihr geht nach links! Mason und Tyler nach rechts! Nathan, wir bleiben in der Mitte! Los!“ kommandierte Jackson. Wir rannten so schnell wir konnten. Ich erreichte die Felswand, vor der die Vampire standen als erstes. Sofort stürzte ich mich auf Fergus, der mir am nächsten war. Jackson, der direkt hinter mir war, ging auf Valeria los, welche ihn sofort gegen die Felswand schleuderte. Er jaulte auf. Bei dem Aufprall waren vermutlich einige Rippen gebrochen worden. Zunächst lag der schwarze Wolf am Boden. Ich überlegte von Fergus abzulassen, um mich zwischen Jackson und Valeria zu stellen, aber genau in diesem Moment trafen auch die anderen endlich ein. Fergus hatte mir in der Zwischenzeit schon mehrere Kratzer und Bisse zugefügt. Das Vampirgift brannte wie Feuer in meinen Adern, konnte mir aber sonst nichts anhaben. Tyler, Mason, Leon und Marc versuchten Valeria in Schach zu halten, welche eindeutig älter, stärker und erfahrener war als ihr sogenannter Bruder. Jackson, der sich zwar wieder aufgerappelt hatte, hielt sich im Hintergrund. Er wäre ansonsten auch ein leichtes Opfer für die beiden Vampire gewesen. Valeria hatte es nun auch geschafft, Tyler, aus dem Verkehr zu ziehen, indem sie ihm die Schulter zerquetschte. Ich konnte neben dem Jaulen auch die Knochen brechen uns splittern hören. Das lief ja super für uns. Es war mein erster richtiger Kampf gegen einen Vampir. Dafür schlug ich mich glaube ich gar nicht so schlecht. Als Fergus für einen Moment auf Valeria konzentriert war, gelang es mir sich an seinem rechten Arm festzubeißen. Ich biss fester zu und sein Arm brach ab und sah aus wie der einer Porzellanpuppe. Irritiert von dem, was ich gerade getan hatte war ich einen kurzen Moment unaufmerksam. Fergus packte mich im Genick, riss mir mit den Zähnen das Fell und die darunterliegende Haut meines linken Vorderbeins ab. Ich schrie auf und ließ den Arm fallen, den ich noch in meiner Schnauze trug. „Valeria!“ schrie Fergus und schleuderte mich ebenfalls gegen die Felswand. Ich prallte mit dem Kopf dagegen, ich hörte einige meiner Rippen brechen. Aber ich war unfähig mich zu bewegen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Fergus sich seinen Arm schnappte. Valeria eilte zu ihm und er sprang auf ihren Rücken. Blitzschnell sprang sie an die Felswand und versuchte sie mit ihrem Gefährten hochzuklettern. Leon sprang ebenfalls an der Wand hoch, in der Hoffnung die beiden noch zu erwischen. Vergebens. Dann war mir nur noch schwarz vor Augen.
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