3. Kapitel Das Königreich der Fuuhs Teil 1

1991 Worte
3. Kapitel Das Königreich der Fuuhs Teil 1 Nach einem ereignisarmen Morgen versammelte sich die Mannschaft gen Mittag erneut im Speisesaal. Karl war wieder einmal zu spät aufgestanden und hatte kein Frühstück bekommen. Dies musste er unbedingt kompensieren. Noch immer ungekämmt und wirrer als üblich, langte er kräftig zu. Albert blieb standhaft und verriet auch heute keine weiteren Einzelheiten seiner Vision. Balthasar hatte sich erholt, die meisten Pflaster und Bandagen hatte ihm Bianca alias Doc. bereits abgenommen. Laura saß neben ihm und löffelte manierlich ihre Suppe. Kapitän Thunderstorm blickte gedankenverloren aus dem Fenster auf einen blauen Zwergstern. Eine Durchsage ließ verlauten, dass man den angesteuerten Planeten bald erreichen würde. Carol erhob sich und ging in das Cockpit. Sie befahl, in die Umlaufbahn einzuschwenken und den Planeten zu umkreisen, während das Komitee tagte. Der Ausschuss, einschließlich Albert Weisenstein, wurde zum Königpalast geschickt, wo man sie bereits erwartete und freundlich empfing. Wissenschaftler und Photographen brachte man wieder zu Studienzwecken nach unten. Währenddessen vermaßen und kartographierten die anderen Fachkräfte an Bord den Planeten von oben. Der Kapitän überlegte nur kurz und entschied sich, ebenfalls hinab zu reisen. Balthasar ahnte nichts davon und das war auch gut so. Sie wollte ihn nicht dabeihaben, um einmal für sich zu sein. Daher schützte sie seine Genesung vor und gab sie Anweisung, ihn nicht nachträglich hinunter zu teleportieren und dem Befehl des Kapitäns widersprach niemand. So kam es, dass Carol kurz darauf ganz allein durch die Straßen der Fuuhs schlenderte. Min war ihre einzige Begleitung. Carol sah sich die Stadt an, die Leute, sprach mit ihnen, wobei ihr ein kleineres Übersetzungsgerät half. So fand sie auch den Weg zum Schloss. Sie sah es sich von weitem an. Sie hätte hingehen können, um sich umzusehen. Sie war schließlich der Kapitän. Doch es gelüstete ihr nicht danach, die langatmigen Gespräche zu stören, lieber wollte sie nach dem Rundgang das Bordschwimmbad besuchen. Zuvor studierte sie aber noch die Sitten der skurrilen Bewohner. Die Landestracht ähnelte knielangen Seidenhemden mit Trichterärmeln, wozu die selbst ziemlich kurios aussehenden Wesen durchsichtige Schleier trugen. Ihre Haut war gelb, sie besaßen vier Beine und sechs Arme. Ihre Gesichter waren flach, wie die eines Frosches und ihre Stielaugen waren die einer Schnecke. Ihre Ohren sahen aus wie verkleinerte Flugsaurierflügel mit türkiser Membran. Den Männern entwuchsen oft zwei lange schwarze Barteln aus der Oberlippe und des Weiteren schleppten alle einen breiten langen Echsenschwanz hinter sich her. Die höflichen Fuuhs begrüßten Carol allesamt mit einer kurzen Verbeugung, nur ein paar Kinder glubschten sie verwundert aus ihren leuchtend blauen Augen mit den weißen balkenartigen Pupillen an. Min schnupperte hier und da, sie entdeckte ein paar kleine Mitbewohner: grüne Mäuse mit rüsselartiger Schnauze. Sie spielte mit einem verknüllten Stück Papier und fand dann die eigentliche Sensation. Wagemutig tapste sie in eine kleinere Straße hinein und blieb wie angewurzelt stehen. Sie senkte den Kopf und zerrte an etwas herum, das aus einer dunklen Ecke zwischen einer Mülltonne und ein paar Kisten hervorragte. Frau Kapitän runzelte die Stirn. „Min!“, sagte sie streng. „Was tust du da? Lass den Müll liegen!“ Min antwortete nicht, miaute nur und zerrte weiter an dem Ding, das sie entdeckt hatte. „Komm her! Pfui! Aus!“, schimpfte ihr Frauchen, sie trat näher und blieb dann wie erstarrt stehen. Min sah sie mit großen Augen an und ließ ihren Fund für einen Moment los. Carol schluckte trocken, ihr Haustierchen hatte einen Fuß entdeckt, beigeweiß mit ungepflegten, schwarzen Krallennägeln. Ungerührt packte Min erneut den Fuß mit den Zähnen und zog kräftig daran, ihr Frauchen fuhr zusammen. „Lass das!“, befahl sie und sah sich hektisch um. Niemand beobachtete sie. Was sie am wenigsten brauchte, war Ärger. Denn die Person, die zu dem Fuß gehörte, schien nicht mehr sehr lebendig zu sein. „Min! Lass es in Frieden ruhen!“ Umso größer war der Schreck, als die vermeintliche Leiche ein lautes Ächzen von sich gab. Nicht nur Carol fuhr zusammen, sondern auch Min. Augenblicklich ließ sie den Fuß los und machte einen Satz in die Arme ihres Frauchens. Carol war so entsetzt, dass sie sich nicht rühren konnte. „Du liebe Güte“, flüsterte sie leise. „Was ist nun wieder geschehen? In welche Situation bin ich diesmal gestolpert?“ Ihr war nicht wohl zu Mute, aber Angst hatte sie nicht. Schließlich war ihre Selbstverteidigung erstklassig. Min miaute kläglich. Wieder war ein leises Stöhnen zu hören. Carol verengte die Augen und schielte argwöhnisch auf den Fuß, der nun zurückgezogen wurde. Eine tiefe Stimme murmelte aus dem Schatten: „He, Fusselbürste! Wenn du mich fressen willst, wirst du noch warten müssen. Tot bin ich noch nicht.“ Sofort wurde Carol hellhörig, ihr Gegenüber redete in der Sprache des Bundes und es handelte sich zweifelsfrei um einen Mann. „Wer sind Sie?“, fragte Carol messerscharf, denn schließlich war Angriff die beste Verteidigung. „Wagen Sie es ja nicht, Min auch nur ein Haar zu krümmen, sonst kriegen Sie es mit mir zu tun!“ Frau Kapitän hatte schon ein genaues Bild im Kopf obwohl sie ihr Gegenüber gar nicht kannte. Derart im Dreck herumzulungern konnte nur eines bedeuten und sie mochte keine Herumlungerer, penetrante Schnorrer oder Straßenganoven. Auch keine alkoholisierten Obdachlosen, Junkies oder Hausierer. Ihrer Meinung nach konnte jeder etwas Besseres aus seinem Leben machen, man musste sich nur anstrengen. „Und mit wem würde ich mich anlegen?“, fragte die Stimme nach. „Mit Carol Thunderstorm! Kapitän des Raumschiffs Lenticularis, das im Auftrag des Bundes der geeinten Planetensysteme und Völker unterwegs ist!“ Als Antwort war ein Gähnen zu hören. „Eine Frau Kapitän. Ich bin tief beeindruckt. Warum verschwinden Sie nicht wieder mit ihrem pikfeinen Haustier auf Ihren Vergnügungsdampfer über den Wolken?“ Carol schnaubte, nun wird dieser Unbekannte auch noch frech! Das schmeckte ihr überhaupt nicht und so etwas ließ sie sich nicht bieten, egal, wer ihr Gegenüber auch war. „Wer sind Sie, dass Sie es wagen, so mit mir zu sprechen, mit mir, dem Kapitän?!“ „…mit mir, dem Kapitän!“, äffte der Unbekannte sie nach. Carol schnaubte, das ist ja unerhört! „Kommen Sie da sofort heraus! Ich will das Gesicht des Lumpenhundes sehen, der sich derart über mich lustig macht! Über mich macht sich niemand lustig!“ Ein Lachen, das mit Husten vermischt war, war zu hören. Min hatte wieder Mut geschöpft, sprang zu Boden und machte einen Katzenbuckel. „Ich mache mich lustig über wen ich will“, stellte die Stimme fest, „denn das habe ich umsonst.“ Carol sah einen Schatten, der sich schwerfällig erhob und anschließend trat die Person ins Licht, die dazu gehörte, „Wer würde mir das schon verbieten wollen?“ Mysteriös funkelnde Augen, wie die einer Katze, eines grün, das andere blau. Rabenschwarze Haare, markante Vampirzähne und zackige Ohren, die dem Mann das Flair einer Fledermaus verliehen, sofort wusste Carol, mit wem sie es zu tun hatte: Mit einem Zix. Diese Wesen waren berüchtigt. Man munkelte, sie würden auf einem unbekannten dunklen Planeten leben, erstaunlich alt werden und dabei ewig jung bleiben. Angeblich tranken sie das Blut ihrer Opfer und waren so grausam, andere Wesen zu verschleppen, auszusaugen und sie anschließend aufzufressen. Sie ließen nichts weiter übrig als blanke Knochen. Zix sollten hellseherisch veranlagt sein, alles im Voraus erahnen, so alt wie die Galaxie selbst sein und sämtliche Sprachen der Völker beherrschen. Ihnen wurde nachgesagt, Gräber zu plünderten, Seelen zu raubten, Kinder zu verschleppten und schwarze Löcher zu erschaffen. Ihr unrühmlicher Ruf gipfelte mitunter in der Bezeichnung als Weltraumvampir. Obwohl ihre Missetaten noch weit über das schnöde Blutsaugen hinaus gingen. Carol hatte in ihrer Kinderzeit genug Geschichten über die bösartigen Zix gehört, aber dass sie jemals einem von ihnen begegnen würde, hatte sie nicht geglaubt. Was sie immer für Ammenmärchen gehalten hatte, stand nun als lebendig gewordener Alptraum vor ihr. Zum ersten Mal seit langer Zeit war sie so schockiert, dass sie nicht einmal davonrennen konnte. „Erstaunt, Madame?“, fragte der Zix frech und bleckte die spitzen Zähne. Carol versuchte sich krampfhaft einzureden, einer Halluzination erlegen zu sein. Vielleicht hat der Koch die falschen Pilze in den Auflauf getan ... Doch für ein Trugbild war das Ganze zu real. „Wer bist du?“, fragte Carol unsicher. Der Zix verengte die Augen und seine Augenbrauen, die mittels eines schmalen Haarstreifens ineinander übergingen, bebten leicht. „Warum stellst du so dumme Fragen, du weißt es doch schon ganz genau.“ Kann dieser Kerl auch noch Gedanken lesen? Zumindest lächelte er so, als könnte er es. Min verlor wieder ihren Mut und zitterte am ganzen Leibe. Sie war vor Angst wie gelähmt und konnte keinen Schritt machen, ihre Beine versagten den Dienst. Carol nickte derweil stumm, ja, sie wusste es wohl. „Wie ich sehe, hat man dich als kleines Kind auch nicht mit diesen makaberen Gruselmärchen über mein Volk verschont … und was noch besser ist, du glaubst an sie.“ Carol war immer noch erstarrt und gleichzeitig verwirrt. Ein kalter Schauer jagte ihr den Rücken hinab, gleichzeitig schlug ihr das Herz bis zum Hals und ein eigenartig flaues Gefühl rumorte in ihrer Magengrube, während der Fremde um sie herumscharwenzelte. Was wird er jetzt mit mir anstellen?, fragte sie sich atemlos. Etwa das, was mein Vater mir einst sagte, damit ich als Kind artig blieb? Die Gänsehaut breitete sich über ihren ganzen Körper aus, als sie den kalten Atem des Zix im Nacken spürte. Er war zwar anderthalb Köpfe größer als sie, was aber eigentlich kein Problem darstelle. Sie hatte schon andere Männer aus Kreuz gelegt. Doch der Zix war anders, er besaß eine lähmende Aura, die Carol das Gefühl gab, ihr Blut würde langsam gefrieren. „Mau!“, jammerte Min leise, ihr Frauchen sah sich schon als abgenagtes Skelett auf den Pflastersteinen liegen. Der Zix schielte mit seinem blauen und seinem grünen Auge zu ihr herab. „Ah“, murmelte er leise und hustete erneut, „ein nettes, kleines Kätzchen. Weißt du, an was deine Chefin gerade gedacht hat?“ Min miaute nur kläglich. „Auch gut, dann verrate ich es dir eben. Sie glaubt, dass die berüchtigten Zix neben kleinen Kindern, schönen Frauen, anmutigen Knaben, besonders kleine, nette Tiere wie dich zum Fressen gerne haben.“ Min sträubte das Fell ab und miaute noch herzzerreißender. Carol riss sich endlich zusammen. „Fassen Sie meine Min nicht an!“, fauchte sie. Doch der Zix sah gelassen aus den dreckigen Lumpen, die er trug. Nun erst bemerkte Carol seine eingefallenen Wangen, die hervorstehenden Schlüsselbeine und die dürren Handgelenke. Ihr Gegenüber musste bis auf das Skelett abgemagert sein, darüber hinaus hatte er offensichtlich eine Pigmentstörung, denn seine beige Haut war von vielen weißen Flecken durchsetzt. Das wilde schwarze Haar war flüchtig zu einem Pferdeschwanz gebunden, doch der lange Pony fiel ihm trotzdem ins Gesicht. Darüber hinaus trug er nicht einmal Schuhe. Trotz der erbärmlichen Erscheinung weckte seine Aura in Carol noch immer beängstigende Gefühle. Doch sie kämpfte dagegen an. Sie holte tief Luft, es bedurfte mehr, als einer mystischen Ausstrahlung, um sie zu bannen und daher wiederholte sie ihre Drohung. Allerdings hatte sie noch immer nicht die Kraft, davon zu eilen und ihr Gegenüber schenkte ihr einen eiskalten und gleichgültigen Blick. Seine runden Pupillen zogen sich dabei für einen Augenblick zu Schlitzen zusammen, wie bei einer Katze. „Wenn ich nun doch Hand an das Fellknäuel lege, was dann? Was wollen Sie tun, Lady? Um Hilfe schreien? Mir ins Ohr beißen?“ Carol erstarrte erneut, es war lange her, dass es jemand gewagt hatte, nicht auf ihre Drohungen einzugehen. Sonst spurten vor ihr immer alle, weil sie instinktiv spürten, dass sie ihr unterlegen waren – oder Angst hatten entlassen zu werden. Carol war nicht nur der Kapitän, sie wusste auch genau, was sie wollte und wie man es durchboxte. Dieser Kerl brachte sie völlig aus der Fassung, er wagte es doch glatt das letzte Wort zu haben, das eigentlich ihr zustand!
Kostenloses Lesen für neue Anwender
Scannen, um App herunterzuladen
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Schriftsteller
  • chap_listInhaltsverzeichnis
  • likeHINZUFÜGEN