Tanz des Meeres

2119 Worte
Die Wellen schlugen unaufhörlich gegen den dunklen Stein der Klippe. Er hörte das Kreischen der Vögel und die sanfte Brise strich durch sein Haar. Dort lag der salzige Geruch in der Luft, die seine Lungen umschmeichelte und ihn zu einem tiefen Atemzug verleitete. Mit einem Lächeln stand er auf und sah in den Abgrund. Die Gischt gierte nach dem Land, doch erreichte es nicht. In seinem Rücken lag die Sonne und wärmte weiter seine Haut. Das Surfbrett in seiner Hand gab ihm Halt und zusammen mit dem Verfestigen seines Griffes darum wurde sein Grinsen breiter. Mit einem freudigen Schrei stieß er sich von der Klippe ab und stürzte hinab in das kühle Nass. Es umschloss ihn, raubte ihm die Luft und die warmen Strahlen. Er sah einen kleinen Fisch in seinem Augenwinkel und ignorierte das Brennen des Wassers in seinen Augen. Das war Leben und Freiheit. Mit einem tiefen Atemzug tauchte er auf und zog sich auf sein Surfbrett, um ein wenig von den Klippen weg zu paddeln. Erst dann kniete er sich auf das Brett und legte sich in die nächste Welle, die ihn vorwärtsbrachte. Dort war das Lachen der Kinder, die über den Strand tollten, zu dem ihn die Fluten trugen, und da war auch die Gruppe von Jugendlichen, mit denen er gerne seine Zeit hier verbrachte. Die Sonne schien stärker, kaum dass er sich auf dem Surfbrett aufrichtete. Mit jedem Ritt durch das Wasser wurde es eine Spur wärmer und der kalte Wind verwandelte sich in eine sanfte Sommerbrise, die für eine leichte Abkühlung sorgte. Dort waren die Heranwachsenden und auch er war dabei. Die kurzen, schwarzen Haare bildeten einen Kontrast zu seinen eigenen und obwohl er viel draußen unterwegs war, wurde seine Haut nie braun. Er war das Gegenteil von ihm und das faszinierte den jungen Surfer. „Sam!“ Die kleine Gruppe kam auf ihn zu gerannt, kaum dass sein Surfbrett Bodenhaftung gewann und er ebenfalls auf den Strand trat. Drei Jugendliche, aber er blieb im Schatten sitzen. Er war immer erst im Spätsommer bereit dabei zu sein. Jetzt saß er nur am Rand und dennoch konnte Sam seine Augen nicht von ihm abwenden. „Schön, dass du wieder da bist!“ Man klatschte ihn ab. Oben, unten und in der Mitte, bevor man sich herzlich umarmte. Ihr persönlicher Gruß, den er mit jedem vollzog. „Ich komme immer wieder gerne zu euch. Mit euch habe ich die geilste Zeit ever.“ Als er alle begrüßt hatte, lief Sam zu dem Jungen im Schatten und lächelte ihn an. Auch sie durchliefen den Gruß bis zur Umarmung. Dort war der Duft nach Sommer, der von ihm ausging und Sam festhielt. Die Wärme, die von ihm ausstrahlte, obwohl er im Kühlen saß. So viel Hitze ohne die Hilfe der Sonne. Sam ließ dies nicht kalt, dennoch lösten sie sich wieder voneinander. „Immer noch erstmal Reservebank, Theo?“ Ein kurzes Nicken war die Antwort und dann ein Schulterzucken. „Wie immer halt. Ich brauch ein wenig länger, um mich an die Sonne zu gewöhnen. Aber es macht auch Spaß euch zu zusehen.“ „Feuer mich vernünftig an, ja?“ Sam knuffte ihn gegen die Schulter und schon kam ein empörter Aufschrei von hinten. „Hey! Theo ist unparteiisch! Der feuert niemanden an! Das wäre unfair.“ Sam lachte stumm auf und zwinkerte Theo nur kurz zu, bevor er sich dann mit erhobenen Händen wieder zu den anderen umdrehte. „Ich hab gar nichts gemacht. Außerdem brauche ich keine Anfeuerung, um euch alle fertig zu machen.“ Er rannte an ihnen vorbei direkt auf sein Surfbrett zu und stürzte sich dann mit ihm zusammen in die Wellen. Dort war der Blick von Theo, der ihn einen Schauer über den Rücken jagte und gleichzeitig beflügelte. Er kam nur wegen ihm immer wieder hierher zurück. Jedes Jahr aufs Neue an diese Klippe und warf sich in die Tiefen, um ihn dann zu finden. „Er ist dein Tamashi. Wenn die Zeit reif ist, wird er dir in deine Welt folgen und dir dabei helfen deine Energie weiterzugeben, damit sie nicht übermächtig wird und dich selbst zerstört. Aber dafür hast du noch Zeit. Deine Macht muss erst noch wachsen.“ Die Erklärung seiner Mutter hallte in seinen Gedanken nach, als er an seine Beichte dachte. Bisher waren immer alle mit dem gegengeschlechtlichen Part zurückgekommen. Er selbst verstand es nicht, warum er so an diesem Jungen hing, die ihn die Zeit in seiner Heimat unerträglich machte. Aber scheinbar war es kein Problem. Die Verbindung musste nur stimmen. „Sam?! Träumst du? Wir hängen dich noch ab!“ Der Ruf von einem seiner Freunde riss ihn aus seinen Gedanken. Sofort bemerkte er, dass er auf dem letzten Platz war. Durch diese Tatsache schwoll Ehrgeiz in seiner Brust an und schenkte ihm Kraft. Er schob sich einmal kurz vorwärts mit den Armen, bevor er aufstand und dann zu los surfte. Dort waren Wellen, die versuchten ihn zu verschlingen, doch er entkam den nassen Fluten jedes Mal aufs Neue. Er liebte diese Geschwindigkeit. Das Rauschen um sich herum und dieses Zwielicht des Meeres, dem er gegenüberstand, wenn er durch einen Wellentunnel fuhr. Seine drei Freunde landeten immer wieder im kühlen Nass, während er auf dem Surfbrett blieb. Er war der Beste. Dies war sein Element. Das Wasser und die Sonne. Der Wind, der die Wellen formte und das Ganze erst ermöglichte. Jedes Mal, wenn er hier war, wünschte er sich, niemals wieder zu gehen. Er wollte auf ewig mit seinen Kameraden die Wellen reiten, über alles und nichts reden und dabei Eis essen. Alleine bei dem Gedanken zurückzukehren, wurde sein Herz schwerer. Doch auch jetzt vergingen die drei Monate viel zu schnell, aber anders als sonst, war dort kein Ziehen und Drängen. Das Portal rief ihn nicht. Sein Onkel schien noch zu schlafen. Er hatte ihn schon lange nicht mehr wach zu Hause erlebt und kurz legte sich Sorge über seine Schultern. Die wurde jedoch sofort von dem Arm von Theo hinunter gestoßen. „Hey, Sam. Was ist los? Musst du bald gehen?“ Diese Hitze ließ seinen Körper kalt wirken. Kein Mensch war wärmer als Sam. Niemand, außer Theo und so genoss er dessen Nähe jedes Mal wieder. Endlich saß er auch bei ihnen im Sand an ihrem Lagerfeuer. Die Sterne strahlten am Firmament und ihre Zelte standen hinter ihnen im Kreis. Vier Stück. Sam besaß keines. Er schlief immer bei Theo mit. „Nein, ich kann wohl noch ein wenig bleiben.“ „Wie kommt es? In drei Tagen fängt die Schule wieder an. Normalerweise bist du dann längst weg. Musst du nicht auch zur Schule gehen?“ Er lächelte darüber. Dieses Wort hatten sie schon öfters genannt, doch er verstand es nicht. Zuhause wurde ihm alles Wichtige von seiner Familie beigebracht. Das kam dem Prinzip Schule wohl am nächsten. „Ja, ich weiß. Aber scheinbar kann ich noch ein wenig länger bleiben.“ Er lächelte und beantwortete die fragenden Blicke seiner Freunde mit einem Schulterzucken. „Ich weiß es auch nicht. Mein Onkel scheint sich zu verspäten.“ „Das find ich gar nicht so schlecht. Solange du da bist, ist der Sommer da. Ich mag es, wenn es warm ist und man die ganze Zeit draußen sein kann.“ Das Mädchen lächelte breit und ließ sich dann nach hinten in den Sand fallen. „Wenn es nach mir ginge, könntest du für immer hierbleiben. Dann wird der Sommer bestimmt nie enden.“ „Ach, Klara. Das ist jetzt aber Schwachsinn. Was hat Sam schon mit dem Sommer zu tun? Er kommt halt immer in den Sommerferien hierher. Das ist alles. Der Herbst kommt, egal, ob Sam bleibt oder nicht.“ Der zweite Junge im Bund schlug ihr leicht gegen die Schulter, was diese mit einem wehleidigen Laut quittierte. Sam selbst lächelte nur darüber. Seine Eltern hatten es ihm verboten über seine Kräfte zu sprechen. Dafür war er noch zu schwach. Erst, wenn es so weit war Theo mit in seine Welt zu nehmen, durfte er seine wahre Identität offenbaren, weil er dann in der Lage war ein Portal zu öffnen und bei Gefahr entkommen konnte. Aktuell musste er darauf warten, dass sein Onkel es öffnete. „Ja, der Herbst wird bald kommen.“ Er lächelte und sah zu den Sternen, die um die Wette funkelten. Diese Momente liebte er an seiner Zeit in der Menschenwelt, wenn er mit seinen drei Freunden hier saß und dem Rauschen der Wellen lauschte. „Hey, wisst ihr was? Ich habe meinen Eltern Marshmallow aus den Rippen geleiert. Kommt, braten wir sie über dem Feuer!“ Er huschte kurz in das Zelt hinter ihm und kam einen Augenblick später mit vier Stöcken und einem Beutel voller Marshmallow zurück. Freude brach unter seinen Freunden aus, die ihn ansteckte. Sofort wurden die Stäbe verteilt und dann pikste jeder einen Marshmallow auf, den er ins Feuer hielt. Der Geruch von verbranntem Zucker lag in der Luft und Sam wünschte sich, dass sein Onkel noch eine Weile brauchte, bevor er erwachte. Diese Momente waren perfekt. Theo an seiner Seite, gemeinsam mit Klara und Benedikt. Sie unterhielten sich lange über alles Mögliche und aßen die Packung Marshmallow leer. Erst dann krabbelten sie in ihre Zelte und Sam legte sich neben Theo. Dort war wieder diese Wärme, die sofort die Kühle des Abends vertrieb und Sam unter die Haut kroch. Doch auch wenn er sich an ihn schmiegen wollte, blieb er auf seiner Seite liegen und atmete den Duft nach Zitrone und Orange, der sich mit dem Geruch des Meeres vermischte, ein. Er entspannte ihn und geleitete ihn in einen angenehmen Schlaf. Ich will noch ein bisschen hierbleiben. Es war dieses leichte Ziehen an seinen Gedanken und seinem Herzen, das ihn wieder aus dem Schlaf holte. Theo schlief und schnarchte leise, was Sam lächeln ließ, doch der Drang zu gehen wurde stärker. Er schlüpfte aus dem Zelt und sah den Nebel, der sich über den Strand legte. Die Wärme verschwand mit jedem seiner Atemzüge mehr und der Zug wurde drängender. Ein letzter Blick auf Theo. „Bis zum nächsten Sommer.“ Ein leises Flüstern und wie der Nebel legte sich dieser Satz über den Strand, den Sam hinter sich ließ. Sein Surfbrett in der Hand kehrte er an die Portalstelle zurück. Dort stand eine junge Frau, die sehnsüchtig die Gegend beobachtete und auf etwas zu warten schien. Sam hatte sie schon das Jahr zuvor bemerkt. Ob sie auf seinen Onkel wartete? „Er kommt gleich.“ Mit diesen Worten rannte er voller Freude an ihr vorbei durch den Nebel in das Portal, das sich geöffnet hatte. Autumn kam ihm entgegen. Die Ringe unter seinen Augen waren dunkel und er sah miserabel aus. Die Angst, die er all die Jahre schon dort gesehen hatte, war tief in sein Gesicht eingraviert. „Hey, Onkelchen. Hast dir ja eine süße Schnitte ausgesucht. Wird auch Zeit, dass du endlich mal zum Schuss kommst.“ Er lachte auf und schlug ihm sanft gegen die Schulter. Die Hoffnung in Autumns Mimik kam zurück und der schlanke Riese richtete sich auf, um dann schon davon zu eilen. Sam kam erneut Theos Antlitz in den Sinn und er kannte das Gefühl. Jedes Mal freute er sich darauf, den Jungen zu sehen, wenn er durch diesen weißen Gang schritt. Jetzt musste er wieder neun Monate auf ihn verzichten. Eine Zeit, die ihn wie eine kleine Ewigkeit vorkam, in der man ihm mehr von seiner Zukunft erzählte, die so fern schien. „Wann kann ich ihn mit mir nehmen, Mama?“ Sam sah seine Mutter flehend an. „Ich will ihn dort nicht länger zurücklassen.“ „Wenn ihr erwachsen seid. Jetzt würde man ihn nicht gehen lassen, Sam. Ich kann dich verstehen. Deinen Vater habe ich auch schon sehr früh kennen gelernt und ich musste lange warten. Aber dafür kam er auch, ohne zu zögern, mit mir.“ Sie strich ihm sanft über den Kopf. „Gedulde dich noch vier Sommer, dann kannst du ihn auch mit dir nehmen, Sam.“ Vier Sommer. Das war zu lange. Sam wollte Theo jetzt bei sich haben. Jedes Jahr aufs Neue hatte er Angst, dass der andere nicht mehr in dem Schatten saß, wenn er an den Strand kam. Sam wusste nicht, was er dann tat, doch der Kuss seiner Mutter auf sein Haupt beruhigte ihn und er nickte. Theo verschwand nicht. Er war sein Tamashi. Sie waren füreinander bestimmt und so wäre er auch da, wenn er endlich mit ihm kommen konnte. Ganz sicher. Lieber Sam, Ich musste leider wegziehen. Aber ich komme wieder hierher zurück, sobald ich kann. Versprochen. Ich werde unter dem Sonnenschirm sitzen, wenn du aus dem Meer auftauchst. Sowie ich frei von allem bin. Okay? Dein Theo
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