Kapitel 2

860 Worte
GIOVANNIS PERSPEKTIVE „Hast du gerade Scheidung gesagt? Ist dieses Wort für dich ein Witz?“ fragte er, seine Stimme schwer vor Erschöpfung. „Warum benimmst du dich so kindisch? Wie kannst du die Worte eines Kindes so ernst nehmen?“ „Ich will dieses Gespräch jetzt nicht führen. In meinem Kopf ist schon genug los.“ Er ließ mich nicht einmal ausreden. Dachte er wirklich, ich werfe dieses Wort nur leichtfertig in den Raum? Er musste wissen – ich meine es todernst. Er war im Begriff hinauszugehen, blieb jedoch stehen. „Warte nicht auf mich. Ich komme nicht zurück. Ich habe Wichtigeres zu tun – nicht diesen Unsinn“,sagte er und schlug die Tür hinter sich zu. Selbst wenn er monatelang wegblieb – wer sollte ihn schon aufhalten? Aber er sollte begreifen: Ich scherze nicht. Ich hasse es, dass er immer wegläuft, wenn wir reden. Doch wer bin ich, mich zu beschweren? Ich war in seinem Leben nur, weil ich nützlich war. Ein Mittel zum Zweck. Aber das wird sich ändern. Ich weigere mich, im Schatten meines eigenen Lebens zu stehen. Mein Blick fiel auf den zerbrochenen Preis am Boden. Tränen trübten meine Sicht. Das war mein einziger Erfolg. Das Einzige, was mich daran erinnerte, dass ich einmal jemand war – eine glänzende Schülerin, die bereit war, als Musikerin durchzustarten. Ich wünschte, ich könnte ihn reparieren. Doch was hält schon zerbrochenes Glas zusammen? Ich saß da, als würden Antworten von der Decke fallen. Schlaf fand mich in dieser Nacht nicht. Schließlich sammelte ich die Scherben vorsichtig auf und legte sie in eine kleine Schachtel. Wenn ich meinen Preis nicht im Ganzen haben konnte, dann wenigstens die Teile. Mein Wecker klingelte – es war Morgen. In diesem Moment vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Mama: „Komm nach Hause.“ Es überraschte mich kaum. Fast so, als hätte ich es erwartet. Ich zog mir schnell etwas Einfaches an und machte mich auf den Weg. *** Als ich ankam, ging ich direkt ins Wohnzimmer. Mamadeckte den Tisch, stellte Teller hin, als wäre alles normal. „Komm her, Tochter. Lass uns erst essen, bevor wir reden“,sagte sie mit einem Lächeln. „Ich habe dein Lieblingsessen gekocht.“ Ihre Freude war unverkennbar – doch ich lächelte nicht zurück. Ich kannte diesen Trick. Mit Essen wollte sie mich milde stimmen, bevor sie das sagte, was sie wirklich wollte. Ich rührte mich nicht. Mein Blick sprach Bände. Sie wischte sich die Hände ab und setzte sich neben mich aufs Sofa. „Eric ist nur ein Kind“, begann sie sanft, wie immer. „Du solltest ihn inzwischen verstehen. Er leidet unter dem Verlust seiner Mutter. Das solltest du wissen. Ich schnaubte. „Ich war da“,sagte ich leise, aber schwer. „Ich habe alles gegeben, damit er die Liebe einer Mutter spürt. Ich habe mich geopfert – doch er hat es nie geschätzt.“ „Denk daran, er ist dein Blut. Dein eigener Neffe, geboren von deiner Schwester“,sagte sie mit gedämpfter Stimme. „Ich habe mein Bestes gegeben, Mama. Alles. Aber nicht mehr. Ich bin müde. Ich will mich selbst wiederfinden“,sagte ich, während die Schwere in meiner Brust aufstieg. Früher war ich glücklich – wirklich glücklich. Selbst als Papa meine musikalischen Träume nicht unterstützte, schlich ich mich hinaus, um aufzutreten, zu singen, zu leben. Das war das Leben, das ich wollte. Nicht dieses hier. Sie schwieg einen Moment, atmete tief. „Wenn du das nicht mehr willst, dann zwinge ich dich nicht. Du hast dein Bestes getan, so lange du konntest.“ Zum ersten Mal sagte sie etwas, das ich wirklich hören wollte. Sie zog einen braunen Umschlag hervor und legte ihn auf den Tisch. „Hier. Unterschreib.“ Langsam öffnete ich ihn und zog die Papiere heraus. „Scheidungspapiere.“ Es stand fettgedruckt oben. Ein Schauer von Erleichterung durchströmte mich. Endlich würde ich diesen Familiennamen Leonardo ablegen. Ohne zu zögern griff ich nach dem Stift daneben und unterschrieb. **** Später als geplant kam ich nach Hause. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss – er drehte sich, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie war von innen verriegelt. Die Türglocke funktionierte ebenfalls nicht; die Batterie war leer. Erst gestern hatte ich den Butler angewiesen, sie zu reparieren. Ich klopfte heftig, doch niemand reagierte. Dann öffnete Eric die Tür. „Also hast du es gewagt, wiederzukommen. Ich hatte gehofft, dich würde ein Auto überfahren, damit du diese Welt verlässt. Das waren seine ersten Worte. Die Wolken verdichteten sich, bald würde Schnee fallen. Es war Winter. „Lass mich rein. Es wird gleich schneien“,,“ sagte ich leise. „Eric, komm her! Der Schnee fängt gleich an. Du erkältest dich noch“,hörte ich eine Frauenstimme rufen. Sie kam näher – und ich erkannte sie sofort. Stephanie Lewis – Marks angebliche Geschäftspartnerin und Freundin. Sie sah mich an, Verachtung in ihren Augen. „Geh dorthin zurück, wo du herkommst“,sagte sie kalt. „Denn heute Nacht gehöre ich hierher.“ Dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Ich stand da, schweigend. Der Schnee begann zu fallen – erst sanft, dann dichter.
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