Chapter 3

2025 Palabras
Die Republik, redete er weiter, habe ihre Teilung nach Völkern, ihre Bräuche und ihren Glauben geachtet. Sie seien frei in Karthago! Was aber die Schalen der Garde anbeträfe, so sei das Privateigentum. Da sprang ein Gallier, der neben Spendius gestanden hatte, über die Tische weg, gerade auf Gisgo zu und fuchtelte drohend mit zwei bloßen Schwertern vor ihm herum. Ohne seine Rede zu unterbrechen, schlug ihn der General mit seinem schweren Elfenbeinstab auf den Kopf. Der Barbar brach zusammen. Die Gallier heulten. Ihre Wut teilte sich den andern mit und drohte sich gegen die Leibwache zu richten. Gisgo zuckte die Achseln, als er die Gardisten erbleichen sah. Er sagte sich, daß sein eigner Mut gegenüber rohen, erbitterten Bestien nutzlos sei. Besser wäre es, dachte er, sich später durch eine Hinterlist an ihnen zu rächen. Er gab seinen Kriegern einen Wink und zog sich langsam zurück. Unter der Pforte aber wandte er sich noch einmal nach den Söldnern um und rief ihnen zu, das solle sie eines Tages gereuen. Das Gelage begann von neuem. Doch Gisgo konnte zurückkommen und sie durch Umstellung der Vorstadt, die an die äußeren Wälle stieß, gegen die Mauern drücken. Trotz ihrer Anzahl fühlten sie sich mit einem Male verlassen; und die große Stadt, die im Dunkel unter ihnen schlief, flößte ihnen plötzlich Furcht ein mit ihrem Treppengewirr, mit ihren hohen düstern Häusern und ihren unbekannten Göttern, die noch grauenhafter waren als selbst die Bewohner. In der Ferne spielten Scheinwerfer über den Hafen hin. Auch im Tempel Khamons war Licht. Da gedachten sie Hamilkars. Wo war er? Warum hatte er sie verlassen, als der Friede geschlossen war? Sein Zerwürfnis mit dem Rat war gewiß nur Blendwerk, um sie zu verderben. Ihr ungestillter Haß übertrug sich auf ihn. Sie verfluchten ihn und entfachten ihren Zorn aneinander zur Wut. In diesem Augenblick entstand ein Auflauf unter den Platanen. Mit Händen und Füßen um sich schlagend, wand sich ein Neger auf dem Boden, mit stierem Blick, verrenktem Hals und Schaum auf den Lippen. Jemand schrie, er sei vergiftet. Da wähnten sich alle vergiftet. Sie fielen über die Sklaven her. Ein furchtbares Geschrei erhob sich, und ein Taumel wilder Zerstörungswut erfaßte das trunkene Heer. Man schlug wie blind um sich, zerbrach und mordete. Einige schleuderten Fackeln in die Baumkronen. Andre lehnten sich über die Brüstung der Löwengrube und schossen nach den Löwen mit Pfeilen. Die Verwegensten liefen zu den Elefanten, um ihnen die Rüssel abzuschlagen. Es gelüstete sie nach Elfenbein. Inzwischen waren balearische Schleuderer, um gemächlicher plündern zu können, um die Ecke des Palastes gelaufen. Sie stießen auf ein hohes Gitter aus indischem Rohr, durchschnitten die Riemen des verschlossenen Tores mit ihren Dolchen und befanden sich nun unter der Karthago zugewandten Palastfront in einem zweiten Garten mit verschnittenen Hecken. Lange Reihen dicht aneinander gepflanzter weißer Blumen beschrieben hier auf dem azurblauen Boden weite Bogen gleich Sternenketten. Die dunkeln Gebüsche hauchten schwüle Honigdüfte aus. Mit Zinnober bestrichene Baumstümpfe schimmerten wie blutige Säulen. In der Mitte des Gartens trugen zwölf kupferne Träger je eine große Glaskugel, in deren Rundungen bizarre rötliche Lichter spielten; sie glichen riesigen, lebendigen, zuckenden Augäpfeln. Die Söldner leuchteten mit Pechfackeln, indes sie über den abschüssigen und tief umgegrabenen Boden stolperten. Da erblickten sie einen Weiher, der durch Wände von blauen Steinen in mehrere Becken zerlegt war. Das Wasser war so klar, daß das Licht der Fackeln bis auf den Grund fiel und auf einem Bett von weißen Steinen und Goldstaub zitterte. Das Wasser begann zu schäumen. Sprühende Funken glitten durch die Flut, und große Fische, die Edelsteine am Maule trugen, tauchten zur Oberfläche empor. Die Söldner steckten ihnen unter lautem Gelächter die Finger in die Kiemen und trugen sie zu ihren Tischen. Es waren die Fische der Barkiden. Sie stammten sämtlich von jenen Urquappen ab, die das mystische Ei ausgebrütet hatten, aus dem die Göttin entstanden war. Der Gedanke, einen gottlosen Frevel zu begehen, reizte die Begierde der Söldner. Flugs machten sie Feuer unter ehernen Becken und ergötzten sich daran, die schönen Fische im kochenden Wasser zappeln zu sehen. Die Söldner schoben und drängten sich. Sie hatten keine Furcht mehr. Von neuem begannen sie zu zechen. Die Salben, die ihnen von der Stirn trieften, flossen in schweren Tropfen auf ihre zerrissenen Waffenröcke. Sie stemmten beide Ellbogen auf die Tische, die ihnen wie Schiffe zu schwanken schienen, und schauten mit stieren, trunkenen Blicken umher, um wenigstens mit den Augen zu verschlingen, was sie nicht mitnehmen konnten. Andre stampften mitten unter den Schüsseln auf den purpurnen Tischdecken herum und zertrümmerten mit Fußtritten die Elfenbeinschemel und die tyrischen Glasgefäße. Gesänge mischten sich in das Röcheln der Sklaven, die zwischen den Scherben der Trinkgefäße ihr Leben aushauchten. Man forderte Wein, Fleisch, Gold. Man schrie nach Weibern. Man phantasierte in hundert Sprachen. Einige glaubten sich im Dampfbade wegen des Brodems, der sie umwogte. Andre wähnten sich beim Anblick des Laubwerks auf der Jagd und stürmten auf ihre Gefährten ein wie auf Wild. Das Feuer sprang von Baum zu Baum, und die hohen grünen Massen, aus denen lange weiße Rauchkringel emporstiegen, sahen wie Vulkane aus, die zu qualmen beginnen. Das Geschrei nahm zu. Im Dunkeln brüllten die verwundeten Löwen. Mit einem Schlage erhellte sich die oberste Terrasse des Palastes. Die Mitteltür tat sich auf, und eine weibliche Gestalt, Hamilkars Tochter, in einem schwarzen Gewande, erschien auf der Schwelle. Sie stieg die erste Treppe hinab, die schräg vom obersten Stockwerk abwärts lief, dann die zweite, die dritte. Auf der untersten Terrasse, am oberen Ende der Freitreppe mit den Schiffsschnäbeln, blieb sie stehen. Unbeweglich und gesenkten Hauptes schaute sie auf die Soldaten hinab. Hinter ihr standen zu beiden Seiten zwei lange Reihen bleicher Männer in weißen rotgesäumten Gewändern, die in senkrechten Falten bis auf die Füße herabwallten. Sie hatten weder Bärte noch Haare noch Brauen. In ringfunkelnden Händen trugen sie riesige Lyren, und mit gellenden Stimmen sangen sie einen Hymnus auf Karthagos Göttlichkeit. Es waren die Eunuchenpriester aus dem Tempel der Tanit, die Salambo des öfteren in ihr Haus berief. Salambo stieg die Galeerentreppe hinunter. Die Priester folgten. Dann schritt sie die Zypressenallee hin, langsam, zwischen den Tischen der Hauptleute, die ein wenig zur Seite rückten, als sie vorüberging. Ihr Haar war mit einer Art violetten Staubes gepudert und nach der Sitte der kanaanitischen Jungfrauen hochgetürmt. Es ließ sie größer erscheinen, als sie wirklich war. An den Schläfen festgesteckte Perlenschnüre hingen bis an die Winkel ihres Mundes herab, der wie ein aufgesprungener Granatapfel glühte. Auf der Brust trug sie einen Schmuck aus blitzenden Edelsteinen, bunt wie das Schuppenkleid einer Muräne. Ihre diamantgeschmückten Arme traten nackt aus der ärmellosen schwarzen Tunika hervor, die mit roten Blumen bestickt war. Zwischen den Knöcheln trug sie ein goldnes Kettchen, das ihre Schritte regelte, und ihr weiter dunkelpurpurner Mantel aus fremdländischem seltenen Stoffe schleppte hinter ihr her. Von Zeit zu Zeit griffen die Priester auf ihren Leiern halb erstickte Akkorde, und wenn diese Musik schwieg, vernahm man das leise Geklirr des Goldkettchens und das taktmäßige Klappen der Papyrussandalen Salambos. Niemand kannte sie bis dahin. Man wußte nur, daß sie zurückgezogen in frommer Andacht lebte. Soldaten hatten sie manchmal nachts auf dem flachen Dache des Palastes gesehen, wie sie zwischen den Wirbeln qualmender Räucherpfannen vor den Sternen auf den Knien lag. Der Mondschein hatte sie blaß gemacht, und etwas Göttliches umwob sie wie leiser Duft. Ihre Augen schienen über das Irdische hinweg in weite Fernen zu schauen. Gesenkten Hauptes schritt sie dahin, in der Rechten eine kleine Lyra aus Ebenholz. »Tot! Alle tot!« hörte man sie murmeln. »Nie mehr werdet ihr, meinem Rufe gehorsam, zu mir eilen wie einst, wenn ich am Rande des Wassers saß und euch Melonenkerne zuwarf. Der Tanit Geheimnis kreiste auf dem Grunde eurer Augen, die klarer waren als die Wasserblasen der Ströme.« Und sie rief sie bei ihren Namen, den Namen der Monate: »Sivan, Thammus, Elul, Tischri, Schebar ... O Göttin, erbarme dich meiner!« Die Söldner umdrängten sie, ohne ihre Rede zu verstehen. Sie staunten ihren Schmuck an. Salambo aber ließ einen langen erschrockenen Blick über die Menge gleiten, zog dann den Kopf zwischen die Schultern und rief, indem sie die Arme erhob, mehrere Male: »Was habt ihr getan! Was habt ihr getan! Hattet ihr nicht Brot und Fleisch und Öl und alles Malobathron aus den Speichern, um euch zu erlaben? Aus Hekatompylos hatte ich Ochsen kommen lassen. Jäger hatte ich in die Wüste geschickt ...« Ihre Stimme schwoll an, ihre Wangen röteten sich. »Wo seid ihr denn hier? In einer eroberten Stadt oder im Schlosse eines Herrschers? Und welches Herrschers? Meines Vaters, des Suffeten Hamilkar, des Dieners der Götter! Er war es, der sich weigerte, eure Waffen dem Lutatius auszuliefern, eure Waffen, an denen jetzt das rote Blut seiner Sklaven klebt! Kennt ihr einen in euern Heimatlanden, der besser Schlachten zu lenken weiß? Schaut empor! Die Treppenstufen unsres Schlosses strotzen von den Zeichen unsrer Siege. Fahrt nur fort! Verbrennt es! Ich werde den Genius meines Hauses mit mir nehmen, meine schwarze Schlange, die da oben auf Lotosblättern schlummert. Ich pfeife, und sie wird mir folgen. Und wenn ich in die Galeere steige, wird sie im Kielwasser meines Schiffs auf dem Schaume der Wogen hinter mir hereilen ...« Ihre feinen Nasenflügel bebten. Sie zerbrach ihre Fingernägel an den Juwelen auf ihrer Brust. Der Glanz ihrer Augen ermattete. Abermals begann sie: »O, armes Karthago! Beweinenswerte Stadt! Du hast zu deinem Schutze nicht mehr die Helden der Vorzeit, die über die Ozeane schifften, um an fernen Küsten Tempel zu erbauen! Alle Länder arbeiteten für dich, und die Meeresfläche, von deinen Rudern gepflügt, wiegte deine Beute!« Dann begann sie von den Abenteuern Melkarths zu singen, des Gottes der Sidonier und des Ahnherrn ihres Hauses. So erzählte sie von der Besteigung der ersiphonischen Berge, von der Fahrt nach Tartessus und dem Krieg gegen die Masisabal, um die Königin der Schlangen zu rächen. »Er verfolgte im Walde die Unholdin, deren Schweif sich über das dürre Laub schlängelte wie ein silberner Bach. Und er kam auf eine Wiese, wo Frauen auf den Flossen ihrer Drachenleiber um ein großes Feuer standen. Der Mond, rot wie Blut, leuchtete in einem bleichen Lichtkreis, und ihre scharlachroten Zungen, wie Fischerharpunen gespalten, schnellten gierig bis an die Flammen ...« Ohne innezuhalten, berichtete Salambo, wie Melkarth die Masisabal bezwang und ihr abgeschlagenes Haupt am Bug seines Schiffes befestigte. »Bei jedem Schlage der Wellen tauchte es in den Schaum! Doch die Sonne balsamierte es ein, und es ward härter denn Gold. Die Augen aber hörten nicht auf zu weinen, und die Tränen rollten beständig in das Meer ...« Das alles sang Salambo in einer alten kanaanitischen Mundart, die keiner der Barbaren verstand. Sie fragten sich, was sie ihnen mit den furchtbaren Gebärden, die ihren Gesang begleiteten, wohl sagen wollte. Aber sie lauschten ihr, indem sie auf die Tische, die Liegebänke und in die Äste der Sykomoren stiegen, mit offenem Mund und vorgestrecktem Kopfe, und mühten sich, die geheimnisvolle Sage zu fassen. Das Dunkel, das über dem Ursprung der Götter liegt, wallte vor ihrer Phantasie, wie Gespenster in den Wolken. Nur die bartlosen Priester verstanden Salambo. Ihre welken Hände hingen zitternd in den Saiten der Leiern und entlockten ihnen von Zeit zu Zeit einen dumpfen Akkord. Schwächer als alte Weiber, bebten sie gleichzeitig in mystischen Schauern und in Furcht vor den Kriegern. Die Barbaren achteten ihrer nicht. Sie lauschten dem Gesange der Jungfrau. Keiner aber sah sie so unverwandt an wie ein junger numidischer Häuptling, der am Tische der Hauptleute unter den Soldaten seines Volkes saß. Sein Gürtel starrte dermaßen von Wurfspießen, daß er unter dem weiten Mantel, der mit einem Lederriemen um seine Schläfen befestigt war, einen Höcker bildete. Der Mantel bauschte sich auf seinen Schultern und beschattete sein Gesicht, so daß man nur das Feuer seiner beiden starren Augen gewahrte. Er wohnte zufällig dem Feste bei. Es war Brauch, daß die afrikanischen Fürsten, um Bündnisse anzuknüpfen, ihre Kinder in punische Patrizierhäuser schickten. So ließ ihn sein Vater in der Familie Barkas leben. Doch Naravas hatte Salambo in den sechs Monden seines Aufenthalts noch keinmal zu Gesicht bekommen. Jetzt nun, auf den Fersen hockend, den Bart in den Schäften seiner Wurfspieße vergraben, blickte er auf sie mit geblähten Nüstern, wie ein Leopard, der im Bambusdickicht kauert.
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