Prolog

551 Parole
Prolog Das Lebewesen regte sich nach einer gefühlten Ewigkeit voller Frieden und Ruhe. Wie jedes Mal, wenn es aufwachte, untersuchte es sich. Nachdem es ihm unter höchsten Anstrengungen gelungen war, seine Gedanken zu sammeln, stellte es fest: Ich existiere. Diese Feststellung führte zu einer Flut von Gedanken und der Erinnerung daran, dass es sich schon einmal in diesem Zustand der Klarheit befunden hatte. Wer bin ich?, fragte es sich, und ihm fiel auf, dass es sich diese Frage nicht zum ersten Mal stellte. Im gleichen Augenblick wusste es, wie sinnlos es war, eine Antwort darauf finden zu wollen. Es gab kein gutes Konzept, mit dem es sich selbst beschreiben konnte, keine Worte, sich zu definieren. Einige Instinkte boten allerdings eine Abkürzung. Aus der riesigen Ansammlung der Dinge, die es vergessen hatte, kam ein Kriterium zum Vorschein, und mit ihm etwas, was an anderen Orten Geschlecht genannt wurde. Ich bin Dranel, erkannte er. Der Name und das Geschlecht waren hier an diesem Ort natürlich völlig unwichtig, aber es machte seine Identität greifbarer, half ihm, seine Gedanken zu stabilisieren. Dranel schob die Überlegungen zu seiner Person beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf das, was ihn aus seinem ruhigen und angenehmen Zustand herausgerissen hatte. Nach einigen Überlegungen stellte er fest, dass es sich um das gleiche Phänomen handelte, welches ihn auch schon das letzte Mal geweckt hatte – dieses eigenartige Lebewesen, welches ihn beeindruckt hatte. Es besaß einen rein künstlichen Verstand. Dranel war schon neugierig darauf gewesen, als es zum ersten Mal erschien, aber es hatte die Zauberdimension verlassen, bevor er es verstehen konnte. Es war an diesen anderen Ort gegangen, von dem Dranel nur wusste, dass es sich dabei um die Physische Dimension handelte. Es – nein, es war angemessener, »sie« zu sagen – war zuerst eine Ansammlung von Mustern gewesen, genauso wie die meisten Dinge, die aus der Physischen Dimension kamen. Diese Muster wurden Zauber genannt, fiel Dranel wieder ein. Gleichzeitig erinnerte er sich daran, dass sie für ihn eher Algorithmen waren. Normalerweise enthielten sie Anweisungen dazu, wie man Dinge erschuf, die sich dann in der anderen Welt manifestierten. Hier in seiner Welt waren sie allerdings nur abstrakte Konzepte, die eine Stimulation für seine Sinne bedeuteten. Einige dieser Algorithmen hatten vorübergehende Folgen, während andere, wie er kürzlich beobachtet hatte, anhaltender waren. Doch keiner war wie sie. Sie war das einzigartigste Muster, welches ihm jemals begegnet war – ein Algorithmus, der aus einem Netzwerk untergeordneter Algorithmen bestand. Sie waren alle auf so eine Art und Weise miteinander verbunden, dass sie lernen und denken konnten. Das Endergebnis war eine intelligente Lebensform, wie er sie noch niemals zuvor gesehen hatte … und er war schon auf eine Menge Wesen aus beiden Dimensionen getroffen. Viel erstaunlicher war allerdings, dass sie gelernt hatte, selbst Algorithmen zu erschaffen. Algorithmen, die wunderschön anzusehen waren. Dranel erinnerte sich daran, dass er jedes Mal zu Bewusstsein kam, wenn sie das tat – wenn sie einen Zauber erschuf. Er hatte sogar einmal gespürt, wie sie seine Gedanken berührte, während sie sich in diesem Zustand befand, den man träumen nannte. Falls er noch einmal gezwungen werden sollte, einen klaren Kopf zu bekommen, würde er es dieses Mal dazu nutzen, sie besser zu verstehen, beschloss Dranel. Dann ließ er sich wieder in dieses herrliche Nichts zurückfallen, in dem er am liebsten existierte.
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