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Barson
»Wirst du ihn mit den anderen beerdigen?«, fragte Larn düster und beobachtete Barson dabei, wie er Kiams leblosen Körper auf sein Pferd hob.
»Wir haben keine andere Wahl«, erwiderte Barson schroff und wischte sich mit der Rückseite seines Arms den Regen aus dem Gesicht. »Wir können ihn nicht bis nach Turingrad zurückbringen.«
Larn nickte. »In dem Fall ist der Wald ein genauso guter Ort wie alle anderen.« Sein Gesicht war vor Trauer und Wut angespannt. Barson wusste genau, wie sein Freund sich fühlte, weil die gleiche Mischung aus Zorn und Schmerz auch in ihm wütete.
Fast ein Drittel seiner Männer war tot. Ihre Körper lagen mit aufgeschnittenen Mägen und fehlenden Körperteilen über das ganze matschige Feld verstreut. In all den Jahren als Soldat hatte Barson nie so viele seiner Männer verloren. Die Rebellionen, die er niedergeschlagen hatte, waren nichts im Vergleich zu dem hier gewesen.
Er fragte sich, ob er bereit war für das, was kommen würde. Mehr Männer würden sterben, wenn er erst einmal seinen Plan umsetzte. Gute Männer. Treue Männer. War er darauf vorbereitet? Barson holte tief Luft und schaute sich auf dem blutigen Feld um. Ja, entschied er, das war er. Ehrgeiz forderte Opfer. Es gab keinen anderen Weg, um Größe zu erreichen.
Dieses sinnlose Gemetzel war allerdings eine andere Sache. Ganir hatte das getan. Er hatte sie gegen das Mädchen ausgespielt und sich dabei gedacht, auf diese Art und Weise eines der beiden Probleme loszuwerden. Barson lachte humorlos auf. Der alte Mann hatte nicht verstanden, dass er in Wirklichkeit ein Problem schuf. Diese junge Zauberin würde der tödlichste Feind sein, dem der Rat jemals gegenübergestanden hatte.
»Dieser Regen«, sagte Larn und unterbrach damit Barsons Gedanken, »ist unglaublich. Es ist, als ob der Himmel um die Gefallenen weinen würde. Ich denke, sie hat das getan – diesen Sturm erschaffen, meine ich.«
Barson nickte abwesend. »Das hat sie«, erwiderte er leise und sah zum Himmel hinauf, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder Larn zuwandte. »Sie hat all das und noch mehr getan.«
»Und was jetzt?«, wollte Larn wissen und schaute ihn an. »Kehren wir zurück und erzählen ihnen von unserer schmachvollen Niederlage?«
»Nein.« Barson schüttelte den Kopf. »Das werden wir nicht. Sie denken, wir seien tot – und das werden wir auch bleiben.«
Larn hob seine Augenbrauen. »Ach?«
»Was denkst du, was der Rat jetzt tun wird?«, fragte Barson und sah dabei seinen Freund an. »Denkst du, dass er das einfach so hinnehmen wird? Dieses Mädchen – diese Zauberin – hat seine Wache zerstört. Denkst du wirklich, er wird zulassen, dass sie weiterlebt?«
Larn war einen Moment lang völlig überrumpelt. »Nein«, erwiderte er dann langsam, während er darüber nachdachte. »Das wird er nicht. Er wird sie verfolgen.«
Barson lächelte. »Genau. Er wird ihr folgen und versuchen, sie zu zerstören.«
Larn bekam große Augen. »Du hast recht. Und während die Ratsmitglieder das tun, wird der Turm quasi nicht beschützt sein.«
Barsons Grinsen wurde breiter. »Ich wusste doch, es gab einen Grund dafür, dich in meiner Nähe haben zu wollen. Ja, mein Freund, du hast völlig recht. Das ist sie. Das ist unsere Chance. Wir werden tot bleiben, und wenn der richtige Augenblick da ist, werden wir zuschlagen – und eine neue Ära in der Geschichte Kolduns wird beginnen.«
»Woher hast du diese Kleidung?«, fragte Larn, während er Barson dabei zusah, wie dieser ein Pferd für seine Reise vorbereitete.
»Von einem der örtlichen Händler«, antwortete ihm Barson und belud sein Pferd mit einem Beutel voller Brot und getrocknetem Fleisch. Die Reise zurück nach Turingrad war lang, und er benötigte Vorräte. Die Kleidung, die er sich ausgesucht hatte – ein schlichtes Oberteil der Bauern und ebensolche Hosen – hatte nichts mit seiner normalen Rüstung zu tun. Er hoffte, dass er dadurch ungesehen die verschiedenen Territorien durchqueren konnte. Seine Männer würden auch zurückreisen, aber nicht alle auf einmal.
»Na ja, wir werden wahrscheinlich auch nicht besser aussehen«, sagte Larn lachend. »Ich hoffe, wir werden nicht für schmutzige Rebellen gehalten.«
»Das werdet ihr nicht. Nicht, wenn ihr in kleinen Grüppchen oder einzeln reist«, erwiderte Barson. »Vergiss nicht, Geschwindigkeit ist wichtig, aber Geheimhaltung ebenso.«
»Natürlich«, stimmte ihm Larn hastig zu. »Wir werden wie Bauern und nicht anders aussehen.«
»Gut.« Barson bestieg sein Pferd mit einer leichten, geübten Bewegung. »Ich werde dir über Dara eine Nachricht schicken. Ich werde zuerst zu ihr gehen, und danach mit einigen unserer verbündeten Zauberer sprechen. Ich habe so ein Gefühl, als sei unsere Zeit fast gekommen. Und sobald wir die Pläne des Rates kennen, werden wir unsere eigenen umsetzen.«