Kapitel Eins
Ich schlucke einen Tropfen verdünntes Vampirblut.
»Alarm und Überwachung deaktiviert«, flüstert Felix in meinen Ohrhörer. »Einbruch und Eindringen kann beginnen.«
Bevor ich antworten kann, wirkt das Blut und nimmt das Gewicht von meinen Augenlidern, während sich mein Schlafentzug zurückzieht. Aber das Tröpfchen muss zu groß gewesen sein – oder ich habe es zu früh nach der letzten Dosis getrunken. Ich fühle einen unwillkommenen Nebeneffekt – orgastische Lust – aufkommen.
Ich umfasse den Dietrich so fest, dass es wehtut, und steche ihn mir in den Unterarm.
»Was zum Teufel …?«, ruft Felix. »Warum hast du das gemacht?«
Die Kamera an meinem Revers hat meinen heimlichen Schluck nicht aufgenommen, also kann ich verstehen, warum das an seinem Ende seltsam aussieht. »Vergiss es.«
Der Schmerz macht meine Euphorie schnell wieder zunichte, und ich danke meinen Glückssternen, dass ich mir die Zeit genommen habe, meine Ausrüstung zu sterilisieren, sonst hätte das mit Wundbrand geendet. Als ich den Dietrich aus meinem Arm ziehe, heilt die Wunde augenblicklich – und das Beste ist, es bleibt nichts von der orgastischen Lust zurück.
Geht doch. Ich habe dieses Vampirblut kein bisschen genossen, abgesehen von der Steigerung der Wachsamkeit, was das war, was ich wollte – und meiner Libido, die auf das Niveau eines Teenagers in einem Stripclub emporschnellte.
»Ich dachte, deine Zwangshandlungen wären auf Reinigungsrituale beschränkt.« Felix klingt im Nachglühen des Vampirblutes bizarr sexy.
Ich antworte nicht. Stattdessen fühle ich schnell in mich hinein, um sicherzugehen, dass kein Teil von mir sich von der hochgradig süchtig machenden Substanz angezogen fühlt. Bei all meinen aktuellen Problemen wäre eine Vampirblut-Sucht wie von einer Klippe zu springen, nachdem ich mich in Zyanid ertränkt habe.
Alles gut bis jetzt. Ich greife nach dem Türknauf. »Ich gehe hinein.«
»Das ist auf dieser Welt illegal«, erinnert mich Felix, als ob ich das nicht schon wüsste.
»Was ist mit dem Hacken all dieser Banken?«, flüstere ich zurück. »Es würde dir auch nicht gefallen, wenn ich dir darüber einen Vortrag halten würde.«
Felix, ein Cogniti wie ich, wenn auch einer, der ständig auf der Erde wohnt, nennt sich selbst Technomant. Er kann die auf Silizium basierende Technologie dazu bringen, das zu tun, was er will, eine Macht, die er für Leistungen verschwendet, die jeder Mensch mit fundierten Computerkenntnissen vollbringen kann.
»Traumwandeln wird dir nicht helfen, dem menschlichen Gefängnis zu entkommen«, antwortet er. »Oder es zu überleben, was das betrifft.«
»Darüber lässt sich streiten.« Ich entscheide mich dagegen, ihm von der Zeit zu erzählen, als ich in einem seiner feuchten Träume auftauchte – um genau zu sein, den, in dem er sich vorstellte, dass er ein Wachmann war, der von verdächtig attraktiven weiblichen Sträflingen angegriffen wird. »Aber wenn du deine Arbeit richtig gemacht hast, werde ich nicht im Gefängnis landen.«
»Ich kann mich nur um den intelligenten Alarm kümmern. Wenn dieser Bernard paranoid genug ist, dann hat er vielleicht auch noch einen veralteten Alarm, und der wird losgehen, sobald du hineingehst. Oder er könnte einen Hund haben. Oder er könnte sogar wach sein.«
Ich werfe heimlich einen schuldigen Blick auf mein Handgelenk, wo die meisten Leute ein pelziges Armband sehen würden. Aber es ist eigentlich eine Kreatur namens Looft. Normalerweise leben seine Artgenossen auf kuhähnlichen Moofts, aber Pom, wie er sich selbst nennt, hat mich als seinen Wirt adoptiert. Im Moment schläft er, wie immer, aber der pechschwarze Schatten seines Fells spiegelt meinen inneren Aufruhr wider. Wenn ich sterbe, stirbt Pomsie mit mir. So funktioniert unsere Beziehung.
Also darf ich nicht sterben. Einfach.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf die schwere Holztür und streichele Pom, um mich zu beruhigen. Als meine Hände sich beruhigt haben und sein Fell einen neutraleren Blauton angenommen hat, knacke ich das Schloss.
»Im Ernst, Bailey«, sagt Felix, während ich den Türknauf berühre, »es muss bessere Wege geben, Geld zu verdienen. Mit deinen …«
Ich schalte den Ton aus. Offensichtlich gibt es legalere Wege, um Geld zu verdienen, aber diese Wege werden nicht annähernd so gut bezahlt wie ich von meinem aktuellen Arbeitgeber. Ich bin bereits einen Monat mit Mamas Arztrechnungen im Rückstand, und wenn ich in den nächsten zwei Wochen nicht zwei Millionen CC – das Kryptogeld von Gomorrha – zusammenkratze, werden sie die lebenserhaltenden Maßnahmen abstellen. In der wenigen Zeit, die mir noch bleibt, würde ich mit ehrlicher Arbeit nie so viel Geld verdienen. Deshalb musste ich auf Schlaf verzichten, um über die Runden zu kommen. Eigentlich habe ich seit Mamas Unfall vor vier Monaten nicht mehr als ein paar Stunden am Stück geschlafen, wobei ich anfangs auf natürlichem Weg wach geblieben bin, dann irgendwann pharmakologische Stimulanzien genommen habe und schließlich bei Vampirblut gelandet bin.
Ich greife in meine Tasche, nehme eine meiner letzten beiden Schlafgranaten heraus und drehe den Türknauf.
Kein Alarm ertönt.
Kein Hund bellt.
Niemand erschießt mich mit einer Pistole.
Ich drücke den Knopf an der Granate und werfe sie in die Wohnung.
Das Schlafgas zischt, während es sich im Inneren ausbreitet.
»Dieses Gas wirkt innerhalb von zwei Minuten«, flüstere ich zu Felix. »Wenn ein Hund da drin ist, oder Bernard wach war, schlafen sie jetzt.«
Ich schalte gerade wieder auf stumm, als Felix etwas über einen anständigen Plan murrt. Was er nicht erkennt, ist, dass uns der gefährlichste Teil dieses Jobs jetzt bevorsteht.
Ich schleiche auf Zehenspitzen in das Penthouse. Valerian, der Typ, der mich damit beauftragt hat, muss Bernard gut bezahlen. Das Apartment ist groß, besonders für New York, wo Immobilien fast so teuer sind wie in meiner Heimatwelt Gomorrha.
Ich suche das Schlafzimmer und schaue durch die Dunkelheit auf das Bett. Ja – Bernard ist in der Embryohaltung zusammengerollt, bedeckt von einer schweren Decke.
Ich schleiche zum Bett.
»Sieht er nicht aus wie Mario?«, flüstert Felix.
Diesen Mann mit dem digitalen Klempner zu vergleichen ist gar nicht so verrückt, wie es sich anhört. Als ich Felix zum ersten Mal traf, haben wir über unsere Liebe zu Videospielen eine Verbindung zueinander aufgebaut.
Ich betrachte das Gesicht des pummeligen Mannes mit dem Schnurrbart. »Eher wie Wario, Marios Erzrivale.«
»Keiner von beiden hat so eine Narbe.«
Er hat recht. Die Narbe auf Bernards Stirn gehört auf das Gesicht eines interdimensionalen Kriegers, nicht auf das eines Ingenieurs in einer VR-Firma auf der Erde.
»Und was jetzt?«, fragt Felix.
»Ich muss ihn berühren.«
Felix lacht leise.
Ich rolle mit den Augen. »Nicht auf eine schmutzige anzügliche Art.«
Ich schaue auf die Augenlider meines Opfers und suche nach schnellen Augenbewegungen. Nichts. Mist. Ich ziehe meine Handschuhe aus und tue mein Bestes, um mich auf die Unannehmlichkeiten vorzubereiten, die kommen werden – insbesondere auf den am wenigsten riskanten, aber ekelerregendsten Aspekt dessen, was ich tun werde.
Hautkontakt.
Die Schweißperle, die am Rand der Narbe auf Bernards Stirn wackelt, hilft nicht, ebenso wenig wie sein Mooftmist-Atem.
»Worauf wartest du?«, fragt Felix. »Ist es wieder deine Zwangsstörung?«
»Auf Hygiene zu achten bedeutet nicht, dass ich eine Zwangsstörung habe.« Ich berühre die Flasche mit dem Handdesinfektionsmittel in meiner Tasche, meinem Lebensretter hier auf der Erde. »Außerdem befindet er sich nicht im REM-Schlaf.«
»Was bedeutet, dass du diese gefährliche Subtraum-Kampfsache machen musst, wenn du ihn betrittst?«
»Bei dir klingt es viel zu sehr nach einer Vergewaltigung. Ich werde ihn nicht betreten. Ich besuche nur seine Träume. Aber ja, wenn diese Subtraum-Kampfsache mein Traum-Ich tötet, wird mein Ich in der echten Welt verrückt werden.«
Eigentlich ist das eine Untertreibung. Nicht lange vor ihrem Unfall, um mich davon abzuhalten, meine Kräfte zu benutzen, zeigte mir Mama Filmmaterial von dem, was mit einem Traumwandler passiert ist, der in der Traumwelt gestorben war. Er randalierte wie ein tollwütiger Kobold und schlachtete seine Opfer aus. Ich habe das überprüft, und selbst Jahre später wird er immer noch gefesselt in einer Gummizelle festgehalten.
»Du willst also warten, bis er in den REM-Schlaf eintritt?«, fragt Felix.
»Im Idealfall.«
»Wie lange wird das dauern?«
Ich seufze und konsultiere mein Telefon von der Erde. »Neunzig Minuten, wenn es mein Gas war, das ihn umgehauen hat.«
Ich höre Felix auf seiner Tastatur klicken. Dann sagt er: »Ich sehe, dass er Zolpidem nimmt. Ich bezweifele, dass es dein Gas war, das ihn betäubt hat.«
»Verdammt.« Ich widerstehe dem Drang, gegen das Bein des Bettes zu treten. »Diese Droge unterdrückt den REM-Schlaf. Vielleicht muss ich später wiederkommen oder …«
»Bailey.« Sein Ton wird schärfer. »Du wirst gleich Gesellschaft bekommen.«
Ich drehe mich zur Tür, und mein Herzschlag schnellt in die Höhe, als Poms Fell an meinem Handgelenk dunkel wird.
»Vampire«, rasselt Felix heraus. »Vollstrecker. Sie bewachen alle Ausgänge. Weglaufen wäre sinnlos.«
Verdammter Mist. Warum konnte es nicht irgendeine andere Art von Cogniti sein? Vampire schlafen nur, wenn sie wollen, also wird meine verbleibende Granate sie nicht außer Gefecht setzen – und ich habe nichts anderes zur Hand.
Mein Blick fällt auf den begehbaren Schrank in der Ecke des Schlafzimmers. »Kann ich mich verstecken?«
»Sie haben wahrscheinlich deine DNA. Wie sonst hätten sie dich mit solcher Präzision umstellen können?«
Er hat recht. Sogar ich wusste nicht, dass ich hier sein würde, bis ich meine verschlüsselte E-Mail vor einer Stunde gelesen habe. Das ist übel. Bewaffnet mit meiner DNA könnte mich ein Vampir überall im Cogniversum finden.
Ich streichele Pom und versuche, nicht in Panik zu geraten. »Was wollen sie?«
»Keine Ahnung«, sagt Felix, »aber ich bezweifle, dass sie sich für deinen Einbruch interessieren.«
»Vielleicht nicht, vielleicht aber doch.« Ich wirbele zurück in Richtung Bernard. »Klingt, als hätte ich keine Wahl. Wenn ich Mamas Lebenserhaltung laufen lassen will, muss ich reingehen, REM-Schlaf hin oder her.«
»Und ich werde mein Bestes tun, um die Vollstrecker hinzuhalten. Ich glaube, ich kann den Aufzug langsamer fahren lassen, vielleicht sogar …«
»Danke.« Das Zittern meiner Hände ignorierend, ziehe ich das Handdesinfektionsmittel heraus und schmiere es auf Bernards haarigen Unterarm. »Wird schon schiefgehen.« Ich greife nach dem – hoffentlich – dekontaminierten Hautstück.
In gewisser Weise hat dieser Mist auch seine Vorteil. Wenn der Subtraum mich tötet und ich in der realen Welt mordlustig verrückt werde, werden mich zumindest die Vampire niedermachen, bevor ich jemanden ausschlachten kann. Außerdem verdrängt das Adrenalin meine üblichen Ängste, Staphylococcus aureus und andere Keime von meinem Opfer zu bekommen.
Meine Finger berühren die Haut des Mannes, und meine Muskeln werden für einen Moment steif, während ich einen schwachen Hauch von Ozon einatme und das Gefühl habe, zu fallen. Dann verdunkelt sich der Raum um mich herum, und die Welt des Wachseins verschwindet.