KAPITEL 3
„Unsere Vorräte gehen zur Neige, Mel“, sagte Cal mit seiner kratzigen Stimme. „Das Essen reicht vermutlich noch für ein paar Tage, das Wasser ein paar Tage länger, wenn wir sparsam damit umgehen. Der Replikator, den du gefunden hast, hat endgültig den Geist aufgegeben.“
Melina betrachtete die hängenden Schultern ihres Großvaters. Er hatte in den letzten drei Tagen an dem Replikator gearbeitet und versucht, ihn wieder zum Laufen zu bringen. Sie lebten von den Dingen, die Melina in den letzten Monaten in verschiedenen Winkeln und Ritzen versteckt hatte, die sie bei ihren Streifzügen durch das Tunnellabyrinths des Asteroiden gefunden hatte, der in den letzten vier Jahren ihr Zuhause gewesen war.
„Es wird schon gut gehen, Opa“, antwortete sie und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich kann mich noch einmal auf die Suche machen. Irgendetwas müssen sie doch zurückgelassen haben.“
Cal sah seine zwanzigjährige Enkelin grimmig an. Sie trug nicht den übergroßen Hut, den sie normalerweise trug, um ihr langes dunkelbraunes Haar zu verbergen. Es war länger geworden und sie war genauso schön wie ihre Mutter und Großmutter in diesem Alter.
Jahrelang hatte er ihre Haare kurz schneiden müssen, um die Tatsache zu verbergen, dass Melina ein Mädchen war. Es half, dass sie zierlich war. Er wusste, dass sie in den letzten Jahren begonnen hatte, ihre Brust abzubinden, um ihre weibliche Figur vor den Kreaturen zu verbergen, die sie festhielten.
Es war schon gefährlich genug, wenn die verdammten Außerirdischen dachten, Melina sei ein Mann. Hätten sie herausgefunden, dass sie eine Frau war, hätte das tödliche Folgen für sie haben können. Sie wäre auf eine Weise benutzt worden, die Cal sich nicht einmal vorstellen wollte.
Seine müden Augen schweiften über die kleine Höhle, in der sie lebten, seit sie von der Erde entführt worden waren. Der Händler, der sie entführt hatte, hatte Melina und ihn an die Antrox verkauft, eine Reptilienart, die für ihre Profitgier bekannt war. Sie setzten Sklaven ein, um Erz von Asteroiden abzubauen. Sobald das Erz zur Neige ging, verließen sie den Asteroiden und nahmen alles mit, was von Wert sein könnte.
Er und eine Handvoll weiterer Männer waren als zu alt, schwach oder krank befunden worden, um mitgenommen zu werden, als sie vor zwei Monaten aufgebrochen waren. Man hatte ihnen für ein paar Tage Essen und Wasser dagelassen. Cal vermutete, dass dadurch ihr Tod beschleunigt werden sollte, da ihre Entführer wussten, dass zwischen den Zurückgebliebenen ein Kampf um die begrenzten Reserven an Nahrung und Wasser entbrennen würde.
Und sie hatten recht gehabt. Cal hatte mitbekommen, wie die zurückgebliebenen Männer aufeinander losgegangen waren. Er hatte sich hingegen darauf konzentriert, Melina zu finden. Seine Angst, dass sie verschleppt worden sein könnte, hatte alle anderen Gedanken überlagert. Schließlich hatte er sie in einem der verlassenen Tunnel gefunden, wo sie sich zusammen mit einem Paktorenfohlen versteckt hatte, das von Geburt an körperlich eingeschränkt war.
„Sie hätten es getötet, Opa“, hatte sie ihm gesagt, während sie das Tier gestreichelt hatte, das auf die Größe eines kleinen Elefanten heranwachsen würde. „Nur weil sie hinkt. Dabei ist sie so ein Schatz, ich konnte nicht zulassen, dass sie sie umbringen.“
Er erinnerte sich an den flehenden Blick in ihren Augen. Er war so erleichtert gewesen, dass sie es geschafft hatte, nicht mitgenommen zu werden, dass er es nicht übers Herz gebracht hatte, ihr zu sagen, dass sie keine Vorräte mehr hatten, geschweige denn für eine Paktorin, die in einer Woche ihr Gewicht in Nahrung verschlingen konnte.
Seine Enkelin hatte ihn mit ihrem Einfallsreichtum überrascht. Sie hatte einen alten Replikator gefunden und repariert. Außerdem hatte sie Ersatzteile, Trockennahrung und Wasser in der Mine versteckt. Dieser Einfallsreichtum hatte es ihnen ermöglicht, länger zu überleben als alle anderen.
Jetzt war es mit ihrem Glück vorbei. Wenn sie die Paktorin töteten, würden sie noch ein paar Wochen länger überleben können. Leider war er sich nicht sicher, ob das Umweltsystem so lange halten würde. Die Mistkerle hatten es zurückgelassen, um den Asteroiden an ein anderes Unternehmen zu verkaufen. Was sie nicht zurückgelassen hatten, waren die Teile zur Reinigung des Filtersystems. Er hatte einen Abschnitt nach dem anderen verschlossen, als die Luft instabil wurde.
Ohne Nahrung, Wasser und Sauerstoff konnte ein Mensch nicht lange überleben. Er räusperte sich. Er würde erst aufgeben, wenn es absolut keine Hoffnung mehr gab. Die Sorge um Melina trieb ihn an. Er war fest entschlossen, einen Weg zu finden, wie sie zur Erde zurückkehren konnten, um dort ein normales Leben zu führen.
„Ich werde dir helfen“, sagte Cal und straffte die Schultern. „Wir können im Abwurfbereich anfangen. Vielleicht finden wir dort ja noch einen Replikator.“
Melina lächelte und nickte. „Dann können wir uns auf den Weg nach oben machen. Es gibt noch viele kilometerlange Tunnel, die ich noch nicht durchsucht habe. Ich bin mir sicher, dass wir etwas finden. Bis jetzt haben wir immer etwas aufgetrieben.“
„Ja, das haben wir immer“, murmelte Cal. „Wir können im Morgengrauen los –“
Cal brach ab und seine Augen weiteten sich, als das Licht flackerte. In der Ferne ertönte das leise Geräusch eines Alarms, der ankündigte, dass sich eine Außentür öffnen würde. Es war die Tür, die zur Landebucht führte.
„Opa?“, flüsterte Melina, Hoffnung und Angst schwangen in ihrer Stimme mit. „Glaubst du, sie sind zurückgekommen?“
„Versteck dich, Melina“, befahl ihr Großvater. „Komm nicht raus, bis ich dich rufe.“
Melina nickte, hob ihren Hut auf und versteckte ihr Haar darunter. Sie strich mit der Hand über das Kinn der Paktorenstute und bedeutete ihr, mit ihr mitzukommen. Am Eingang zu den Wohnräumen hielt sie inne und biss sich auf die Lippe.
„Opa, sagte sie und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Sei vorsichtig.“
Ein mitfühlender Blick trat in Cals Augen, als er Mels sorgenvolle Miene sah. Es war nicht richtig, dass eine schöne junge Frau so leben musste. Sie hatte so viel Liebe zu geben. Sie hatte noch so viel Leben vor sich. Wenn es eine Chance gab, irgendeine Chance, ihr wieder ein normales Leben zu ermöglichen, würde er es riskieren.
„Geh, Kind“, sagte er. „Ich komme schon zurecht.“
Melina nickte wieder und eilte den g**g hinunter. Nicht weit von der Landebucht entfernt war ein langer, dunkler Abschnitt. Im Vorbeilaufen hob sie ein langes Metallrohr auf. Wenn ihr Großvater sie brauchte, würde sie da sein.
„Du wirst uns auch helfen, stimmt’s, Mädchen?“, fragte Melina leise. „Du wirst ihnen zeigen, dass man sich lieber nicht mit uns Mädchen anlegen sollte.“
Mit einem zustimmenden Schnauben humpelte die Paktorin hinter Melina her. Mel konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Sie wusste, dass sie für ihr Alter zierlich war, was zum Teil genetisch bedingt war, hauptsächlich jedoch daran lag, dass sie in den letzten vier Jahren nicht viel zu essen bekommen hatte. Die Vorstellung, dass sie und die lahmende Paktorenstute kämpfen würden, war lächerlich. Wer auch immer auf dem Asteroiden angekommen war, würde wahrscheinlich eher vor Lachen als vor Angst umfallen.