Logan - Bleachers und Blasen

526 Worte
›Nicht denken. Einfach werfen.‹ Das war mein Mantra. Seit Jahren. Seit dem ersten Mal, als ich den Ball richtig getroffen habe und Dad zum ersten Mal gesagt hat: »Gut gespielt, Junge.« Heute war ein Spieltag. Das hieß: früh da sein, konzentrieren, alle Stimmen ausblenden. Die der anderen. Und meine. Aber irgendwann in der zweiten Hälfte des Spiels hatte ich aufgehört, wirklich zuzuhören. Der Lärm war da – aber er rauschte nur noch. Wie ein altes Radio auf halber Frequenz. Ich hatte meine Sachen geschnappt und mich auf die untere Reihe der Tribüne gesetzt. Da, wo es selten jemand tat. Zu nah dran fürs Publikum. Zu weit weg fürs Team. Genau richtig für mich. Ich kaute auf einem Kaugummi, meine Blasen wurden kleiner, je länger ich da saß. Die Sonne war fast weg, der Himmel brannte orange. Ich starrte aufs Feld, ohne es zu sehen. Und dann war da plötzlich sie. Nicht das erste Mal, dass ich Tessa Carter sah. Aber das erste Mal, dass ich sie wirklich sah. Ohne das Lächeln, ohne das Team um sie herum, ohne die Show. Sie war allein, schwitzte, sah müde aus. Ihr roter Lippenstift war leicht verschmiert. Ihre Wasserflasche fiel fast aus der Hand, als sie sich bückte. Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Ich sagte einfach: »Alles klar bei dir?« Sie hätte nicken können. Weggehen. So wie alle es machen, wenn jemand wie ich fragt. Aber sie tat's nicht. »Nicht wirklich. Und bei dir?«, sagte sie. Ich musste kurz grinsen. ›Mutig.‹ Ich stand auf und lehnte mich leicht an das Geländer. »Ich bin nur hier, um meine Blasen zu zählen.« »Blasen?«, fragte sie und hob eine Augenbraue. Ich zeigte ihr meine Handflächen. Zwei dicke, aufgeplatzte Stellen unter den Fingern. »Schön sind sie nicht, aber immerhin echt.« Sie lächelte. Zum ersten Mal. Und das war nicht das typische Cheerleader-Lächeln. Es war langsam. Vorsichtig. Echtes Lächeln erkennt man sofort – weil man nicht weiß, was man damit anfangen soll. Ich setzte mich wieder hin. Sie auch. Wir sagten nichts. Und es war nicht unangenehm. Ich beobachtete, wie ihre Fingerspitzen über ihre Knie kreisten. Kreise, wieder Kreise. Vielleicht war sie nervös. Vielleicht einfach erschöpft. Oder beides. ›Sag was. Irgendwas.‹ »Du warst gut heute«, sagte ich. Sie sah mich an. Direkt. Ohne Wegsehen. »Ich bin immer gut. Ich muss gut sein. Sonst bin ich nichts.« Ich schwieg. Nicht, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte – sondern weil ich wusste, dass sie das meinte. Und, dass ich sie verstanden habe. Nicht alles. Aber diesen einen Satz. Wir saßen da. Minuten. Vielleicht zehn. Vielleicht nur drei. Dann stand sie auf. »Danke. Für... Nichts eigentlich.« Ich nickte. »Gern geschehen.« Sie ging. Ich sah ihr nicht hinterher. Aber ich hörte ihre Schritte, wie sie über das Metall der Tribüne klangen – laut, dann leiser, dann weg. ›Du bist verrückt, Reyes‹, dachte ich. ›Und sie ist verdammt gefährlich.‹ Ich sah wieder auf meine Hände. Blasen. Offene Stellen, da wo Druck war. So fühlt es sich an, wenn man zu fest zupackt. Oder wenn etwas langsam aufbricht, das viel zu lange unter der Haut lag.
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