Der Wind peitschte mir ins Gesicht und wirbelte mich herum. Ich befand mich immer noch in der Schwärze, doch es schien als wäre ich im freien Fall. Es knisterte und ein Brausen brannte in meinen Ohren. Ich kniff die Augen zusammen und wollte schreien, aber der Hall wurde von der Finsternis verschluckt. Mein Körper flog umher. Ich spürte wie meine Innereien sich drehten, viermal, zehnmal, tausendmal, um die eigene Achse. Bald bekam ich auch keinen Sauerstoff mehr und gerade als ich glaubte ich würde ersticken, landete ich plötzlich hart im Gras und ich holte schnappend nach Luft.
Die Luft war kühl und frisch und tat meinen Lungen gut, aber sie fühlte sich anders als sonst an. Sie war leichter, bewegter, als hätte es soeben geregnet. Meine Brust hob und senkte sich stark, aber mir wurde keine Erholung gegönnt, denn plötzlich packte mich jemand an der Schulter und wollte mich auf die Beine ziehen. Doch gerade als ich in Bewegung gesetzt wurde, drehte sich mir der Kopf und mir wurde übel. Mein Magen rumpelte und warf sein Frühstück heraus. Ich krümmte mich, brach wieder zusammen und erbrach mich direkt auf den Schuh meines Entführers. Zum ersten Mal hörte ich ihre Stimmen als er fluchte und die Kotze von seinem Schuh schüttelte. Ein Kollege war bei ihm und lachte ihn aus.
,,Tja, das passiert manchen, die mit der Teleportation nicht vertraut sind.", sagte er lachend. Teleportation?Irgendwie erinnerte mich sein Lachen an das Knistern und Rascheln des Monsters, das mich verfolgte. Zum ersten Mal öffnete ich die Augen. Ich befand mich auf einer grünen Wiese. Tautropfen lagerten auf ihren Halmen und in der Nähe befand sich ein grüner, dichter Wald. Ein wolkenloser, blauer Himmel streckte sich über unseren Köpfen aus. Wo bin ich hier? Wie bin ich hier her gekommen? Auch wenn mir die Gegend fremd war, in meiner Magengegend spürte ich ein vertrautes Gefühl. Eine Last fiel von meinen Schultern und ich konnte mich plötzlich entspannen. Aber da packte mich der Mann erneut grob an der Schulter und zog mich hoch. Die beiden trugen dunkellila, bis schwarze Gewänder und blickten Grimmig. Ein mulmiges Gefühl ging mir im Bauch herum.
,,Los, der König wartet nicht.", brummte der eine und zog mich zu seinem Pferd, das in der Nähe graste. Der König? Aber wir leben doch ich der Demokratie. Die Monarchie ist doch schon seit Jahren abgeschafft? Wo war ich hier nur? Und sollte ich irgendwann nicht auch mal aufwachen?
,,Was für ein König?", fragte ich ihn energisch und wehrte mich gegen seinen Griff, ,,Wo habt ihr mich hingebracht und was soll das ganze hier eigentlich?!" Er packte mich fester, legte meine Hände auf den Rücken und verknotete sie mit einem Band, dann warf er mich auf den Rücken seines Pferdes. Was sollte das? Ich strampelte widerwillig mit den Beinen aber er drückte mich fest an das Pferd als er selber hinauf sprang.
,,Antwortet mir!", schrie ich meine Entführer an, als sie ihre Pferde zum Trab anspornten, aber sie gaben kein Laut von sich. Durch den holprigen Trab wurde mir erneut schlecht, doch ich schluckte es hinter. Sie steuerten in den Wald hinein, einen breiten Pfad entlang. Ich hörte Vögel singen, aber sie hörten sich anders an als ich es gewohnt war. Ich hörte keine Meißen, keine Stare oder Tauben, nicht einmal ein Specht klopfte gegen den Stamm. Alles in diesem Wald fühlte sich fremd an. Das Rascheln der Blätter, das traben der Hufe auf dem Boden, die zarten Sonnenstrahlen auf meiner Haut, der Duft des Waldes. Aber trotzdem war es mir heimisch, als sei ich nach ewigen tausend Jahren endlich heimgekehrt. Mein Magen drehte sich erneut und ich zappelte herum.
,,Lasst mich hier runter!", schrie ich, ,,Was habt ihr mit mir vor?" Wieder strampelte ich mit den Beinen und versuchte von diesem Pferd herunterzukommen, doch immer wenn ich es beinahe schaffte, packte mich sein Reiter und hielt mich fest. Darum schrie ich weiter, bis der vordere Reiter stöhnte:,, Oh man, du hättest ihr den Mund zukleben sollen."
,,Hilfe!", kreischte ich, ,,Hilf mir doch jemand! Ich werde entführt!" Ich wehrte mich heftig gegen den Griff des Reiters, aber ich kam einfach nicht los. Doch plötzlich vernahm ich neben den typischen Waldgeräuschen ein auffälliges Rascheln. Ich spitzte die Ohren und entdeckte eine Bewegung zwischen den Bäumen. Aber mein Herz blieb vor Schreck stehen, als braunes Fell zwischen den Stämmen aufblitzte und ich eine gigantische Gestalt ausmachte. Mit weiten Sprüngen sprang es mühelos über den Waldboden, es schien als würde es fliegen. Mein Herz rutschte mir in die Hose, als das riesige Tier tief knurrte und den Reiter vor uns ansprang und aus dem Sattel riss.
Es war ein riesiger Wolf. Als das Tier den Mann ansprang löste dieser sich einfach in Rauch auf und verschwand. Mein Reiter fluchte und trieb das Pferd zum Gallopp an, aber der Wolf wirbelte herum und setzte hinter ihm her. Er hatte mindestens die Größe eines ausgewachsenen Pferdes und holte uns mit Leichtigkeit ein. Dann warf er auch meinen Entführer vom Pferd. Das Ross machte einen panischen Satz nach vorn. Ich fiel herunter und krachte schmerzhaft auf den Boden. Ruckartig setzte ich mich wieder auf und wich vor dem riesigen Wolf zurück. Angst pochte in meinem Herzen als das Tier seinen gelben Blick zu mir umwandt. Jetzt wird er mich fressen, dachte ich verzweifelt und versuchte meine Angst zu kontrollieren. Ich hatte mal gelesen das diese Tiere Angst riechen können, wenn er weiß das er gewonnen hat, dann wird er mich auf der Stelle töten. Aber meine Angst war unkontrollierbar und mein Atem fiebste schmerzhaft als er langsam auf mich zu trottete. Seine riesigen Krallen kratzten auf dem Boden und seine gigantischen Zähne wollte ich mir erst gar nicht vorstellen.
Der ist doch nicht normal! Hier ist gar nichts normal! Mein Herz schlug wild in meiner Brust, trotzdem machte der Wolf auf mich einen gelassenen Eindruck. Ich spürte seinen heißen Atem in meinem Gesicht, als er sich zu mir herunter beugte, bereit seinen riesigen Kiefer um meinen Hals zu legen.
,,Willkommen in Xiar, Saliah Eden." Ich blinzelte das Tier verwundert an, schreckte vor ihm zurück und stieß mit dem Rücken gegen einen Baum. Statt mir seine Zähne in mein Fleisch zu rammen, hatte er einfach was gesagt. Er hat gesprochen. Ich war sprachlos und starrte den Wolf fassungslos an. Da setzte er sich und sah mich ruhig an.
,,Ach, ich vergaß.", sagte er, ,,Dort wo du herkommst sprechen die Tiere ja in der Regel nicht, es muss ungewohnt für dich sein.", er blinzelte mich entschuldigend an, ,,Hier in Xiar sind wir ein wenig zivilisierter, gewöhn dich schon mal daran."
Xiar? Mein Herz schlug immer noch wild gegen meinen Brustkorb, aber der Wolf schien mich nicht fressen zu wollen, so entspannte ich mich ein wenig.
,,Mein Name ist Kendrick, aber du kannst mich auch gerne Rick nennen.", sprach er weiter. Ich schloss meinen Mund und versuchte zu schlucken, aber meine Kehle war vollkommen ausgetrocknet.
,,Ehm...", stammelte ich, ,,M-mein Name ist Saliah..." Rick nickte zustimmend.
,,Ich weiß wer du bist.", gestand er, ,,Das weiß jeder." Er stand auf und lief um mich herum. Wieder begann mein Herz vor Angst zu pochen, aber er schnitt mir mit seinen scharfen Krallen nur die Fesseln von den Händen. Ich atmete erleichtert aus.
,,Danke..", murmelte ich und blickte den Wolf unsicher an. ,,W-was mache ich hier? Und was ist Xiar..?", fragte ich ihn leise. Da setzte er sich neben mich auf den staubigen Boden und seine gelben Augen sahen mich vielsagend an. Sie waren wunderschön. Nach längerer Betrachtung und nachdem ich mich an ihn gewöhnte, sah Rick in meinen Augen schön aus und nicht mehr böswillig. Sein dichtes, braunes Fell glatt und weich, so weich wie das eines Bären. Trotzdem sah ich die Muskeln unter seinem Pelz und begann ihn zu bewundern. Ob alle Tiere in dieser Gegend so riesig waren?
,,Dieses Land heißt Xiar.", begann Rick, ,,Uns ist ein großes Unglück wiederfahren. Wir haben seit 18 Jahren hoffnungsvoll auf deine Rückkehr gewartet, Saliah Eden." Ich schüttelte den Kopf und unterbrach ihn:,, Mein Name ist nicht Eden, ich heiße Saliah Nebel." Auch Rick schüttelte nun mit dem großen Kopf und widersprach:,, Du irrst dich. Du bist die Tochter Talisha Edens und Felias Edens. Deine Eltern stammen aus dieser Welt, sie mussten vor den Schergen des Tyrannen flüchten um dich zu schützen. Deine Mutter gelangte irgendwie in die andere Welt."
Ich starrte ihn fassungslos an. So richtig glauben, dass das alles hier doch kein Traum war, konnte ich noch nicht so wirklich.
,,Du kanntest meine Eltern? Ein Tyrann? Was will er denn von mir?", fragte ich den Wolf ängstlich.
,,Ich kannte deine Eltern nicht persönlich.", gestand er, ,,Aber sie waren großartige und berühmte Heiler. Diese Gabe haben sie an dich weitergegeben. Du wirst eine der größten Heilerinnen dieser Welt werden, deine Macht wird mit der des großen Heilers ebenbürtig sein. Die Prophezeiung sagte bereits vor deiner Geburt voraus, das du den Tyrannen von seinen Qualen heilen wirst und uns alle rettest. Denn unser König ist schwer krank und das machte ihn zu einem Tyrannen." Eine Heilerin? Ich starrte verwirrt auf meine Hände. Wollte ich nicht schon immer Menschen heilen und ihnen helfen?
,,Ich bin eine Heilerin..?", fragte ich verwundert und Rick nickte bedächtig.
,,Du bist noch viel mehr als das, du bist unsere Retterin, unsere Erlöserin. Du bist zu großem Bestimmt."
Seine Worte ließen mein Herz vor lauter Aufregung springen, zu großem Bestimmt, es hört sich fast beängstigend an. Dann sah ich Rick wieder in die Augen und fragte:,, Ich würde euch gern helfen, aber wie soll ich denn den König heilen? Und was meintest du mit dem großen Heiler?" Als ich das fragte, legte Rick seine buschigen Ohren an. Ich erschrak, er wirkte wenig begeistert.
,,Ich wusste das du das fragen würdest.", seufzte er, ,,Der große Heiler ist der mächtigste Heiler den es je gegeben hat und geben wird. Du wirst bei ihm lernen müssen wenn du deine ganze Kraft ausschöpfen möchtest."
,,Du klingst nicht gerade begeistert.", bemerkte ich lächelnd. Rick knurrte:,, Ich kann ihn nicht leiden.", wütend schlug er seinen Schwanz hin und her und schlug damit auf den Erdboden, ,,Man sagt er wäre schon über 367 Jahre alt, aber keiner weiß wie er so alt werden kann, das ist auch für unsere Welt ungewöhnlich. Er brüstet sich immer dafür wie mächtig und weise er doch sei, aber wenn es ein ernsthaftes Problem gibt, wie dieses, dann kneift er und zieht den Schwanz ein. Er hat uns einfach allein gelassen. Hat sich verbarrikadiert in seinem Versteck und hat mit niemandem mehr Kontakt. Dieser egoistische Esel."
367 Jahre, das sind schon eine ganze Menge! Der Kerl muss zerbrechlich wie Porzellan sein!
,,Aber wenn er so mächtig ist, warum heilt er denn dann den König nicht?", fragte ich Rick verwundert.
,,Du sprichst tatsächlich meine Sprache, Mädchen.", bellte der Wolf verärgert, ,,Das hatte ich mich nämlich auch gefragt und die Antwort war einfach nur lächerlich. Angeblich würde es eine zweite Prophezeiung geben. Er hatte sie verkündet bevor er verschwand. Er behauptete das man den König nicht heilen dürfte, ansonsten würde ein viel größeres Unglück geschehen und wir wären alle verloren.", Rick rollte genervt mit den Augen, ,,Wenn du mich fragst hat sich dieser Möchtegern Heiler das einfach nur ausgedacht, damit die Öffentlichkeit nicht erfährt das er nicht mehr Macht hat als ein Floh. Er kann den König nämlich gar nicht heilen" Eine zweite Prophezeiung? Rick stand auf und seufzte schwer. ,,Trotzdem müssen wir zu ihm, nur von ihm kannst du lernen, auch wenn ich glaube das es da nicht viel zu lernen gibt." Ich sah Rick mit großen Augen an.
,,Wir gehen zum großen Heiler?", fragte ich ihn erstaund. Dieser nickte und erwiderte:,, Jedenfalls versuchen wir ihn zu finden. Du bist doch etwa nicht begeistert von ihm?" Ich erhob mich wieder vorsichtig auf meine Füße und hielt mich an Ricks breiter Schulter fest. Ich zuckte mit den Schulter und erwiderte:,, Naja, er ist über 367 Jahre alt, das kann nicht jeder."
,,Ach Papperlapapp.", räumte der Wolf da ein, ,,Jeder Baum kann das, das ist nun wirklich kein Kunststück. Aber ich begleite dich.", langsam betrachtete er mich von Kopf bis Fuß, ,,Allerdings sollten wir erst einmal bei einer Freundin vorbei schauen. So wie du rumläufst bist du viel zu auffällig." Er trottete bereits los, ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten.
,,Warum? Was ist denn verkehrt?", fragte ich ihn und sah an mir herunter.
,,Du solltest dich kleiden wie ein Xiarner und dich unter das Volk mischen. Im ganzen Land wird bereits bekannt sein, das du nun hier bist. Der König verspricht bestimmt viel Geld, demjenigen der dich findet und ihm bringt. Jeder wird nach einem Mädchen wie dir Ausschau halten und mit deinen orangeroten Haaren und den goldenen Augen, bist du eben nicht gerade unauffällig.", erklärte Rick, sah mich von der Seite an und schnippte mit dem Schwanz, ,,Aber keine Sorge, ich pass auf dich auf. Eine Bekannte von mir, wird bereits auf uns warten, sie wird etwas passendes für dich finden."
Beinahe vergnügten Schrittes lief ich neben dem gigantischen Wolf her, durch den Wald. Vor kurzem noch, war ich mit meiner Mutter durch unseren Stadtwald spaziert und nun lief ich neben einem riesigen, sprechenden Wolf her um eine Prophezeiung zu verwirklichen, in einer ganz anderen Welt, die aber doch mein Zuhause war. Ich spürte es tief in meinem Herzen. Das war meine Welt. Von hier stammten meine Eltern, hier gehörte ich her, hier könnte ich bleiben. Doch mit dem Gedanken an meine Mutter auf der Erde, vermisste ich sie doch. Ich wünschte ich könnte ihr einen Brief oder irgendeine Nachricht schicken, um ihr zu versichern das es mir gut ging. Ich spannte die Schultern nach hinten. Ich würde eine großartige Heilerin werden, so wie meine Eltern, und meinen Traum erfüllen. Und irgendwann würde ich zu meiner Mutter in die andere Welt zurückkehren.