Ich kauerte an einem Baum und weinte bitterlich. Die Jungs versuchten mich zu beruhigen, aber ich sah ganz genau, wie sich eine Träne den Weg über Lucas Wange bahnte.
'Debbie ist tot!'
Tot.
Meine Verbündete und beste Freundin ist tot.
Und ich hatte ihr nicht geholfen.
Das war doch die Aufgabe der Verbündeten. Die anderen zu beschützen, ihnen zu helfen, wenn sie in Gefahr waren.
Und ich hatte kläglich versagt.
Ich war eine schreckliche Verbündete.
Mittlerweile sassen Lucas und Hektor nur noch stumm neben mir und starrten Löcher in die Luft. Ich stand auf und lief in Richtung Füllhorn.
„Was machst du jetzt, Lucy?"
„Ich bring es jetzt langsam aber sicher zu Ende!", antwortete ich Hektor spitz, als wäre das eine dumme Frage gewesen.
„Lucy, du musst jetzt stark sein. Du darfst dich nicht umbringen lassen! Es besteht immer noch Hoffnung, dass jemand von uns gewinnen kann."
„Lucas hat Recht, Luce. Gib nicht so schnell auf!"
„Moment mal! Wie kommt ihr auf die absurde Idee, ich könnte aufgegeben haben?! Mit 'ich bringe es zu Ende' meinte ich, dass ich die Spiele jetzt gewinnen werde! Für Debbie!"
Zuerst schauten die Jungs verwirrt, dann waren sie erleichtert.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass man mich missverstehen könnte. Die Vorstellung ich würde einfach so aufgeben war für mich einfach nur lächerlich!
Obwohl es weh tat, Debbie tot zu wissen, lächelte ich die beiden tapfer an und lief weiter.
Das war der Moment, in dem ich mich in eine gnadenlose Killermaschine verwandelte. Ich schwor Deborah zu rächen, in dem ich die Spiele gewann und mich danach am Kapitol rächte. Wie, wusste ich noch nicht. Aber mir würde schon etwas einfallen.
Wir liefen eine Weile schweigend und leise durch den Wald, als wir Gekicher direkt neben uns wahrnahmen.
Ich schlich zum Busch, hinter dem das Geräusch herkam und linste hindurch. Auf der anderen Seite erkannte ich die Jungen aus Distrikt drei und fünf. Sie hatten nur ein Schwert und sonst keinerlei Waffen. Soweit ich das jedenfalls erkennen konnte.
Da kroch die Killermaschine in mir hervor und ich sah rot.
„Die gehören mir!", zischte ich.
„Aber...", wollte Hektor noch etwas erwidern, doch ich sprang schon durch den Busch hindurch, packte ein Wurfmesser und schleuderte es auf den Jungen aus Distrikt fünf, der mit dem Rücken zu mir am Boden sass. Das Messer traf in am Rücken und er ging bluthustend zu Boden. Der andere schnappte sich das Schwert und hielt es nun zitternd in der Hand. Der Kanonenschuss erklang.
„Du hast Nerven, dass du alleine gleich zwei Tribute angreifst", versuchte er mir zu drohen. Der Versuch war kläglich gescheiter, da seine Stimme zitterte.
Ich musste lachen.
Zu meinem Glück klang es ziemlich spöttisch und gefährlich.
Der Junge aus drei schien nun sehr verunsichert zu sein.
„Was soll schon ein kleines Mädchen wie du gegen einen Jungen wie mich ausrichten können?", versuchte er es weiter.
Jetzt sah ich ihn wütend an und nahm mir ein Wurfmesser und eine meiner Peitschen aus meinem Gürtel.
„Unterschätz niemals ein kleines Mädchen mit einem Messer und einer Peitsche in den Händen", sagte ich zuckersüss.
Der Junge wich einen kleinen Schritt zurück, doch dann griff er etwas zu langsam an.
Ich holte mit der Hand aus, in der ich die Peitsche hielt, liess das seilartige Ende hervorschiessen, das sich um sein Schwert wickelte, riss die Peitsche wieder zurück und somit wurde der arme Junge entwaffnet.
Bevor er auch nur die Möglichkeit hatte zu begreifen, wie ihm geschah, warf ich das Messer mit einer riesen Wucht, die den Jungen nach hinten schleudern liess, direkt in sein Herz. Auch sein Kanonenschuss erklang.
Ich spürte, wie eine grosse Hand auf meine Schulter gelegt wurde und ich fühlte wie ich am ganzen Körper zitterte.
„Beruhige dich, Lucy", redete Hektor ruhig auf mich ein.
Ich tat was er sagte und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus.
„Gehen wir weiter", befahl ich kalt.
Das taten wir auch. Diesmal liefen wir aber nicht in Richtung Füllhorn, sondern in Richtung Ruinen. Wir dachten uns, dass die Karrieros vor zwei Tagen dort hin wollten. Aber da die Karrieros aufs Jagen aus waren, waren sie sicher bereits weitergezogen.
Nach einer weiteren Stunde Fussmarsch erreichten wir endlich den Waldrand und ich kletterte sofort auf den erst besten Baum, den ich finden konnte. Die Ruinen erstreckten sich sicher zwei Kilometer geraudeaus und nach hinten, wo ich das Ende der Arena vermutete. Aber weit und breit waren keine anderen Tribute zu erkennen.
„Die Luft ist rein. Ich sehe von hier aus kein Anzeichen auf gegnerische Tribute. Aber ich kann auch nicht alles sehen. Wir müssen selbst nachsehen gehen", informierte ich meine zwei Verbündeten.
Diese nickten und ich sprang vom Baum.
Wir sahen uns eine Weile schweigend an und da sich keiner von den beiden aufraffte und sich Richtung Ruinen begab, drehte ich mich schwungvoll um und stolzierte über grosse Felsbrocken zu der ersten Ruine.
Wenn jetzt jemand einen Speer, einen Pfeil oder ein Messer auf mich warf und mich so umbrachte, wäre das ziemlich peinlich gewesen und mein Tod wäre zum Gespött des Kapitols geworden. Zum Einen weil ich so stolzierte und zum Anderen weil ich so nachsichtig war und einfach aufs offene Feld lief. Zielscheibe für alle.
Während ich über grosse und kleinere Felsbrocken kletterte, hörte ich Lucas und Hektor hinter mir herkommen. Sie schienen besorgt zu sein, doch ich hatte keine genaue Ahnung weshalb genau. Klar war ich auch besorgt, doch im Moment hatte ich nur noch Deborah vor Augen.
Ich war davon besessen sie auf irgendeine Weise zu rächen. Koste es, was es wolle.
Ich lief ohne es gross zu merken in Richtung Zentrum der alten Ruinenstadt. Dort erblickte ich ziemlich schnell ein grösseres noch bestehendes Haus, das in einigermassen guter Verfassung zu sein schien. Ich steuerte es an und trat ohne zu zögern in das Haus ein. Es war zweistöckig. Ich ging ohne lange Umschweife langsam die Treppe hoch, die in den zweiten Stock führte.
„Ähm... Lucy?... Bist du dir sicher, was du da tust? Dieses Haus scheint nicht gerade besonders stabil zu sein", stammelte Lucas vor sich hin. Man merkte, dass ihn Deborahs Tod sehr mitnahm. Schliesslich kannten sie sich auch schon vor der Arena sehr gut.
„Keine Sorge, Lucas. Sie weiss schon, was sie tut. Du musst ihr einfach nur vertrauen", versuchte Hektor ihn zu beruhigen. Doch mein Verbündeter aus Distrikt 4 liess sich nicht so schnell beruhigen.
„Ihr vertrauen?! Sie hat mir und Debbie so einiges verschwiegen, was ihre Gaben angeht und möglicher Weise könnte genau das die Schuld an Deborahs Tod sein."- Aua, das hatte gesessen -„Für Lucy war Debbie eine Freundin und keine Verbündete. Und das beruhte sich auf Gegenseitigkeit, das kannst du mir glauben, Hektor. Debbie hat mir oft etwas von Lucy vorgeschwärmt, von wegen sie seien wie Freundinnen und dann stellt sich bereits in der Arena heraus, dass ihr doch Geheimnisse vor uns hattet!"
„Bitte, Lucas! Sie hat sich vor den anderen Tributen als armes, kleines, schwaches Mädchen ausgegeben, um uns eine grössere Chance zu geben! Es sollte so aussehen, als könnte sie nichts und sie wäre mir ein Klotz am Bein. Die Karrieros hätten uns wahrscheinlich in Ruhe gelassen, genau so wie sie es jetzt übrigens auch tun, und so wäre die Chance auf den Sieg für einen von uns grösser gewesen. Verstehst du unsere Strategie?"
Da ich keine Antwort hörte, ging ich davon aus, dass Lucas entweder nachdachte, oder er hatte schweigend genickt.
Während die Jungs unten über weitere Strategien und Vorgehensweisen diskutierten, schaute ich mich auf dem zweiten Stockwerk um.
Für meine Augen wirkte es noch sehr stabil. Die Seite, bei der im unteren Stock die Tür war, war fast komplett auseinandergefallen. Ansonsten waren noch alle Wände vorhanden. Es gab nur ein einziges grosses Fenster. Ich schaute heraus und merkte verblüfft, dass ich fast die ganze Strecke bis zum Füllhorn sehen konnte.
Es war perfekt.
„Hektor! Lucas! Hier können wir eine Weile bleiben!"