Kapitel 3

2396 Worte
Der Sessel war überraschend bequem. Nicht, dass er unbequem aussehen würde. Nur eben alt. Als hätten schon unzählig viele Personen vor mir darauf gesessen. Was Sinn ergeben würde, da ich mich gerade in einem Arbeitszimmer befand. Das jedoch ohne Probleme als Bibliothek durchgehen könnte. Beide Wände links und rechts waren bis zur Decke Regale, die mit Büchern vollgestopft waren. Sie bestanden aus dunklen Holz, genauso wie der Boden. Dass das Chesterfield Sofa neben dem Bartisch und die Sessel, ebenfalls dunkel waren, schaffte eine ernste Atmosphäre. Wäre hinter dem Glastisch nicht ein großes Fenster, hätte ich das Gefühl, in einem historischen Film zu sein. Da half auch nicht die großzügige Beleuchtung an der Decke viel weiter. Kain hatte mich vorhin hierher gebracht. Nachdem ich gestern versucht hatte, erfolglos, zu fliehen, musste ich den restlichen Tag eingeschlossen in meinem Zimmer verbringen. Irgendwann war jemand bei mir gewesen und hatte mir Fragen gestellt. Ich weiß nicht mehr ganz genau welche, doch die Tabletten, welche ich nehmen musste, ließen meinen Körper taub werden. Wofür ich wirklich dankbar war. Heute Morgen ging es mir schon etwas besser und nachdem ich mich erneut frisch machen sollte, hatte Kain mich mit einem "Warte hier" in dem Zimmer zurück gelassen. Der Drang mir die Bücher anzusehen war enorm. Doch ich durfte nicht vergessen, dass ich mich noch immer in Gefangenschaft befand. Nur weil ich vorerst vermied, gegen Kain oder irgendjemanden anderen anzurennen, hieß das nicht, dass ich aufgeben würde, nach einem Fluchtweg zu suchen. Schritte und Stimmen ertönten draußen. Sie kamen direkt auf das Zimmer zu. Mein Körper spannte sich an und ich hoffte, dass sie vorbeigehen würden. Doch zu meiner Enttäuschung war das nicht der Fall. Stattdessen kamen sie direkt ins Zimmer. Ich wand meinen Kopf zu ihnen, was nicht besonders einfach war, da meine Muskeln immer noch sehr steif waren. Doch die Tabletten erledigten einen brillanten Job, weshalb ich keine Schmerzen verspürte. Nicht, dass ich sie freiwillig genommen hätte. Doch Kain hatte ziemlich deutlich gemacht, dass er mir gerne helfen wird, wenn ich mich weigern sollte. Wenn man gerade vom Teufel sprach. Kain war mit in den Raum gekommen und hielt eine Akte in der Hand. Wie immer wirkte er total entspannt und dennoch jeden Moment bereit loszurennen. Er erinnerte mich tatsächlich an eine Katze. Oder bei seiner Körpermasse eher an einen Tiger. Neben ihm stand ein anderer Mann. Sein Haar war dunkelbraun, fast schon schwarz. Da er mit Kain sprach, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen. Doch er war fast genauso groß wie er. Der Fremde trug einen grauen Anzug, was neben dem volltättoowierten Mann sehr formell wirkte. Würden seine Haare nicht bis zum Nacken gehen. Sie waren leicht gewellt und schienen perfekt zu sitzen. Still blickte ich die beiden Männern an und fragte mich, was nun als Nächstes passieren würde. "Das muss bis 15 Uhr ins Büro." Die Stimme des fremden Mannes war angenehm tief. Fast schon warm, aber dennoch fest. Kain nickte und ging aus dem Raum. Der Mann wand sich zu mir. Sein Gesicht war lang und kantig. Er schaute mich ernst mit seinen grünen Augen an. Fast als wüsste er nicht, wieso ich hier war. Mich durchlief ein Schauer. Mit großen Schritten ging er zum Glastisch und setzte sich auf den Sessel dahinter. Dabei überschlug er seine Beine und faltete seine Hände unter seinem Kinn. Seine Augen dabei immer auf mich gerichtet. Verunsichert erwiderte ich seinen Blick, bis das mir zu unangenehm wurde. Verwirrt senkte ich ihn deshalb. "Du bist also Jane", durchbrach er die Stille. Das war eine Feststellung. Keine Frage. Weshalb ich nichts erwiderte. Ein Schnalzen ertönte. Ihm schien das nicht zu gefallen. "Kain hat mir erzählt, dass du gestern versucht hast zu fliehen." Seine Stimme klang plötzlich nicht mehr warm. Eher kalt und hart. Kurz schaute ich ihn an und bereute es sofort. Obwohl er keine direkte Emotion zeigte, war sein Missmut zu erkennen. "Das war nicht besonders schlau." Darauf konnte ich mir keine Miene unterdrücken. Diese Aussage war nämlich mehr als unverschämt. "Ihr habt mich entführt." Der Mann hob eine Braue. Ob aus Überraschung, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte, oder was ich gesagt habe, wusste ich nicht. "Wir haben dich gerettet." "Wer seid ihr, dass ihr mich retten müsst?" Kurz schwieg er, dann senkte er seine Hände und lehnte sich nach hinten. "Mein Name ist Erial Silvan. Ich bin derjenige, der dich gerettet hat." Sein Name war mir fremd. Ich hatte ihn noch nie gehört. Anscheinend störte ihn, dass ich nicht darauf reagierte. Doch ich ignorierte seinen skeptischen Blick. "Wieso?" Erial zuckte mit seinen Schultern. "Weil ich das wollte." Mein Mund öffnete sich, doch nichts kam heraus. War das bloß ein Spiel für ihn, oder weshalb antwortete er dermaßen arrogant? Er schien abzuwarten, was ich sagen würde. Angestrengt holte ich tief Luft. Aktuell befand ich mich in einer schwierigen Lage. Wenn man das hier so nennen konnte. Ich durfte mich nicht von meinen Gefühlen leiten lassen. Die hatten mir nämlich gestern nur Seitenstechen und Übelkeit verursacht. "Gut, Erial, dann bin ich eben hier, weil du das wolltest", brachte ich zwischen meine zusammengebissenen Zähne heraus. "Wann darf ich dann wieder gehen?" "Wenn ich das möchte." Seine grünen Augen waren auf mich gerichtet. Schienen mich mit ihrem Blick zu durchbohren. "Wieso hören wir nicht einfach mit diesem Spiel auf, Jane?" Genau das wollte ich doch auch! Einfach nur klare Antworten, was zur Hölle hier los war. Wieso ich hier festgehalten wurde. Warum meine Mutter sterben musste. Bei diesem Gedanke spürte ich, wie mein Hals enger wurde und meine Nase zu prickeln anfing. Doch ich würde mich lieber nochmal übergeben, als hier zu weinen. "Das wäre toll." Meine Stimme klang zwar nicht so stark, wie erwartet, aber immerhin brach sie nicht ab. Erial nickte knapp. Falls ihm mein kurzer Gefühlsausbruch aufgefallen sein sollte, machte er das nicht sichtbar. "Da wir nun ehrlich miteinander sind, möchte ich, dass du mir sagst, was du von uns erwartest." Was ich von ihnen erwartete? Von wem überhaupt? Verblüfft schaute ich ihn an. Meine Verwirrung muss mehr als offensichtlich gewesen sein. "Was?", fragte er nun gereizt. "Wieso sollte ich von euch etwas erwartet? Also ich würde gern wieder nach Hause gehen, aber-" "Verarschst du mich?" Sein Ton war lauter geworden. Wenn ich mich nicht irrte, zuckte eine Ader an seiner Stirn. Was war hier los? "Nein", sagte ich schnell. "Mir ist wirklich ni-" "Denkst du, ich wäre dermaßen dumm, Jane Reichtum?" Erial war aufgestanden. Beide Hände auf dem Tisch und sein Blick wie ein Blitz. Doch was mir Angst machte, war seine Stimme und wie laut er sprach. Hoffentlich unauffällig drückte ich mich in den Sessel. Bildete mir ein, damit etwas sicherer zu sein. "Ich weiß wirklich nicht, was du erwartest", stammelte ich unbeholfen. "Wie ist mein Name?" Was? "Wie ist mein Name!" "E-Erial Silvan?" "Und du behauptest, dass dir dazu nichts einfällt?" Schnell schüttelte ich meinen Kopf. Selbst wenn ich seinem Blick ausweichen wollte, konnte ich nicht. Als würde ich einer Schlange in die Augen blicken. Die jederzeit bereit war zuzuschnappen. "Das ist nicht mehr lustig." Sein Kiefer war angespannt. Ihn schien es alle Mühe zu kosten, nicht erneut zu brüllen. "Ich könnte dich sofort erschießen lassen." Mir wurde schlagartig kalt. Hart schluckte ich. Natürlich konnte er das. Ich war seine Gefangene. Niemand wusste, wo ich war und ich konnte nirgends hin. Jemand hatte meine Mutter erschießen lassen. Wieso nicht auch mich? "Ich weiß", flüsterte ich. "Gut. Wieso zeigst du mir nicht mehr Respekt und hörst auf, so zu tun, als hättest du keine Ahnung." "Aber ich weiß wirklich nicht, was hier los ist." Irgendetwas veränderte sich an seiner Haltung. Erial schien meine Verzweiflung zu spüren und wirkte kurz unsicher. Seine Augen scannten mein Gesicht, dann zog er seine Augenbrauen zusammen. "Weißt du wer ich bin?" Erneut ein Kopfschütteln. "Weißt du wer deine Mutter war?" "Meine Mutter?" "Wer du bist?" "I-Ich?" Erials Augen weiteten sich. Als hätte ihn den Blitz getroffen. Dann ließ er sich in seinen Sessel fallen. Mit einer ruckartigen Bewegung öffnete er seine Krawatte. "Du hast keine Ahnung, oder?", sagte er leise. "Du hast keinen Plan, weshalb du hier bist?" "Nein." Meine Hände ballten sich zusammen. Ich spürte, dass er mir nun glaubte. Dass ich bald eine Antwort erhalten würde. Denn Erial hatte sie. "Dann weißt du wahrscheinlich auch nicht, weshalb deine Mutter sterben musste?" Eigentlich wollte ich ihm antworten, aber mir blieben die Worte im Hals stecken. Mit halb geöffneten Mund saß ich auf dem Sessel und versuchte das Gesagte zu verarbeiten. Solange ich die Tatsache verdrängt hatte, dass sie tot war, hatte ich noch die Hoffnung gehabt, dass ich mich irre. Ich war zwar dabei gewesen und bei Gott verfolgte mich der Anblick, aber woher sollte ich mir sicher sein, dass ich die Situation richtig eingeschätzt hatte? "Jane." Erial riss mich aus meinen Gedanken. Mit Mühe riss ich mich zusammen. "Dafür gab es einen Grund?" Mit einer schnellen Bewegung wischte er sich über den Mund. Für eine Weile waren wir beide still. Versuchten jeweils einzuschätzen in was für eine Situation wir uns befanden. Dann stand er auf, ging zum Bartisch, schenkte sich eine braune Flüssigkeit ein und kippte sie seinen Hals herunter. Kurz atmete er hart ein und aus und setze sich wieder hin. "Wenn ich richtig verstanden habe, hat deine Mutter dir von nichts erzählt?" Er klang wieder gefasst. Im Gegensatz zu mir schien er einen Überblick über das Theater hier bekommen zu haben. Als Antwort schüttelte ich nur wieder meinen Kopf. Zu verängstigt etwas Falsches zu sagen und meine Chance auf eine Erklärung zu verlieren. "Dann weißt du wahrscheinlich auch nicht, wer dein Vater ist und was das zu bedeuten hat", stellte er fest. Diesmal erwartete er offensichtlich keine Antwort. "Du, Jane Reichtum, bist die Tochter von Maurice Jacóbs." Wem? Warte, was? Wieso sollte er, dieser Erial ausgerechnet wissen, wer mein Vater war? "Mein Vater heiß Wilhelm Schmidt und ist vor meiner Geburt gestorben. Bei einem Autounfall. Meine Mutter meinte, dass jemand in ihn hereingefahren ist", sagte ich deshalb. Dass ich nicht amüsiert war, konnte deutlich gehört werden. Zuerst diese Show, von wegen, dass ich doch zugeben sollte, alles zu wissen und nun das. "Deine Mutter hat bis auf eine Sache gelogen. Maurice ist damals bei einem Autounfall gestorben." "Ich kenne keinen Maurice und meine Mum hat ihn auch nie erwähnt", entgegnete ich wütend. Mir fiel gar nicht auf, dass ich mich dabei vorlehnte. "Deine Mutter hat gelogen." Bestimmt hob er seine Hand, als ich etwas einwerfen wollte. "Er starb auf dem Weg zu ihr. Sie wollten zusammen fliehen." "Wieso sollte meine Mum mit diesem Maurice fliehen wollen?" Nur mit Mühe hielt ich mich davon ab, aufzustehen und auf und abzulaufen. Mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren und dennoch verstand ich kein Wort. "Ganz einfach, sie war mit dir schwanger. Da er jedoch der älteste Sohn der Jacóbs Familie war, hätte er niemals die Erlaubnis erhalten, sie zu heiraten. Schließlich war sie eine Fremde", erklärte Erial sachlich. Mir wurde das alles hier etwas zu viel. Ich verstand den Kontext einfach nicht. Was das alles zu bedeuten hatte. "Ich verstehe nicht." Erial stütze sich auf dem Tisch mit den Armen ab und legte seinen Kopf darauf ab. "Du bist die Tochter von Elena Reichtum und Maurice Jacób, der älteste Sohn der Jacóbs Familie. Welche zufällig seit Jahrhunderten im Waffenhandel tätig ist. Und deine Mutter seit Jahrzehnten sucht. Da sie überzeugt sind, dass sie an dem Tod von Maurice schuldig ist." Waffenhandel? Mord? Meine Mutter soll diesen Mann damals getötet haben? Mir wurde schwindlig. Die Informationen schwirrten in meinem Kopf herum. Erschöpft lehnte ich mich gegen den Sessel und brachte nicht mehr zustande, als Erial wortlos anzustarren. "Maurice Familie hat vor ein paar Wochen von dir erfahren. Davor konnte dich niemand aufspüren. Oder versuchte es nicht, da dein Großvater Constantin es verhinderte. Zumindest denke ich das. Da Constantin nun aber verstorben ist und ein Erbkrieg herrscht, bist du ein Problem." "Wieso?", flüsterte ich. "Weil du die Tochter des ältesten Sohns bist. Wenn auch in den Augen vieler ein Bastard. Und deine Mutter, wie du für viele ein Dorn im Auge seid." Erial erklärte mir das alles, als hätte ich gefragt, wie das Wetter war. "Du sagst mir also, dass mein Vater ein Erbe von einem Waffenhandel Empire war und nun irgendwelche Verwandte mich tot sehen wollen, weil ich eine Gefahr für sie darstelle?" "Genau das habe ich gesagt." "Aber was soll ich denn machen?" "Du könntest einen Anspruch auf das Erbe erheben." "Anspruch auf ein Erbe, für das meine Mutter sterben musste?" "Genau dafür." Nun konnte ich mich nicht mehr halten. Eilig sprang ich auf. Mit schwerem Atem lief ich im Kreis. Versuchte zu verstehen, wie genau so etwas mir passieren konnte und wusste gleichzeitig, dass ich das nie verstehen würde. Denn das ergab kein Sinn. Sowas passiert nur in Büchern oder im Fernsehen. Nicht mir, Jane, die gerade zu studieren anfangen wollte. In dem ganzen Chaos entging mir, wie Erial mich analysierte. Wie er versuchte, aus mir schlauer zu werden. Oder wie es sein konnte, dass ich so ahnungslos gewesen war. "Ich möchte das nicht", sagte ich nach einer Weile. "Das, was geschehen ist, ka-" "Nein, nicht das", unterbrach ich Erial. "Ich möchte das Erbe nicht. Was soll ich damit?" Nun stand er auf und kam auf mich zu. Er wirkte bedrückend ernst. "Sie werden dich umbringen lassen." "Kann ich nicht einfach wieder untertauchen?" Ein hartes Lachen kam über seine Lippen. Meine Aussage muss sehr naiv gewesen sein. "Verstehst du nicht? Constantin ist tot. Egal, wer an die Macht kommen wird, du wirst immer eine Gefahr sein. Allein, da du als Grund zur Verweigerung der Anerkennung der Autorität hergenommen werden kannst. Es geht hier nicht darum, was du tatsächlich machen wirst. Sondern wofür dich diese Menschen verwenden wollen. In der Geschichte der Menschheit haben bereits unwichtigere Namen Rebellionen ausgelöst– Ohne dass die Namensträger überhaupt davon wussten." Wir standen uns gegenüber. Ich musste nach oben blicken, da er größer als ich war. Dabei fiel mir die kleine Narbe an seinem Kinn auf. "Du bist eine Gefahr, solange du atmest. Das wird sich nie ändern." Wütend biss ich meine Zähne zusammen. "Wieso bin ich dann hier?" Erial holte Luft, als hätte er die ganze Zeit vergessen zu atmen. Geschmeidig ging er zwei Schritte nach hinten. "Weil ich ein altes Versprechen einhalten muss. Und mit dir für ein und alle Mal die Jacóbs Familie zerstören werde."
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