Kapitel 1: Der Preis eines Gefallens
„Soll ich jemanden verführen?“
Iris’ Stimme durchbrach das ruhige, elegante Summen in der privaten Lounge. Goldene Kronleuchter glänzten über ihnen, und der sanfte Duft von Jasmin stieg aus den Vasen auf dem Marmorboden auf. Eva Brandt saß ihr gelassen gegenüber und nippte an ihrem Tee aus feinem Porzellan, als wäre dieses Gespräch das Alltäglichste der Welt.
„Ich habe nicht gestottert.“ Evas Stimme war sanft, ruhig, wie mit Gift versetzter Honig. „Verführe ihn. Bring ihn dazu, sich in dich zu verlieben. Bring ihn dazu, dich zu brauchen.“
Iris starrte ihn an, für einen Moment unfähig, sich zu bewegen. Ihre Finger schlossen sich fester um ihre abgenutzte Ledertasche. „Hast du eine Ahnung, wie verrückt das klingt? Ich bin nicht käuflich.“
Eva lächelte schwach, ungerührt von der Schärfe in Iris’ Stimme. Ihre Haltung war makellos – makelloses Make-up, ein elfenbeinfarbenes Seidenkleid, Diamanten, die das Licht des Kronleuchters wie eisige Sterne einfingen. Alles an ihr strahlte unantastbare Macht aus.
„Du missverstehst mich“, sagte Eva leise und beugte sich vor. „Ich verlange nicht von dir, dich zu verkaufen. Ich biete dir eine Chance. Tu das, und du musst dir nie wieder Sorgen um Geld machen. Verdoppele es, wenn du Erfolg hast.“
Verdoppele es. Das Wort klang wie eine Beleidigung in Iris’ Ohren. Sie stand abrupt auf, die Stuhlbeine quietschten auf dem polierten Boden.
Iris’ Kiefer spannte sich an, als Eva sprach, ihre Stimme wie Seide, die sich um ein Messer legt. Nein. Sie konnte nicht einmal daran denken. Doch als Eva sagte: „Das Geld, das du brauchst, Iris … niemand sonst kann es dir rechtzeitig geben“, kroch etwas Kaltes in ihre Brust. Sie schob den Gedanken so heftig beiseite, dass ihr schwindelig wurde. Das war nicht sie. Das konnte nicht sein.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und stürmte auf die Glastür zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Doch Evas Stimme folgte ihr, ruhig wie eine Klinge, die durch Seide gleitet.
„Denk darüber nach, Iris. Du kommst wieder. Das tun sie immer.“
***
Der goldene Glanz des Hotels verblasste hinter ihr, als Iris in die Abendkälte hinaustrat. Die Worte blieben ihr bis zu ihrer Schicht im Café im Gedächtnis haften.
Sie saß auf dem Caféhocker, der Regen tropfte von der Markise, ihr Handy umklammerte sie wie einen Rettungsring. Ihre Spar-App starrte sie an – lächerliche Zahlen, die nicht einmal die Medikamente abdecken konnten, geschweige denn die Operation.
Sie dachte an Sandras Lächeln, wie sie immer sagte: „Wir schaffen das.“ Iris presste die Faust auf den Mund, um nicht zu schreien.
Später am Abend ging sie die Worte noch immer durch, als der Anruf kam.
Ihr Handy summte heftig auf der Theke. Sie griff danach, ihr Herz raste.
„Miss Roth?“ Die Stimme klang sachlich, eindringlich. „Hier ist vom St. Francis Hospital. Ihre Schwester – Sandra Roth – ist in einem kritischen Zustand. Sie müssen sofort kommen.“
Die Welt drehte sich. Das Tablett in ihrer Hand fiel klappernd zu Boden, Keramik zersplitterte wie Knochen.
***
Sandra lag bleich wie der Winter im grellen Krankenhauslicht. Schläuche schlängelten sich aus ihren Armen, Maschinen piepten in seelenlosem Rhythmus. Iris umklammerte zitternd die Hand ihrer Pflegeschwester, während die Stimme des Arztes ihr die Realität in die Knochen schnitt.
„Sie braucht eine Nierentransplantation“, sagte er, nicht unfreundlich, aber gnadenlos. „Bald. Es ist noch kein passender Spender registriert. Ohne …“
Ohne. Die Worte endeten in Iris’ Kopf.
Benommen verließ sie das Krankenhaus, die Nachtluft biss ihr in die Lunge. Über ihr drohte Regen, Wolken hingen wie blaue Flecken. Sie irrte umher, bis ihre Beine nachgaben und sie auf einer Bank in einem leeren Park zusammenbrach.
Der Puls der Stadt war hier weit weg. Nur das Rascheln der Blätter und das leise Quaken eines Frosches in der Ferne durchbrachen die Stille. Ihre Hände zitterten, als sie ihr Gesicht in sie presste. Sandra war alles, was sie hatte – alles, was sie je gehabt hatte. Und jetzt …
Ein scharfes Knacken zerriss die Stille.
Iris richtete sich ruckartig auf. Kein Schuss. Ein knackender Ast. Schritte – schwer, taumelnd – zerquetschten den Kiesweg hinter ihr.
Sie drehte sich langsam um.
Ein Mann trat aus den Schatten. Groß, breitschultrig, sein schwarzer Mantel hing offen, sein Hemd war zerrissen und von etwas Dunklem verschmiert. Sein Gesicht – halb verborgen unter einer schwarzen Maske – war scharf, gemeißelt, erschreckend schön. Doch seine Bewegungen waren falsch: unsicher, als verriet ihn der Boden selbst.
Der Park war fast leer, der Regen dämpfte das Chaos der Stadt. Dann sah sie ihn – einen Mann, der zusammengesunken auf der Bank lag, dunkles Blut an seinem Ärmel. Sie erstarrte. War er tot? Nein … seine Brust hob sich langsam und angespannt. Jeder Instinkt schrie, wegzugehen, doch ihre Beine verrieten sie und zogen sie näher. Als seine Finger nach vorn schnellten und ihr Handgelenk umklammerten, stockte Iris der Atem.
Blut. Dieser metallische Geruch lag in der Luft, als er näher taumelte. Iris stockte der Atem. „Bist du –“
Er ließ sie nicht ausreden. Seine Hand schnellte nach vorn und packte ihr Handgelenk mit verzweifelter Kraft. Seine Stimme war leise, heiser, aber selbst in ihrer Verzweiflung gebieterisch.
„Hilf mir.“
Iris erstarrte, jeder Instinkt schrie, wegzulaufen. Doch sein Griff wurde fester, Eisen auf Knochen. Einen Herzschlag lang sah sie etwas in seinen Augen – etwas Rohes und Brutales, fast Flehendes.
Dann kochte ihre eigene Wut über.
„Dir helfen?“ Ihr Lachen brach ab, brüchig und wild. „Wer wird mir helfen, hm? Meine Schwester stirbt! Interessiert es dich? Interessiert es irgendjemanden?!“
Etwas zerbrach in ihr. Sie hatte sich trotz Evas giftiger Worte, trotz der endlosen Anrufe bei Banken und Versicherungsvertretern, trotz des leeren Gefühls der Hilflosigkeit zusammengerissen. Doch jetzt verlangte dieser Mann – dieser Fremde mit dem wilden Blick – Hilfe? Wo sie doch keine mehr zu geben hatte? Die Worte rissen aus ihr heraus wie Glas.
Er schwankte, sein Atem strich über ihre Haut. „Bitte …“
Sie riss ihr Handgelenk los und stieß ihn heftig. Er sackte zu Boden, sein schwarzer Mantel bildete eine Tintenlache um ihn herum.
Iris stolperte keuchend zurück und starrte auf den dunklen Fleck, der sich über den Kies ausbreitete. Ein Laut entrang sich ihrer Kehle – halb Schluchzen, halb Fluch –, als sie sich umdrehte und floh.
***
Als sie ihre winzige Wohnung erreichte, dämmerte die Morgendämmerung. Mit zitternden Händen streifte sie ihre regennassen Kleider ab und ignorierte den roten Fleck auf ihrem Ärmel. Sein Blut.
Sie schrubbte sich unter der Dusche wund, doch das Bild seiner Augen klebte wie ein Brandmal an ihr.
Als ihr Telefon erneut klingelte, hätte sie beinahe nicht geantwortet. Doch der Name auf dem Display ließ ihr den Atem stocken.
Eva Brandt.
Langsam strich Iris mit dem Daumen über die Scheibe. „Was willst du?“ Ihre Stimme klang wie Sandpapier.
„Hast du mein Angebot noch einmal überdacht?“ Ruhig. Fast süß.
Iris’ Lachen war bitter genug, um zu schneiden. „Du bist verrückt.“
„Bin ich das?“ Eine Pause, absichtlich, grausam. „Wenn du einverstanden bist, sorge ich dafür, dass deine Schwester sofort einen passenden Spender bekommt.“
Schweigen. Iris umklammerte den Rand des Waschbeckens, bis ihre Knöchel brannten.
„… Wen genau soll ich verführen?“
„Er heißt Ruben“, sagte Eva sanft, während Iris bei dem Namen zusammenzuckte, als hätte er Gewicht. Dann kam der Messerstich, ruhig und gnadenlos: „Er ist mein Mann.“