"Wow, Nora. Dafür, dass du eben am Telefon so deprimiert gesprochen hast, hast du super
Arbeit geleistet. Mir gefällt die Farbpalette, die du dabei verwendet hast. Ich finde diesen Sakko können wir gut mit meinem bearbeiten. Die Hosenenden ein wenig breiter und die Hose sollte schon den Bauchnabel erreichen. Denn unsere Retro-Hemde sind kantig und ich finde es gut, wie du diese kleine Stickerei von Vögeln unter den Kragen angebracht hast. Sieht es nicht besser, als das Vorherige aus?"
Valery durchforstet meine ganze Wohnung nach Skizzen und Entwürfen. Vergleicht sie mit ihren, macht Verbesserungsvorschläge und mir ständig Komplimente. Ich muss zugeben, sie hat auch echt gute Entwürfe zustande gebracht. Vorallem diese Kleinigkeiten, wie Hemdknöpfe aus dünner Metallschicht und Druckfarben passen perfekt zum Thema. Darauf hätte ich auch kommen können.
Normalerweise habe ich keine Probleme mit ihr. Jedoch hat mir das vorherige Telefongespräch nicht gepasst. Was ist heute vorgefallen? Hat sie dich nur gesehen? Oder habt ihr miteinander gesprochen? Zusammen Zeit verbracht? Gefallen dir ihre blonden kurzen Haare? Ihre kleine Stupsnase, die mit Sommersprossen übersäht ist?
Ich kann mich auf ihre Worte nicht konzentrieren. Sie beißt in ihr letztes Pizzastück und glaub mir, Henry, du hättest keinen Gefallen daran, wie sie Krümel auf meinem teuren Fellteppich fallen lässt.
"Mir gefallen auch deine Entwürfe,Liebes.Vorallem bewundere ich dich dafür, dass du es schaffst, deiner Kreativität auch in unseren langweiligen Bürozellen freien Lauf zu lassen."
"Du weißt, eigentlich habe ich mich bei Dave schon oft beschwert. Ich meine, wir sind keine Kanzlei, doch Mr.Brooks möchte alles formell."
Sie zuckt kurz mit den Schutern und ich tue so, als würden wir hier nicht von meinem Dad sprechen.
"Aber ich muss zugeben, ich kann gut nachvollziehen warum du im Geschäft arbeiten möchtest. Da ist Leben! Und es füllt mich mit Stolz zu sehen, wie unsere Anzüge den Kunden gefällt!"
Sie wird leicht rot und ich kann mir denken, was jetzt kommt. Ich umklammere mein Cocktailglas fester.
"Und als ich Henry gesehen habe, habe ich mir gerne gewünscht an deiner Stelle zu sein. Jeden Tag mit ihm zu arbeiten! Er ist so klug, witzig und charmant!"
Am Liebsten würde ich mich übergeben. Auf sie. Hier und Jetzt. Diese Worte darf ich nur über dich sagen, Henry. Nicht sie. Sie sieht mich kurz an. Ich habe zu lange geschwiegen. Doch am Liebsten würde ich ihr einfach mit dem Bleistift, der auf dem Tisch liegt, in ihr Auge stechen. Ich räuspere mich kurz.
"Henry ist echt nett. Zwar kenne ich ihn auch nur von der Arbeit", lüge ich, "aber ich muss zugeben, wenn er eine Freundin hätte, könnte die sich echt glücklich schätzen."
"Er hat keine Freundin", feuert Valery sofort zurück und ich hebe die Augenbrauen, "ich habe ihn direkt gefragt", gibt sie verlegen zu.
Diese Fotze. Ich weiß genau, was sie denkt. Doch er gehört mir. Mir kommen Bilder vor Augen. Wie ich die Glasvase, die auf meiner Küchentheke steht, ihr ins Gesicht schleudere. Immer wieder. Sie bewusstlos auf meinem Teppich liegt, auf ihren Pizzakrümeln. Wie sich eine Blutlache bildet. Wie sie nicht mehr atmet-
"Nora?"
Ich reiße mich aus meinen Gedanken und sehe in ihr fragendes Gesicht.
"Sorry, war nur in Gedanken versunken. Bin heute sehr früh aufgestanden."
Meine Antwort ist knapp und sie nickt nur verständnisvoll. Spielt die gute warmherzige Freundin. Aber in Wahrheit will sie mir meinen Henry ausspannen. Ich würde sie jetzt am Liebsten sofort loswerden, doch ich muss sicher gehen. Ich möchte ihr nicht grundlos das Leben nehmen. Ich bin doch keine Mörderin.
"Also, denkst du das mit euch kann etwas werden?", frage ich sie völlig harmlos und sie schüttelt den Kopf.
"Er arbeitet für euch, ich meine für uns. Er ist nur ein Angestellter. Ich jedoch bin die Designerin, eine Fashion-Ikone. Ich kann meine Stelle nicht verlieren. Und ich weiß, dass du nicht so bist, aber Dave...ich muss meinen Ruf wahren."
Jetzt spiele ich die verständnisvolle Freundin und nicke ihr zustimmend zu. Dave hat eine ganz andere Position in den Augen unserer Arbeiter. Und ich wusste schon, als ich das erste Mal Dave und Valery miteinander sprechen sah, dass Valery ihn ein wenig anhimmelt. Immerhin ist sie besser als Violet. Wie auch immer, jedenfalls hat mir ihre Antwort genügt. Sie darf heute in ihrem warmen Bett schlafen. Sie findet dich zwar heiß, darling, jedoch ist sie zu überheblich für dich. Du hast etwas besseres verdient. Du hast MICH verdient. Dennoch werde ich sie im Auge behalten.
"Wenn wir schon von deinem Bruder sprechen. Du hättest ihn heute sehen sollen. Er ist sowieso wegen dieser ganzen Scheiße mit den Nerven fertig und da kam Violet ins Büro gestürmt und hat ihm eine Stunde die Ohren voll geheult, dass ihre Couch in der neuen Wohnung nicht in der Farbe erhältlich ist, die sie möchte. Sie möchte sich auch noch bei dir melden, wegen ihrem Hochzeitskleid."
Valery rüpft ihre kleine Nase und ich verstehe sie. Wirklich. Ich kann selbst kaum glauben, wie ich es aushalte, Dave und Violet nebeneinander zu sehen. Und wie auf's Stichwort klingelt es an der Haustür.
"Überraschung!", ruft Volks-, ich meine Daveschädling namens Violet, "ich weiß, ihr habt so viel zu tun und ich war geschockt, als ich es gehört habe! Jedoch wenn du fertig bist, müssen wir uns endlich mal über mein Hochzeitskleid unterhalten!", plappert sie mit ihrer schrille Stimme darauf los und ich kriege Kopfschmerzen. Dave trottet ihr leise hinterher. Seine Laune hebt sich aber schnell , als er unsere Entwürfe sieht.
"Ihr seid fantastisch!"
Und damit steht Violet und ihr beschissenes Hochzeitskleid im Schatten.