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Julian
Ich habe gerade zur Hälfte den Bericht meines Portfolio-Managers über eine potentielle Investition durchgelesen, als Nora leise in dem Sitz neben mir Platz nimmt. Als sie damit beginnt, ihr Buch zu lesen, kann ich einfach nicht widerstehen und drehe mich zu ihr, um sie anzuschauen.
Nach diesen wenigen Minuten getrennt von ihr ist mein irrationales Bedürfnis, auszuholen und sie zu verletzen, verschwunden. An seine Stelle ist eine unerklärliche Traurigkeit getreten … ein eigenartiges und unerwartetes Gefühl von Verlust.
Ich verstehe das nicht. Ich habe Nora nicht angelogen, als ich ihr gesagt habe, ich wolle keine Kinder. Ich habe über dieses Thema nie viel nachgedacht, aber jetzt, da das Thema aufgetaucht ist, kann ich mir nicht vorstellen, ein Vater zu sein. Was würde ich mit einem Kind tun? Es wäre nur eine weitere Schwäche, die meine Feinde ausnutzen könnten. Babys interessieren mich nicht, und ich habe auch keine Ahnung davon, wie man sie aufzieht. Meine Eltern waren in dieser Hinsicht mit Sicherheit keine guten Vorbilder. Ich sollte glücklich darüber sein, dass Nora keine Kinder möchte, aber stattdessen habe ich mich gefühlt, als habe sie mir in die Eier getreten, als sie die Pille danach ansprach.
Als sei es die schlimmste Zurückweisung.
Ich hatte versucht, nicht weiter darüber nachzudenken, aber als ich gesehen habe, wie sie sich mein Sperma von ihren Schenkeln gewischt hat, kamen diese unwillkommenen Gefühle wieder hoch und haben mich daran erinnert, dass sie das nicht von mir möchte.
Dass sie das niemals von mir wollen wird.
Ich verstehe nicht, warum das so wichtig ist. Ich habe niemals vorgehabt, eine Familie mit Nora zu gründen. Die Hochzeit war ein Mittel gewesen, um unsere Verbindung zu festigen. Sie ist mein Kätzchen … meine Obsession und mein Eigentum. Sie liebt mich, weil ich sie dazu gebracht habe, mich zu lieben, und ich will sie, weil ich sie brauche, um zu leben. Kinder sind kein Teil dieser Dynamik.
Das können sie nicht sein.
Nora erwischt mich dabei, wie ich sie betrachte, und lächelt mich vorsichtig an. »An was arbeitest du?«, fragt sie und legt ihr Buch aufgeschlagen auf ihrem Schoß ab. »Immer noch an dem Design der Drohne?«
»Nein, Baby.« Ich zwinge mich dazu, mich auf die Tatsache zu konzentrieren, dass sie für mich nach Tadschikistan gekommen ist – dass sie mich genug liebt, um etwas so Krankes zu machen – und meine Stimmung beginnt sich zu heben, bis die restliche Enge in meiner Brust verschwindet.
»Was ist es dann?«, bohrt sie nach, und ich muss ungewollt lächeln, da mich ihre Neugier amüsiert. Nora gibt sich nicht länger damit zufrieden, nur einen Bruchteil meines Lebens mit mir zu teilen; sie möchte alles wissen, und sie wird zielstrebiger in ihrem Wunsch, Antworten zu bekommen.
Würde das jemand anderes machen, würde ich wütend werden. Bei Nora macht es mir allerdings nichts aus. Ich genieße ihre Neugier. »Ich lese mir einen Bericht über ein mögliches Investment durch«, erkläre ich ihr.
Sie schaut interessiert aus, also erzähle ich ihr, dass es sich um ein biotechnisches Start-up-Unternehmen handelt, welches sich auf Medikamente für chemische Vorgänge im Kopf spezialisiert hat. Falls ich mich dazu entscheiden sollte, einzusteigen, wäre ich ein sogenannter Engelsinvestor – einer der Ersten, der das Unternehmen unterstützt. Risikokapital hat mich schon immer interessiert; ich mag es, an der Spitze der Neuheiten in allen möglichen Bereichen zu stehen und davon so gut wie möglich zu profitieren.
Sie hört meinen Erklärungen offensichtlich fasziniert zu, ihre dunklen Augen sind die ganze Zeit auf mein Gesicht gerichtet. Ich mag das, die Art, wie sie wie ein Schwamm Wissen aufsaugt. Es macht mir Spaß, ihr Dinge beizubringen, ihr verschiedene Bereiche meiner Welt zu zeigen. Die wenigen Fragen, die sie mir stellt, sind clever und zeigen mir, dass sie ganz genau versteht, worüber ich rede.
»Wenn dieses Medikament Erinnerungen auslöschen kann, könnte es dann nicht auch zur Behandlung des posttraumatischen Belastungssyndroms und dergleichen verwendet werden?«, möchte sie wissen, nachdem ich ihr von einem der vielversprechendsten Produkte des Start-up-Unternehmens erzählt habe, und ich bejahe ihre Frage, weil ich vor einigen Minuten zu der gleichen Erkenntnis gekommen bin.
Das hatte ich nicht vorausgesehen, als ich sie entführt habe – diese wahre Freude daran, Zeit mit ihr zu verbringen. Als ich sie entführte, war sie ein reines Sexualobjekt, ein wunderschönes Mädchen, von dem ich so besessen war, dass ich sie nicht mehr aus meinen Gedanken drängen konnte. Ich hatte nicht erwartet, dass sie neben meiner Bettgefährtin auch meine Partnerin und meine Freundin werden würde, hatte nicht geahnt, dass ich es genießen würde, einfach Zeit mit ihr zu verbringen.
Ich wusste nicht, dass sie mich genauso sehr besitzen würde wie ich sie.
Es ist wirklich das Beste, dass sie daran gedacht hat, die Pille zu nehmen. Wenn wir erst einmal beide geheilt sein werden, kann wieder Normalität in unser Leben einkehren.
Unsere Normalität zumindest.
Ich werde Nora bei mir haben und sie nie wieder aus dem Blick verlieren.