Kapitel 2

1479 Parole
2 Augusta Augusta glitt aus dem Bett und lächelte ihren Liebhaber verführerisch an. Sie genoss das hitzige Glänzen seiner Augen und beugte sich nach unten, um ihr magentafarbenes Kleid vom Boden aufzuheben. Das wunderschöne Kleidungsstück hatte nur einen kleinen Riss abbekommen – nichts, was sie nicht mit einem einfachen verbalen Zauberspruch in Ordnung bringen könnte. Ihre Kleidung überlebte die Besuche bei Barson meistens nicht unbeschadet; wenn es eine Sache gab, die sie an dem Anführer der Garde der Zauberer genoss, war das sein rauer, leidenschaftlicher Hunger, mit dem er sie jedes Mal begrüßte. »Ist es schon Zeit, zu gehen?«, fragte er und stützte sich auf einen Ellenbogen, um ihr besser dabei zusehen zu können, wie sie sich anzog. »Warten deine Männer nicht auf dich?« Augusta schlüpfte in ihr Kleid und griff sich an den Kopf, um ihr langes, braunes Haar zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammenzubinden. »Lass sie warten.« Er hörte sich arrogant an, wie immer. Augusta mochte das an Barson – dieses unerschütterliche Selbstvertrauen, das sich in allem widerspiegelte, was er tat. Er war zwar kein Zauberer, aber als der Anführer der militärischen Elitetruppe, die Gesetz und Ordnung in ihrer Gesellschaft sicherstellte, strahlte er sehr viel Macht aus. »Die Rebellen werden aber nicht warten«, erinnerte Augusta ihn. »Wir müssen sie aufhalten, bevor sie näher an Turingrad herankommen.« »Wir?« Seine dicken Augenbrauen zogen sich überrascht nach oben. Mit seinem kurzen, dunklen Haar und seiner olivfarbenen Haut war er einer der attraktivsten Männer, die sie kannte – ihren ehemaligen Verlobten vielleicht ausgenommen. Denk jetzt nicht an Blaise. »Ach«, antwortete Augusta wie nebenbei, »habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich mit dir komme?« Barson setzte sich im Bett auf, und die Muskeln seiner großen Gestalt spannten sich an und bewegten sich bei jeder Bewegung. »Du weißt, du hast es nicht getan«, knurrte er, aber Augusta wusste, dass ihm diese Entwicklung gefiel. Er hatte versucht, sie davon zu überzeugen, mehr Zeit mit ihm zu verbringen, ihre Beziehung öffentlich zu machen, und Augusta hatte sich gedacht, dass es jetzt an der Zeit sei, langsam damit anzufangen. Nach ihrer schmerzhaften Trennung von Blaise vor zwei Jahren war alles, was sie gewollt hatte, eine unkomplizierte Affäre – leidenschaftliche Treffen und nichts weiter. Ihre acht Jahre andauernde Beziehung zu Blaise endete sechs Monate, bevor eigentlich ihre Hochzeit stattfinden sollte, und zu jener Zeit wusste sie nicht, ob sie jemals wieder einem anderen Mann vertrauen könnte. Sie hatte gedacht, dass alles, was sie bräuchte, ein Bettgefährte sei, ein warmer Körper, der sie die innere Leere vergessen lassen würde – und zu diesem Zweck hatte sie sich den Hauptmann der Wache ausgesucht. Zu ihrer Überraschung wuchs und entwickelte sich diese schlichte Affäre. Mit der Zeit stellte Augusta fest, dass sie ihren neuen Liebhaber mochte und bewunderte. Er war nicht so intellektuell wie Blaise, aber auf seine Art war er ziemlich intelligent – und sie bemerkte, dass sie seine Gesellschaft auch außerhalb des Schlafzimmers genoss. Deshalb hatte sie sich, als sie von der Rebellion im Norden hörte, entschlossen, dass das die perfekte Gelegenheit sei, Barson bei dem zu beobachten, was er am besten tat – ihre Art, zu leben, zu beschützen und die Bauern unter Kontrolle zu halten. Er stand auf, zog seine Rüstung an und drehte sich zu ihr um. »Hat dich der Rat gebeten, mit uns zu kommen?« »Nein«, beruhigte Augusta ihn. »Ich komme von mir aus mit.« Es wäre eine Beleidigung für die Garde, wenn der Rat dachte, dass sie nicht in der Lage sei, einen kleinen Aufstand zu unterdrücken, und deshalb die Zauberin baten, ihr zu helfen. Sie begleitete sie einzig und allein, um Zeit mit Barson zu verbringen – und weil sie dabei zusehen wollte, wie die Rebellen zerquetscht werden würden, wie es sich für solche Würmer gehörte. »In diesem Fall«, meinte er, und seine dunklen Augen funkelten voller Vorfreude, »lass uns losgehen.« Augusta ritt neben Barson und fühlte die rhythmischen Bewegungen des Pferdes unter sich. Sie bemerkte die neugierigen Blicke der anderen Soldaten, aber diese interessierten sie nicht. Als eine Zauberin des Rates war sie an Aufmerksamkeit gewöhnt; sie sehnte sich sogar auf einer gewissen Weise danach. Es war eigenartig, auf einem richtigen, lebenden Pferd zu reiten. Sie hatte sich an die fliegende Chaise gewöhnt – ihre neueste Erfindung, die das Reisen für Zauberer revolutioniert hatte –, und sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal ganz altmodisch irgendwohin bewegt hatte. Der einzige Grund, das jetzt zu tun, war Barsons Weigerung, während seines Dienstes mit ihr auf der Chaise zu sein, und sie wollte nicht ganz allein über den Wächtern in der Luft schweben. »Um wie viele Rebellen handelt es sich denn?«, fragte sie Barson, da sie die Tatsache überraschte, dass ihn nur etwa fünfzig Männer begleiteten. »Ganir meinte, es seien an die dreihundert«, antwortete ihr Barson, und Augusta kräuselte ihre Nase, als der Name des Vorsitzenden des Rates fiel. Ganir schien momentan seine Spione überall zu haben. Unter dem Vorwand, den Rat beschützen zu wollen, schien der alte Zauberer mit jedem Tag mächtiger zu werden, eine Entwicklung, die Augusta beunruhigte. Sie hatte immer den Eindruck gehabt, der alte Mann würde sie nicht mögen, und sie wollte nicht darüber nachdenken, was passieren könnte, falls er sich aus irgendeinem Grund gegen sie wandte. Sie konzentrierte sich wieder auf die Sache, die vor ihnen lag, und sah ihn fragend an. »Und da hast du nur fünfzig Soldaten mitgenommen?« Er lachte. »Nur fünfzig? Wahrscheinlich sind das immer noch zwanzig zu viel. Jeder meiner Männer ist mindestens so viel wert wie zehn dieser Bauern.« Dann fügte er ernsthafter hinzu: «Durch die Unruhen überall dachte ich außerdem, es sei das Beste, Turingrad und den Turm nicht grundlos ungeschützt zurückzulassen – und glaub mir, dreihundert Bauern sind kein guter Grund.« Augusta grinste ihn an und war einmal wieder seinem arroganten Charme erlegen. »Da hast du natürlich recht. Außerdem hast du ja auch noch mich dabei.« Zauberer benutzten ihre Magie selten gegen die normale Bevölkerung, aber sie hätten es tun können, besonders dann, wenn sie sich in Gefahr befanden. Augusta zweifelte nicht daran, alle Rebellen eigenhändig unterdrücken zu können, aber das war nicht ihre Aufgabe. Dafür gab es die Soldaten. Diese kleine Rebellion, wie so viele andere in den letzten Jahren, war zweifellos durch die Dürre ausgelöst worden. Das war eine unglückliche Sache, und Augusta konnte verstehen, dass die ruinierten Ernten und die hohen Lebensmittelpreise die Bauern nicht glücklich machten – aber trotzdem war ihr von Ganir angekündigter Marsch auf Turingrad nicht akzeptabel. Der Norden Kolduns – aus dem diese Rebellen kamen – war besonders schwer getroffen. Augustas eigenes Gebiet lag weiter im Süden, aber selbst ihre Untertanen beschwerten sich über die Lebensmittelknappheit. Sie würden natürlich keinen Aufstand wagen, aber Augusta konnte nicht übersehen, wie unglücklich sie waren. Seit fast zwei Jahren war kaum Regen gefallen, und es wurde immer schwieriger, Korn zu bekommen. Augusta gab ihr Bestes, um das gesamte erhältliche Korn zu erstehen und es zu ihrer Bevölkerung zu schicken, aber diese undankbaren Wesen beschwerten sich immer noch. »Wer ist denn der Herrscher über das Reich, aus dem die Rebellen kommen? Jandison oder Moriner?«, wollte sie wissen, da sie sich fragte, welcher Zauberer seine eigenen Untertanen nicht kontrollieren konnte. »Jandison.« Jandison. Das erklärte einiges, dachte Augusta. Trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner Position im Rat wurde Jandison als ein Schwächling angesehen. Er war hervorragend, wenn es um Teleportation ging – zugegebenermaßen eine nützliche Fähigkeit –, hatte aber ansonsten keinerlei besondere Fähigkeiten. Wie er es geschafft hatte, in den Rat zu kommen – einem Regierungsorgan, welches sich aus den mächtigsten Zauberern zusammensetzte –, würde Augusta niemals verstehen. »Einige der Bauern sind in die Berge geflüchtet«, meinte Barson und sah von der Situation genervt aus. »Andere haben beschlossen, zu rebellieren. Dort herrscht das Chaos.« »In die Berge?« Augusta konnte ihr Entsetzen nicht verbergen. Die Berge, die das Territorium von Koldun umgaben, dienten als ein natürlicher Schutz vor den starken Stürmen, die hinter ihnen wüteten. Nur die furchtlosesten Forscher wagten sich dorthin, da das Wetter unvorhersehbar war und sich der gefährliche Ozean ganz in der Nähe befand. Und diese Bauern gingen wirklich in die Berge? »Ja«, bestätigte Barson. »Mindestens zwanzig Personen aus Jandisons nördlichstem Dorf sind dorthin geflohen.« »Die sind doch lebensmüde«, meinte Augusta und schüttelte ihren Kopf. »Würde jemand, der richtig im Kopf ist, so etwas machen?« »Jemand, der verzweifelt und hungrig ist, schon, könnte ich mir vorstellen.« Ihr Liebhaber warf ihr einen ironischen Blick zu. »Du weißt nicht, wie sich Hunger anfühlt, stimmt’s?« »Nein«, gab Augusta zu. Die meisten Zauberer aßen nur zu ihrem Vergnügen; Zaubersprüche, die die Versorgung des Körpers sicherstellten, waren einfach – und eine der ersten Sachen, die Eltern ihren Kindern beibrachten. Augusta hatte solche Sprüche mit drei Jahren beherrscht – und seitdem nie wieder Hunger verspürt. Barson lächelte als Antwort darauf und streckte seinen Arm aus, um sie mit seiner großen, von Hornhaut überzogenen Hand zu berühren.
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