Kapitel 4-1

1068 Parole
4 Blaise Was sie zu ihm gezogen hatte. Sie war also zu ihm gezogen worden. Das musste der letzte Zauber, den er ausgeführt hatte, gewesen sein, der Gala in sein Arbeitszimmer gezogen hatte, begriff Blaise. Er hatte versucht, eine physische Erscheinungsform des magischen Objekts zu erreichen, und stattdessen hatte er Gala hierhergebracht, in die physische Dimension. Sie sah ihn mit großen, blauen Augen an, betrachtete ihn mit dieser eigenwilligen Mischung aus kindlicher Neugier und scharfer Intelligenz. Blaise fragte sich, was sie wohl gerade dachte. Hatte sie die gleichen Gefühle wie ein normaler Mensch? Verstand sie das Konzept von Gefühlen überhaupt? Ihre Reaktionen ließen darauf schließen, dass sie das tat. Sie hatte sein Lächeln erwidert, also schien sie zumindest ein paar Gesichtsausdrücke zu kennen. »Ich möchte sie sehen«, sagte sie plötzlich und lehnte sich nach vorne. »Blaise, ich möchte mehr von dieser Welt erfahren. Ich möchte diesen Ort kennenlernen. Kannst du ihn mir bitte zeigen?« »Selbstverständlich«, antwortete ihr Blaise und stand auf. Er hatte noch eine Million Fragen mehr an sie, aber sie war wahrscheinlich noch wissbegieriger. »Lass mich damit beginnen, dir das Haus zu zeigen.« Er begann die Führung in der oberen Etage, in der sich sein Arbeitszimmer und die Schlafzimmer befanden. Gala schlenderte hinter ihm her und hörte aufmerksam seinen Erklärungen für die Bestimmung eines jeden Raumes zu. Alles schien sie zu faszinieren, angefangen von dem Schrank mit Augustas Kleidern bis hin zu den verglasten Fenstern in Blaises Schlafzimmer. Sie ging zu einem besonders großen, kletterte auf die Fensterbank, presste ihre Nase gegen das Glas und blickte nach draußen. Blaise war wie verzaubert von ihrem Anblick und konnte sein Lächeln nicht unterdrücken. »Was ist dort draußen?«, fragte sie und drehte ihren Kopf, um ihn anzusehen. »Ich möchte dorthin gehen.« »Das ist mein Garten«, erklärte ihr Blaise und kam näher, um ihr dabei zu helfen, von der Fensterbank herunterzuklettern. »Ich kann ihn dir gerne als Nächstes zeigen.« Er streckte seinen Arm aus, ergriff ihre Hand und half Gala vorsichtig nach unten. Ihre Hand fühlte sich in seinem Griff klein und warm an. Blaise staunte erneut über die strahlende Schönheit seiner Kreation … und die Stärke seiner eigenen Reaktion auf sie. Er hatte sich seit einer langen Zeit nicht mehr so stark zu einer Frau hingezogen gefühlt, nicht mehr seit Augusta … Denk nicht an sie, sagte er sich, als er den vertrauten Schmerz in seiner Brust spürte. Die Tatsache, dass seine ehemalige Verlobte seine Gedanken noch in einem so großen Ausmaß beschäftigte, machte ihn wütend. Nach der Art und Weise, wie sie ihn betrogen hatte, hatte er alles getan, sie aus seinem Gedächtnis zu löschen, aber das war nicht so einfach. Er kannte Augusta seit über zehn Jahren, seit er sie an der Akademie getroffen hatte, als sie beide noch Akolyten waren. Er hatte sie immer schön gefunden, mit ihren dunklen, glänzenden Locken, aber erst als sie angefangen hatten, zusammen am Deutungsstein zu arbeiten, hatte er sich in sie verliebt. Sie schienen das perfekte Paar zu sein, da sie beide jung und ehrgeizig waren, auch wenn sie nicht immer der gleichen Meinung waren. Jahrelang war ihre Leidenschaft – die für die Arbeit und auch die füreinander – ausreichend gewesen, um ihre Differenzen zu überbrücken. Bis zu Louies Verhandlung hatte Blaise nie bemerkt, wie groß der Unterschied zwischen ihnen wirklich war. »Komm mit mir«, forderte er sie auf und zwang sich, Galas Hand loszulassen. »Lass uns nach unten gehen.« Sie stiegen die Treppen hinab und gingen durch einen langen Flur zum Garten. Gala berührte weiterhin alles, was sich auf dem Weg befand, indem sie ihre Finger über jede neue Oberfläche gleiten ließ, auf die sie stieß. Schließlich waren sie draußen. »Das ist mein Garten«, erklärte ihr Blaise und deutete auf die große, grüne Fläche vor ihnen. »Er ist gerade ein wenig überwuchert …« »Er ist wunderschön«, entgegnete Gala langsam und drehte sich im Kreis. Sie sah ganz hingerissen aus. »Oh, eure physische Dimension ist so wunderschön, Blaise …« »Ja«, murmelte Blaise, der von ihr wie hypnotisiert war. »Da hast du recht, das ist sie.« Er blinzelte und zwang sich, von ihr wegzuschauen, auf etwas anderes als auf ihre großartige Erscheinung zu blicken. Sie lachte glücklich und zog damit erneut seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah, wie sie nach einem leuchtend bunten Schmetterling griff, der auf einer weißen Blume saß. Sie hatte Gefühle, erkannte er, als er ihr vor Freude und Aufregung strahlendes Gesicht sah. Er versuchte diese vertraute Umgebung so zu sehen, wie sie Gala wahrscheinlich wahrnahm, und musste zugeben, dass der Garten eine wilde Schönheit ausstrahlte. Seine Mutter war hervorragend im Umgang mit Pflanzen gewesen, hatte die richtigen Zauber angewandt, um das Wachstum der Blumen und Obstbäume zu unterstützen, und Blaise konnte immer noch überall Spuren ihrer Magie entdecken. »Möchtest du etwas Interessantes sehen?«, fragte er spontan, da er mehr dieser strahlenden Freude auf Galas Gesicht sehen wollte. »Ja«, antwortete sie ihm sofort. »Bitte.« »Dann schau her«, forderte Blaise sie auf und begann einen einfachen verbalen Zauberspruch. Er hielt eine Hand ausgestreckt und konzentrierte sich darauf, die Lichtpartikel zu manipulieren, sie so zu lenken, dass sie sich auf seiner nach oben gedrehten Handfläche sammelten. Jedes Wort, jeder Satz, den er sprach, war Teil eines komplexen Codes, der es ihm ermöglichte, zu zaubern. Als er mit der Logik und den Anweisungen des Spruchs zufrieden war, nutzte er den Deutungsspruch – eine komplexe Litanei, die jeder verbale Zauber am Ende erforderte –, um das alles in die Zauberdimension zu übertragen. Und dann wartete er. Einige Sekunden später begann die Luft über seiner ausgestreckten Hand zu flimmern, und ein heller, leuchtender Umriss begann sich zu formen. Nach kurzer Zeit befand sich dort eine Rose, die vollständig aus Licht bestand und einige Zentimeter über seiner Hand schwebte. »Sie ist so wunderschön«, hauchte Gala und betrachtete seine kleine Vorführung mit einem bewundernden Gesichtsausdruck. Sie streckte ihren Arm aus und berührte die Rose, ihre Finger glitten dabei genau durch die Lichtansammlung. Blaise grinste und freute sich, sie mit etwas so Einfachem beeindrucken zu können. Wenn man ihren Ursprung bedachte, würde sie wahrscheinlich in der Lage sein, das Gleiche und noch viel mehr zu machen. Sehr viel mehr, dachte er und versuchte sich vorzustellen, wie mächtig jemand sein könnte, der in der Zauberdimension geboren wurde. Es war ein wenig zu früh, Galas Fähigkeiten zu erforschen, aber Blaise hatte das Gefühl, sie würde anders als alles sein, was die Welt bis jetzt gesehen hatte.
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