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Dagger klammerte sich an die Decke des Käfigs und presste seinen Rücken gegen das kalte Metall. Seine Füße hatte er zwischen die schmalen Stäbe geklemmt, und er hielt sich mit der linken Hand an einer dicken Strebe fest, während er zusah, wie unter ihm langsam die zweite Tür geöffnet wurde. In seiner rechten Hand hielt er eine lange Kette mit messerscharfen Klingen, die nur dafür entwickelt worden war, Fleisch und Knochen zu durchtrennen.
Dagger ignorierte das Blut, das seinen Arm hinunterlief und auf den Boden des Käfigs tief unter ihm tropfte. Er hielt seinen Körper vollkommen ruhig und wartete darauf, dass sich der riesige Gartaianer unter ihm drehte. Das Gefühl eiskalter Berechnung sorgte für einen klaren Verstand, auch wenn sein Körper begann, vor Erschöpfung zu schwächeln.
»Kämpf, kämpf, kämpf, kämpf!«, brüllte die Menge und forderte, dass er sich hinunterfallen ließ.
Dagger blendete die Menge aus. Er hatte schon lange vor ihr gesehen, was zu ihm und dem anderen Mann in den Käfig gelassen wurde. Er wusste, dass er sein ganzes Können einsetzen musste, um zu überleben.
Drei der vier Männer, die mit ihm im Käfig gewesen waren, waren bereits tot. Der vierte Mann würde, so wie er taumelte, nicht mehr lange leben. Er war über und über mit Blut bedeckt, sowohl aus seinen eigenen Wunden als auch mit dem Blut des Mannes, den er gerade getötet hatte. Der Gartaianer würde in dem Moment angreifen, in dem er den Geruch wahrnahm, weshalb Dagger kehrtgemacht hatte und am Käfig hochgeklettert war.
Er selbst hatte zwei der Männer, die im Ring lagen, getötet. Die Menge außerhalb des Käfigs hatte ihm zugegröhlt, auch die beiden anderen zu erledigen, die in ihrem Kampf um Leben und Tod abgelenkt gewesen waren, aber er hatte die Aufforderungen ignoriert. Er wusste, dass er seine Kraft für das, was noch kommen sollte, aufsparen musste.
Also hatte er sich an den Rand des Käfigs zurückfallen lassen und tief durchgeatmet, während er seinen Blick durch die Arena streifen ließ und nach dem Mann suchte, der dafür verantwortlich war, dass er hier war. Er wusste, dass er irgendwo in der Menge war und ihn beobachtete. Dagger spürte den schadenfrohen Blick des Mannes, so wie jedes Mal, wenn er kämpfte.
Daggers Blick glitt über die voll besetzten Zuschauerränge und ruhte dann für einen Moment auf dem Drethulaner, der hoch oben über den Massen auf dem Logenplatz saß. Auch wenn Jolin Talja Besitzer des Kampfrings The Hole war, stand er auf Daggers Todesliste erst auf Platz zwei.
Nein, Dagger suchte nach Cordus Kelman, dem Mann, der glaubte, ihn zu »besitzen«. Der Mann, der ihn an die Besitzer illegaler Kampfringe auslieh, und es genoss, Männer und Frauen wie Dagger ums Überleben kämpfen zu sehen. Dagger war ein Rätsel. Er hatte länger als alle anderen Kämpfer überlebt und war bisher der Profitabelste für seinen »Besitzer« und diejenigen, die auf seinen Sieg gesetzt hatten.
Daggers Augen fixierten die dritte Reihe, wo ein vertrautes Paar schwarzer Knopfaugen ihn aufmerksam anstarrte. Für einen Moment verschwand alles um Dagger herum, bis auf den Mann, der in der reservierten Loge auf der Tribüne saß. Ihre Augen fochten einen stillen Willenskampf aus; auf der einen Seite Triumph, auf der anderen ein Versprechen.
Der blassweiße Teint des Mannes fiel zwischen den anderen bunten Zuschauern auf den Tribünen auf. Er versuchte auch nicht, sein Gesicht zu verbergen, um anonym zu bleiben. Er wusste, dass Dagger ihn suchen würde und er wollte gefunden werden. Tiefer Hass brodelte in Dagger, bis er glaubte, zu explodieren.
Dagger starrte Kelman an. Der kahle Kopf des geldsüchtigen Milliardärs glänzte hell im Scheinwerferlicht der Arena. Er stand zwar in zahlreichen Sternensystemen auf Fahndungslisten, aber der Bastard war klug genug, sich am Rand der Allianz aufzuhalten, nicht ganz außerhalb, aber auch nicht ganz darin.
Kelman blieb in dem Bereich, der für alle, die sich dorthin verirrten, primitiv und gefährlich wirkte. Es war ein rechtsfreies Gebiet, mit dem sich kein Sternensystem auseinandersetzen wollte, weil alle wussten, dass die Bewohner nicht zu ihnen kamen, solange dieses Gebiet existierte. Das hatte so lange gestimmt, bis Kelman den Planeten angegriffen hatte, zu dem Dagger und einige andere Trivatorkrieger geschickt worden waren, um diesen nach einem Angriff zu verteidigen. Der Angriff war eine Falle gewesen.
Kelman war der Drahtzieher hinter dem inszenierten Überfall gewesen, der zu Daggers Gefangennahme geführt hatte. Er wusste nicht, was aus seinem Partner Edge geworden war, da er nach dem Absturz ihres Transporters das Bewusstsein verloren hatte. Das war vor über zwei Jahren gewesen. Seitdem hatte Kelman jeden Kampf besucht, den Dagger gezwungenermaßen bestritten hatte. Er sah Nacht für Nacht zu, wie Dagger um sein Überleben kämpfte, labte sich an dessen Wut und beobachtete, wie er ganz allmählich den Verstand verlor.
Dagger brach den Blickkontakt ab, als er den heiseren Schrei des letzten Mannes hörte. Der Gartaianer hatte sich umgewandt und der Mann hing für einen kurzen Moment in der Luft, bevor er im Rachen des Gartaianers verschwand. Das übelkeitserregende Geräusch von brechenden Knochen, wurde von den Schreien des Publikums übertönt.
Dagger hatte seinen Arm am Ellbogen in den Käfig gehakt, um seinen Körper ruhig zu halten, und wartete ab, während sich das Tier im Kreis drehte und witterte. Der Gartaianer war ein riesiges, graues Wesen, das in den Sumpfgebieten auf Kepler-10 lebte. Dagger hatte bisher nur Bilder davon in einigen der Schulungsvideos gesehen, die er im Laufe der Jahre in seiner Freizeit an Bord verschiedener Kriegsschiffe gesehen hatte.
Der Gartaianer war fast vier Meter groß und wog mehr als zehn Tonnen. An jeder Seite des Maules hatte er drei unterschiedlich lange Hauer, mit denen er in der Erde nach Futter suchen konnte, außerdem dienten sie der Verteidigung. Gartaianer waren in der Lage, alles zu essen und zu verdauen. Der Rüssel eines Gartaianers konnte fast zwei Meter weit reichen und die Beute in das breite Maul ziehen. Die Zähne waren d**k und flach, so dass sie alles zermalmen konnten, bevor die Überreste der Beute verschluckt wurde. Zermalmt und gefressen zu werden, gehörte nicht gerade Daggers bevorzugte Art und Weise zu sterben.
Dagger wusste nur von einer Schwäche der Gartaianer, sie waren praktisch blind und fast ausschließlich von ihrem Geruchssinn abhängig. Daggers einziger Vorteil war, dass die Arena mit dem Blut der Toten getränkt war, was seinen Duft überdeckte.
Er wartete geduldig, bis sich das Tier im Halbkreis drehte und ihm seinen dicken grauen Rücken zuwandte. Dann ließ er los und sich auf den Rücken des Gartaianers fallen. Die lange, mit Klingen besetzte Kette in seiner Hand schwang unter dem Kinn des Tieres hindurch, er beugte sich vor und packte das andere Ende, als es auf der anderen Seite des Halses wieder nach oben kam.
Dagger verstärkte seinen Griff an beiden Enden und wusste, dass er nur diese eine Chance hatte. Er lehnte sich nach hinten und begann die rasiermesserscharfen Klingen mit einer Sägebewegung durch das dicke Fleisch zu ziehen. Lautes, wütendes Brüllen erschütterte die Arena.
Dagger klammerte sich mit den Beinen um den Nacken des Gartaianers und presste seine Fersen in die massiven Schultern. Er flog beinahe vom Rücken, als der Gartaianer sich herumschwang und seinen Körper gegen den Metallkäfig warf. Das Einzige, was Dagger davor bewahrte, zwischen dem massigen Körper und dem Metallkäfig zerquetscht zu werden, waren die massigen Schultern, die ihm Schutz boten.
Die Wucht des Stoßes reichte aus, um die Stangen zu verbiegen. Zuschauer, die ihre Plätze direkt am Käfig hatten, fuhren erschrocken zurück. Einige schrien und stürzten, als andere drängelten, um außerhalb der Reichweite des langen Rüssels zu kommen, die nun zwischen den Gitterstäben hindurch nach Beute schnappte. Eine Frau, die gestürzt war, war nicht schnell genug. Ihr lauter, durchdringender Schrei übertönte das Chaos im Zuschauerraum, als die Zunge sich um ihren Knöchel schlang. Alle, die sich in der Nähe der Frau aufhielten, drängelten, um zu entkommen, anstatt ihr zu helfen, als der Gartaianer sie zu sich zog.
Die lauten Schreie der Frau hörten abrupt auf, als ihr Bein nachgab und abriss, da der Gartaianer versucht hatte, sie durch die schmale Öffnung zwischen zwei Gitterstäben zu ziehen. Dagger ignorierte alles, außer seinen anhaltenden Angriff auf die Kehle. Er spürte, wie die dicke Haut unter den scharfen Klingen nachgab und er das weichere Fleisch darunter erreichte.
Der Gartaianer stolperte, als Dagger seine Hauptarterie durchtrennte. Ein Schwall schwarzen Blutes strömte aus der pulsierenden Wunde und bedeckte den Boden der Arena. Es verströmte einen starken, fauligen Gestank, als es durch die Stäbe floss. Dagger behielt den Druck bei und wartete, bis die Vorderbeine nachgaben und der Gartaianer zusammenbrach, bevor er ein Ende der Kette losließ und sie in einem hohen Bogen nach oben schwang.
Das Ende der tödlichen Kette wickelte sich um eine Strebe am oberen Ende des Käfigs, und als der Gartaianer unter ihm zusammenbrach, hielt sich Dagger mit beiden Händen am Ende der Kette fest. Die Schreie und das Gekreische der Zuschauer hatten sich in ein überraschtes Schweigen verwandelt, als der Gartaianer einen letzten schaudernden Atemzug tat, ehe seine Zunge aus dem Mund rollte und seine Augen im Tod glasig wurden.
Dagger konnte hunderte Augenpaare auf sich spüren, als er in der Mitte des Käfigs hing und sich dabei langsam um sich selbst drehte. Seine eigenen Augen funkelten wütend zurück, als er die Menge anstarrte. Erst als sein Blick auf eine einsame Gestalt fiel, die hoch oben an der Seite der Tribüne stand, löste sich die Wut auf.
Er hätte die schlanke, verhüllte Figur übersehen, wenn er nicht so hoch oben gehangen hätte. Er beobachtete, wie die Kapuze des Umhangs von blassen Händen nach hinten geschoben wurde und das zuvor in ihrem Schatten verborgene Gesicht sichtbar wurde. Für einen Moment, nicht länger als eine halbe Sekunde, sah er in zwei gequälte haselnussbraune Augen.
Dagger schluckte, während er beobachtete, wie die Gestalt sich die Kapuze eilig wieder ins Gesicht zog und zurück in den dunklen Schatten trat, als sich eine andere Gestalt näherte. Seine Arme zitterten, als seine Kraft nachließ. Er warf einen Blick in die Tiefe, ehe er losließ und neben dem toten Gartaianer landete. Er sank auf ein Knie und atmete tief durch, während seine Gedanken ziellos in seinem Kopf herumwirbelten.
Der laute Beifall der Zuschauer brandete auf und umspülte seinen erschöpften Geist. Er stieg auf den Gartaianer und versuchte einen weiteren Blick auf die Gestalt zu erhaschen. Er zischte wütend, als er die Schlinge der langen Stangen um seine Handgelenke spürte und die Wachen auf ihn zustürmten. Er kämpfte kurz und versuchte erneut, über die Köpfe der jubelnden Menge hinwegzusehen, aber es war nutzlos. Dagger rutschte vom Gartaianer und nahm seine Schultern zurück, als Kelman an die Käfigtür trat und langsam in die Hände klatschte.
»Gut gemacht, Trivator«, kicherte Kelman spöttisch. »Mit diesem Kampf habe ich einen Jahresvorrat vaspianischen Wein gewonnen.«
Dagger stürmte nach vorne und zog die Wachen an seinen Seiten mit. Kelman trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn nachdenklich mit zusammengekniffenen Augen. Drei weitere Wachen stürmten an Kelman vorbei. Dagger taumelte, als ihn eine mit einem Betäubungsstab gegen die Brust schlug. Er zitterte einen Moment, ehe seine Beine nachgaben, weil der Mann ihn einen erneuten Stromschlag verpasste.
»Ich … werde … dich töten«, zischte Dagger, als sein Kopf nach vorne fiel.
Seine Schultern brannten, als die Wachen ihn aus dem Kampfring zogen und in die Zelle drei Ebenen unterhalb des Kampfrings zurückbrachten. Übelkeit und Erschöpfung kämpften mit den Schmerzen, die durch einen tiefen Schnitt an Schulter und Rücken verursacht wurden. Mit den Schmerzen und der Erschöpfung konnte er fertig werden. Es war die Übelkeit, die fast sein Verderben war. Die Übelkeit, die mit seiner Verzweiflung spielte. Die Übelkeit, die dazu ihn dazu gebracht hatte zu glauben, Jordan Sampson an einem solchen Ort wie The Hole gesehen zu haben. Ein letztes Mal.
»Niemals«, flüsterte er mit heiserer Stimme.
Er blinzelte mehrmals und versuchte trotz des schwachen Lichts klar zu sehen. Die Wachen hatten seinen Körper auf den kalten, harten Steinboden fallen lassen. Zwei von ihnen standen über ihm und drückten seine Handgelenke auf den Boden, während zwei weitere die Ketten wieder an den Ringen an seinen Handgelenken und Knöcheln befestigten.
Sobald dies erledigt war, betrat der Heiler die Zelle. Kelman schickte ihn nach jedem Kampf, damit er sich um Daggers Wunden kümmerte. Er wollte, dass er für den nächsten Kampf bereit war.
Dagger fielen die Augen zu, als der Heiler die Wunde an Rücken und Schulter behandelte. Der alte Mann murmelte vor sich hin, bevor er ihm einen Injektor an den Hals drückte.
Dagger machte sich nicht die Mühe, die Augen zu öffnen, als der alte Mann unsicher aufstand. Eine Minute später erfüllte Stille den langen Gang. Er war der einzige Gefangene auf dieser Ebene. Kurz nach seiner Ankunft hatten sie ihn von den anderen getrennt, weil er einige der anderen Kämpfer dazu angestiftet hatte, die Wachen anzugreifen.
Er rollte sich auf den Rücken und sah zur Decke. Er konnte spüren, wie die Medizin durch sein System strömte, den Schmerz betäubte und ihn in den Schlaf zog. Etwas sagte ihm, dass der alte Heiler sich mit der Injektion Kelmans Anweisungen widersetzt hatte.
Für einen Moment kämpfte Dagger darum, die Augen offen zu halten, aber er war zu erschöpft. Seine Gedanken wanderten ziellos umher, bis vor ihm ein schönes, blasses Gesicht erschien, das alle anderen Gedanken vertrieb. Jordan. Es war ihr Gesicht, das er zwischen den Kämpfen in der stillen Einsamkeit seiner Zelle sah.
Er hatte Angst, endgültig den Verstand zu verlieren. Er hätte schwören können, sie vorhin gesehen zu haben, aber er wusste, dass dies unmöglich war. Bedauern und Einsamkeit erfüllten ihn. Er versuchte nicht länger, seinen Verstand zu kontrollieren, sondern öffnete sich seinen Erinnerungen und hoffte, dass sie ihn in den wenigen Stunden wärmen würden, die ihm bis zum nächsten Kampf blieben.
»Bitte«, flüsterte er mit leiser, rostiger Stimme. »Bitte passt auf sie auf.«
Er gab den Versuch, wach zu bleiben, auf. Stattdessen dachte er an das erste Mal, als er Jordan Sampson gesehen hatte. Bedauern brannte in ihn, weil er das Versprechen, das er ihr bei ihrer letzten Begegnung gegeben hatte, nicht halten konnte. Dieses Versprechen und ihr erster und einziger Kuss, gaben ihm Hoffnung und die Entschlossenheit, bis zu seinem letzten Atemzug zu kämpfen.
Ein ungewohntes Brennen ließ seine Augen tränen. Aber er würde niemals die Tränen vergießen, die sich ihren Weg durch seine fest geschlossenen Augenlider bahnten. Wenn er dies zuließ, müsste er auch zugeben, dass er alle Hoffnung aufgegeben hatte, sie jemals wiederzusehen.