Kapitel12

1205 Words
Kapitel 12 Maurices Sicht Ethan schien noch etwas sagen zu wollen, doch er trat stattdessen zurück. „Ruhe dich aus“, sagte er. „Du bist noch in der Genesungsphase.“ Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Ich legte mich wieder aufs Bett und starrte erneut an die Decke. Alles war still, doch in meinem Kopf schrie alles. Ich schloss die Augen und redete mir ein, ich würde schlafen, einfach nur schlafen, mich ausruhen. Doch sobald die Dunkelheit hereinbrach, rissen mich meine Gedanken zurück. Ich sah meinen Vater zusammenbrechen, ich sah Jasper grinsen, ich sah Selena ihren Sohn halten, ich spürte Steine auf meinem Körper, ich spürte kaltes Wasser, das mich verschlang. „Hör auf“, flüsterte ich und klammerte mich an die Decke. „Hör auf, hör auf …“ Doch die Erinnerungen hörten nicht auf. Ich sah mich wieder in den Wellen versinken, meine Lungen brannten, mein Körper war schwach, die Welt wurde immer dunkler. Mir stockte der Atem. Ich schreckte mit einem lauten Keuchen hoch, mein Herz hämmerte so schnell, dass ich dachte, es würde mir gleich aus der Brust springen. „Nein … nein … bitte …“ Ich klammerte mich zitternd an die Laken. „Nicht schon wieder …“ Ich hörte die Schritte erst, als die Tür aufgerissen wurde. „Maurice!“ Ethan stürmte so schnell herein, dass die Luft um ihn herum vibrierte. Seine Augen musterten mich, scharf, wachsam, bereit für Gefahr. Ich konnte kaum atmen. Mein Kopf dröhnte, er sank immer noch. Ethan kam näher und blieb am Bett stehen. „Was ist passiert?“ Ich konnte nicht antworten. Ich versuchte es, aber es kam nur ein erstickter Laut heraus. Das Zimmer bebte, oder vielleicht war es mein Körper. Ich presste die Hände auf meine Brust, verzweifelt bemüht, mich zu fassen. Ethan beugte sich vor, berührte mich nicht, aber er stand so nah, dass ich seine Anwesenheit spürte, die mich zurück in die Realität zog. „Maurice.“ Er sagte es mit leiser, ruhiger, beherrschter Stimme. „Sieh mich an.“ Ich hob langsam den Kopf, meine Sicht verschwamm, und mein Körper zitterte noch immer. Er sah mir in die Augen, sein Gesichtsausdruck war fest, aber ruhig. „Du bist in Sicherheit“, sagte er. Ich versuchte zu atmen, aber die Panik ließ nicht nach. Ethans Kiefer verkrampfte sich. Er trat näher, seine Anwesenheit gab mir Halt, obwohl ich nicht verstand, warum. „Wovon hast du geträumt?“, fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Ich … ich …“ Er drängte nicht, er stand einfach nur da, ruhig und unbeweglich, und ließ mich seine Ruhe spüren, als meine eigene verschwunden war. Mein Atem beruhigte sich langsam, meine Finger lockerten sich in der Decke, und mein Herzschlag verlangsamte sich ein wenig. Ethan beobachtete mich, als würde er einen verletzten Wolf beobachten und sichergehen, dass er nicht wieder zusammenbrach. Ich wischte mir mit dem Handrücken übers Gesicht, immer noch zitternd. Er holte tief Luft. „Wenn du etwas brauchst, ruf mich einfach, egal zu welcher Uhrzeit“, sagte er, und ich nickte schwach. Ethan musterte mich ein letztes Mal, um sicherzugehen, dass ich nicht ohnmächtig wurde, dann trat er zurück. ********** Ethans Sicht „Alpha, du musst das hören.“ Ich blickte von dem Stapel Berichte auf meinem Schreibtisch auf. Einer der Wachen stand atemlos im Türrahmen. „Was ist los?“, fragte ich. „Es ist die Frau, die du gerettet hast, Maurice. Sie schreit wieder im Schlaf.“ Mein Stuhl kratzte laut über den Boden, als ich ihn zurückschob und aufstand. „Wie lange schon?“, fragte ich eindringlich. „Zehn Minuten. Alpha hat geklopft, aber sie ist nicht aufgewacht.“ Ich griff nach meinen Schlüsseln. „Hol Ryan, wir gehen jetzt.“ „Ja, Alpha.“ Die Wache stürmte hinaus, und ich spürte einen Druck in meiner Brust, der einfach nicht verschwinden wollte. Maurice war erst kurz hier, aber jede Nacht brachte einen neuen Albtraum. Sie sprach selten, aber das Zittern ihrer Hände, ihre steife Haltung, die Art, wie ihre Augen durch das Herrenhaus huschten – all das sagte mehr als tausend Worte. Ich versicherte ihr, dass sie in Sicherheit sei, doch ihr Körper reagierte, als lauerte hinter jeder Wand Gefahr. Ryan stieß die Tür auf. „Hast du es gehört?“ „Ja, lass uns gehen.“ Wir eilten die Treppe hinunter und aus dem Rudelhaus. Ryan sprang auf den Beifahrersitz neben mich. „Irgendetwas muss sie triggern“, sagte er, als ich den Motor startete. „Sie hat die Hölle durchgemacht“, erwiderte ich. „Ich weiß nur nicht genau, was.“ „Du solltest sie fragen“, sagte er. „Direkt.“ „Werde ich, wenn sie bereit ist.“ Ryan verschränkte die Arme und beobachtete mich aus dem Augenwinkel. „Du kümmerst dich mehr, als du denkst.“ Ich antwortete nicht, sondern gab einfach Gas. Die Fahrt zur Villa kam mir länger vor als sonst. Die Nachtluft war schwül, die Straßen waren still, und die Scheinwerfer durchschnitten die leere Straße vor uns. Maurices Schrei hallte in meinem Kopf wider, obwohl ich ihn schon so oft gehört hatte, dass ich ihn mir genau vorstellen konnte. Als wir die Villa erreichten, stieg ich aus, noch bevor der Wagen ganz zum Stehen gekommen war. „Überprüf die Umgebung“, sagte ich zu Ryan. „Ich gehe zu ihrem Zimmer.“ Er nickte und joggte zu den Wachen, während ich eilig hineinging. Die Villa war normalerweise ruhig, aber heute Abend lag eine beklemmende Stimmung in der Luft. Maurices Tür war am Ende des Flurs. Ich erreichte sie schnell und klopfte. „Maurice?“, rief ich. Es kam keine Antwort, nur leise, abgehackte Laute. Ich drückte die Tür auf. Sie saß zitternd auf dem Boden neben dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, und ihr Blick war wild und abwesend. Es sah aus, als sähe sie mich gar nicht. „Maurice“, sagte ich leise. Sie zuckte zusammen und blickte auf. In dem Moment, als sich unsere Blicke trafen, brach sie zusammen. Ihre Kraft schwand wie ein Faden. Sie fiel nach vorn und fing sich mit den Händen ab, doch ihr Körper zitterte zu heftig, um sich halten zu können. „Nein, nein“, flüsterte sie atemlos. „Ich kann nicht … ich kann nicht zurück. Ich habe nichts getan, was ich nicht …“ Ihre Worte verfingen sich in Schluchzern. Ich ging langsam auf sie zu und kniete vor ihr nieder. „Du bist in Sicherheit“, sagte ich. „Sieh mich an.“ Sie tat es, doch ihr Blick war leer, als wäre sie noch immer in dem Albtraum gefangen, den sie erlebt hatte. „Du bist in Sicherheit“, wiederholte ich. „Hier wird dich niemand berühren.“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre Stimme versagte erneut. Sie klammerte sich an die Laken neben sich, als bräuchte sie etwas, woran sie sich festhalten konnte. Je genauer ich sie betrachtete, desto mehr wurde mir klar, dass sie nicht nur Angst hatte; sie war emotional, mental und körperlich völlig erschöpft, als hätte ihr jemand alles genommen.
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