Hunters Sicht
Die Tür schloss sich hinter Grace und hinterließ Stille. Ich hielt den Atem an, meine Kiefermuskeln spannten sich an, während ich auf den leeren Platz starrte, den sie Sekunden zuvor eingenommen hatte. Ich hatte den Zorn in ihren Augen gesehen, bevor sie gegangen war.
Meine Hände zuckten an meinen Seiten, als kämpfte ich gegen den Drang an, sie zurückzuziehen. Die brennende Irritation in meiner Brust war beunruhigend, fremd, und ich mochte sie überhaupt nicht.
„Also, erzähl schon, was ist los?“, durchbrach Helenas Stimme die Stille und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Meine Frau stand mit verschränkten Armen da, ihre scharfen Augen musterten mich mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte.
Fast so, als würde sie mich nicht so gut kennen. Sie kam nicht oft ins Büro. Ich war kein Musterschüler und verlor oft die Beherrschung. Sie hatte diese Seite von mir einfach noch nicht gesehen. Sie kannte nur meine sanftere Seite von zu Hause.
Ich presste die Luft durch die Nase heraus und zog die Schultern zurück. „Sie ist mit Max im Aufzug stecken geblieben.“
Helena neigte den Kopf, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Max? Dein Freund Max Castle.“
Mir wurde übel bei dem Gedanken. Max war nicht irgendwer. Ich kannte ihn, seine sexuellen Vorlieben, seine Vergangenheit. Und die Vorstellung, dass Grace auch nur in seiner Nähe sein könnte, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack.
Aber warum? Sie war nicht meine Verantwortung. Sie war meine Schwägerin, die Familie meiner Frau. Das war der einzige Grund, warum sie mir wichtig war. Denn Familie hält zusammen. Oder? Warum fühlte es sich dann nach mehr an? „Ja.“
„Also, was ist denn so schlimm daran? Max ist ein netter Kerl“, sagte Helena, kam herüber und legte mir die Hände auf die Brust.
„Weil Max deine Schwester im Aufzug zu einem Date überredet hat.“ Ich fand, das sollte alles erklären. Max war gutaussehend, charmant und wusste, wie man mit Frauen umgeht. Er war witzig, umgänglich und verdammt pervers. Allein der Gedanke, ihn in Graces Nähe zu sehen, jagte mir einen Schrecken ein. Wenigstens kann ich meine Triebe in dieser Hinsicht kontrollieren. Helena stand nicht auf solche Bettspiele.
Helenas Lippen verzogen sich leicht, ihre Finger strichen über mein Hemd. „Grace ist eine erwachsene Frau. Außerdem wird sie wohl kaum mit ihm schlafen, nicht jetzt, wo sie unsere Leihmutter ist. Lass sie doch ein bisschen Spaß haben. Die nächsten neun Monate werden hart für sie, wenn sie unser Baby austrägt.“ Spaß. Das war eine Möglichkeit, es auszudrücken. Ich kannte Max. Ich wusste, wie er seine Frauen wechselte, als wäre es ein Spiel, eine Herausforderung, die er immer gewann. Er war ein Playboy. Die Vorstellung, dass er es auf Grace abgesehen hatte, ließ meinen Kiefer anspannen.
„Sie kennt ihn kaum“, sagte ich, meine Stimme schärfer als beabsichtigt. Helenas wunderschöne grüne Augen glänzten mit etwas, das ich nicht deuten konnte. „Sie ist eine erwachsene Frau, Hunter. Sie kann auf sich selbst aufpassen.“
„Sie könnte schwanger sein. Ich traue Max nicht zu, dass er nicht noch mehr will“, erinnerte ich sie.
„Ich werde mit ihr reden. Wir müssen sichergehen, dass das Baby, das sie erwartet, von uns ist“, entgegnete sie gelassen. „Es ist nur ein Date. Warum regst du dich so auf?“
Ich öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn aber wieder. Mir fiel keine vernünftige Antwort ein. Keine, die ich laut aussprechen wollte.
Helena drückte mir einen Kuss auf die Wange, ihre Lippen waren weich. „Sei nicht so überfürsorglich. Grace ist nicht deine Sorge. Ich bin es, Liebling.“
Ihre Worte lösten ein heißes, unangenehmes Kribbeln in mir aus. Ich wusste, sie hatte Recht. Aber das Gefühl in meiner Brust verschwand nicht.
Helena trat zurück und warf einen Blick auf die Uhr. „Ich muss los. Mein Personal Trainer wartet.“
Irgendetwas an ihrer Art, es zu sagen, ließ mich innehalten. Helena hatte in letzter Zeit viel Zeit mit ihrem Trainer verbracht. Ihr Trainingspensum hatte sich verdoppelt, und doch wirkte sie nie besonders erschöpft, wenn sie nach Hause kam. Im Gegenteil, sie sah noch gepflegter aus, perfekte Frisur, makelloses Make-up, kein Schweißtropfen weit und breit.
Ich runzelte die Stirn. „Hast du ihn gestern nicht gesehen?“ Vielleicht war sie ja gerade im Fitnessstudio unter der Dusche.
Ihr Lächeln verschwand nicht. „Ich halte mich gern fit, Hunter. Du würdest doch nicht wollen, dass ich mich gehen lasse, oder? Du magst meinen Körper so, wie er ist.“ Sie strich sich beim Posieren mit den Händen über die Seiten.
Ich wusste, sie scherzte, aber irgendetwas an ihrer Art störte mich. Ich zuckte mit den Schultern. Ich war nach meinem Streit mit Grace ohnehin schon zu angespannt.
Helena küsste mich auf die Wange und schnappte sich ihre Tasche. „Ich muss dann mal los. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass die künstliche Befruchtung heute Morgen bei Grace gut verlaufen ist. Aber sie sollte es ein paar Tage ruhig angehen lassen, keinen Stress und viel Ruhe.“
Sie ging mit selbstsicheren Schritten davon, ihre Absätze klackten auf dem Boden. Ich sah ihr nach, und wieder beschlich mich dieses seltsame Unbehagen. Aber ich verdrängte es. Ich hatte Wichtigeres zu tun.
Warum musste ich ständig an Grace denken? Lag es daran, dass sie jetzt meinen Samen in sich tragen könnte? Ich hatte es nicht fassen können, als sie zugestimmt hatte, unser Kind auszutragen.
Ich sank in einen Stuhl und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Es sollte mir egal sein, mit wem sie essen ging. Aber die Vorstellung, dass sie mit Max zusammen war, dass er sie berührte, ihr etwas beibrachte, ließ mich erschaudern.
Ich sollte hingehen und ihr das Abendessen mit Max ausreden. Ich kannte seine Vergangenheit. Aber als ich es schon einmal versucht hatte, schien sie ganz begeistert davon zu sein, dass Max vielleicht ein Händchen für Frauen hatte. Was zum Teufel tat ich da? Ich hatte kein Recht, mich einzumischen. Sie konnte tun, was sie wollte.
Plötzlich leuchtete mein Handy auf – eine Nachricht von Max.
„Kannst du dich verdammt nochmal beeilen? Ich warte hier immer noch in deinem Büro. Du hast mich nicht gewarnt, wie umwerfend deine Schwägerin aussieht.“
Ich war nicht blind. Ich wusste, wie gut sie aussah. Der einzige Grund, warum ich vor vier Jahren nichts mit Grace angefangen hatte, war, dass sie meine Angestellte war – ein Albtraum für die Personalabteilung. Ein paar Jahre später lernte ich dann ihre Schwester kennen und heiratete sie.
Mein Griff um das Telefon verstärkte sich, eine ungewohnte Wut stieg in mir auf.
„Bin unterwegs. Leg dich nicht mit ihr an, Max. Ich meine es ernst“, schrieb ich zurück.
Seine Antwort kam fast sofort.
„Entspann dich, Mann. Wir essen nur. Aber verdammt, sie ist echt heiß …“
Ich warf das Telefon quer durchs Zimmer. Das Geräusch, als es gegen die Wand knallte, war befriedigend, als ich aufstand und den Raum verließ.
Ich atmete schwer aus. Ich musste das hinter mir lassen. Grace war erwachsen. Sie konnte auf sich selbst aufpassen.