Graces Sicht
„Ich … ich glaube, das wäre keine gute Idee.“ Wann war ich eigentlich das letzte Mal mit einem Mann ausgegangen? Ich konnte mich nicht erinnern. Meine Gedanken kreisten in letzter Zeit ständig um Hunter – eine regelrechte Selbstzerstörung.
„Warum? Bin ich so abstoßend? Ich meine, ich werde duschen und mich rasieren, versprochen.“ Max sah mich mit einem gespielten Schmollmund an und fügte hinzu: „Hör mal, es ist nur ein Abendessen. Du und ich. Eine Nacht. Keine Erwartungen. Wenn es Mist ist, musst du nie wieder mit mir ausgehen.“
Ich wusste gar nicht, dass Männer sowas machen. „Ich dachte, das machen nur Frauen.“ Ich musste lachen, weil Max einfach witzig war. Doch dann holte mich die Realität ein. Sich jetzt auf einen Mann einzulassen, nicht nur auf Max, sondern auf irgendeinen Mann, schien unmöglich. Wie sollte ich ihm erklären, dass ich vielleicht von meinem Chef und meiner Schwester schwanger war?
Denkte ich wirklich an s*x? Es war doch nur ein Abendessen. Und nach allem, hatte ich nicht auch mal etwas für mich verdient? Nur für mich, nicht für Helena? Gott, ich klang wie eine eifersüchtige Kuh. Aber ich riss mich zusammen und sagte: „Okay, abgemacht. Ich esse mit dir zu Abend.“
Max grinste mich zufrieden an. „Super. Soll ich dich abholen um –“ Er kam nicht zum Ende, denn der Aufzug ruckte, machte dann einen Satz und schleuderte mich wieder in seine Arme. Er schloss mich fest in die Arme, damit ich nicht auf den Boden aufschlug.
„Ich hab dich“, versicherte er mir. Der Aufzug ruckte erneut, bevor er sanft weiterfuhr. Ich sah auf die Stockwerksanzeige, die hochzählte, bis er das oberste Stockwerk erreichte. Die Türen glitten auf, und da stand Hunter mit verschränkten Armen.
Sein Blick heftete sich an mich, dann wanderte er zu Max’ Armen, die mich immer noch umklammerten. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich mich nicht von ihm gelöst hatte. Ich legte meine Hand auf Max’ Brust, um mich wegzudrücken, aber er hielt mich fest und weigerte sich, mich loszulassen. Hunters Augen verengten sich. „Max, kannst du bitte meine Sekretärin gehen lassen?“ Das waren seine ersten Worte. Nicht etwa: „Alles in Ordnung?“
„Was, wenn ich nicht will?“, erwiderte Max gelassen. Hunters Kiefer spannte sich an, seine Zähne knirschten. Was war nur los mit ihm?
Mir fiel auf, dass wir nicht allein waren. Ich hatte Hunter so sehr im Blick, dass ich die beiden Männer in Overalls neben ihm gar nicht bemerkt hatte. Einer von ihnen räusperte sich. „Äh, scheint eine Kleinigkeit zu sein. Sollte nicht wieder vorkommen.“
Ich sah zu Max auf und sagte leise, sodass er es nur hören konnte: „Bitte lass mich gehen.“ Max grinste mich an. „Alles für dich, Prinzessin.“ Seine Arme glitten weg, aber er trat nicht zurück, sondern blieb dicht bei mir stehen. Hunter wandte sich den beiden Technikern zu, die gerade ihr Werkzeug zusammenpackten. „Das hätte gar nicht erst passieren dürfen. Ich möchte, dass das Serviceprotokoll überprüft wird, um sicherzugehen, dass beim letzten Wartungseinsatz nichts übersehen wurde. Mir gefällt es nicht, dass zwei Personen so lange im Aufzug festsaßen.“ Sein Tonfall war scharf.
„Jawohl, Sir“, antwortete der ältere Techniker.
Ich stieg aus dem Aufzug, und Max folgte mir, direkt neben mir. Dadurch richtete sich Hunters durchdringender Blick wieder auf uns, seine Augen verengten sich erneut. Irgendetwas war da, das ich nicht deuten konnte.
Max, völlig unbeeindruckt, grinste, als er sich zu mir beugte. Er stand so nah, dass ich die Hitze spüren konnte, die von seinem Körper ausging. „Gebt nicht dem Rettungsteam die Schuld. Grace und ich haben es uns sehr bequem gemacht.“
Ich warf ihm einen Blick zu, aber Max grinste nur. „Also, wann soll ich dich heute Abend abholen, Grace?“
Ich spürte, wie mir die Wangen heiß wurden, als sich alle Blicke auf mich richteten. „Äh, können wir später darüber reden?“ Ich neigte den Kopf zu den anderen, die ganz offensichtlich zuhörten.
„Na klar, Prinzessin“, neckte Max und zwinkerte mir zu. Ich sah zu, wie die Techniker ihre Sachen packten und mit dem Aufzug verschwanden. Ich fühlte mich sehr unwohl.
„Max, kannst du kurz in mein Büro kommen, während ich mit meiner Sekretärin spreche?“, fragte Hunter und betonte das Wort „meine“. Ich erstarrte, mein ganzer Körper war in höchster Alarmbereitschaft. Hunters Stimmung ergab für mich keinen Sinn. Und dann, plötzlich, begriff ich es. Ich könnte sein Baby erwarten. Hunter wollte nichts, was seinen Inkubator störte. Gott bewahre, dass ich ein Leben außerhalb von Helenas und Hunters Vorstellungen führte. Meine Mutter, Margo, würde ihnen zustimmen. Ich runzelte die Stirn und erinnerte mich an das Gespräch zwischen Helena und meiner Mutter im Krankenhaus.
Ich legte Max die Hand auf den Arm. Als er mich ansah, sagte ich: „Komm noch kurz vorbei, bevor du gehst, dann klären wir die Details für heute Abend.“ Er grinste und tat dann etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Max beugte sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Wange, bevor er zu Hunters Büro ging. „Lass dich nicht zu lange aufhalten, Hunter. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit“, rief er über die Schulter.
Wir sahen ihm beide nach, und erst als er außer Sichtweite war, wandte sich Hunter mir zu. Zuerst sagte er nichts, sein Blick musterte mein Gesicht. Dann bemerkte er die Mitarbeiter in der Nähe, die uns vielleicht belauschen könnten, packte mich am Ellbogen und zog mich in den Konferenzraum, die Tür hinter uns schließend. Ich ignorierte das nervöse Pochen in meinem Herzen und das Gefühl seiner Berührung.
Sobald die Tür zu war, ließ Hunter mich los, und ich verspürte ein seltsames Gefühl des Verlustes. Er schritt auf den langen Tisch zu, der den Raum dominierte, legte die Hände darauf und wandte mir den Rücken zu. Er wirkte, als versuche er, sich zu sammeln. Als er sich schließlich umdrehte, war sein Gesichtsausdruck undurchschaubar.
„Was läuft da zwischen dir und Max?“, fragte ich und zog eine Augenbraue hoch. „Das geht dich wirklich nichts an, Hunter.“