Helenas Sicht
Ich lehnte an der Küchentheke und beobachtete Hunter von der anderen Seite des Raumes. Er war heute Abend still. Zu still. In dem Moment, als ich hörte, dass Grace mit Max ausgegangen war, wusste ich genau, warum.
Hunter saß im Wohnzimmer und starrte auf den Whiskey in seinem Glas, anstatt ihn zu trinken. Er schwenkte ihn gedankenverloren. Gedanken, die, wie ich vermutete, nicht von mir handelten. Nein, sie handelten von meiner Schwester.
Erbärmlich. Ich war mir sicher, er machte sich Sorgen, dass Max mit der kleinen Grace schlafen würde. Die arme, unschuldige Grace. Die Zicke war noch Jungfrau. Und ich wusste genau, für wen sie sich aufgehoben hatte.
Tja, Pech gehabt. Hunter gehörte mir. Es war ja nicht meine Schuld, dass Grace nie etwas unternommen hatte, oder? Ich wollte das Leben, das Hunter mir bieten konnte. Grace dachte, ich wüsste nichts davon, aber ich war nicht dumm. Ich behielt alles für mich. Es durfte nicht passieren, dass es jemand herausfand. Mama wusste genug darüber, warum ich Hunter geheiratet hatte … den Lebensstil. Aber das war’s. Ich ließ nie jemanden mein wahres Ich sehen.
Allein der Gedanke an die Macht, die ich über die Menschen hatte, erregte mich. Die Menschen waren Ratten, und ich war der Rattenfänger von Hameln. So leicht zu manipulieren, so leicht zu kontrollieren. Es lag nicht nur an meinem Aussehen, ich konnte Menschen durchschauen. Ich war klug und nutzte jedes Mittel, um zu bekommen, was ich wollte. Das Leben war kurz, und meines sollte verdammt perfekt werden.
Die Macht jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich warf Hunter einen erneuten Blick zu. s*x war meine Droge, und ich brauchte ihn. Allein war es nie so gut, und mein Mann war direkt hier, bereit, mir zu dienen.
Ich strich meinen Seidenmorgenmantel über meine Oberschenkel und ging auf ihn zu, wobei meine nackten Füße ein leises Geräusch auf dem Marmorboden erzeugten. Ich ließ mich neben ihn auf die Couch gleiten, zog die Beine an und beobachtete ihn wie ein Raubtier seine Beute.
„Grace ist heute Abend mit Max ausgegangen“, murmelte ich, um die Lage zu sondieren.
Hunters Kiefer spannte sich an. Sein Griff um das Kristallglas verstärkte sich, seine Knöchel wurden blass. Er antwortete nicht, was einem Geständnis gleichkam. Er machte sich Sorgen, dass Max mit Grace schlafen könnte. Ich grinste innerlich. Als ob Max die kleine Streberin nach einem Date rumkriegen könnte! Das würde ich Hunter nicht erzählen. Ich brauchte seine Zustimmung, und ich wollte ihn nicht beruhigen.
„Das gefällt dir nicht, oder?“, gurrte ich und strich ihm mit den Fingern über den Arm. „Schließlich könnte sie unser Baby erwarten.“ Seine Augen schnellten zu mir, scharf und gereizt. „Was willst du damit sagen, Helena?“ Ich lächelte süß und beugte mich vor, als wollte ich ihm ein Geheimnis anvertrauen. „Nichts. Nur, dass sie gerade verletzlich ist. Und Max? Nun, er ist genau der Typ Mann, der das auszunutzen weiß.“ Max war umwerfend. Allein der Gedanke an ihn nackt verstärkte das leichte sexuelle Kribbeln in mir. Ich beugte mich vor, um Hunters Ohr in den Mund zu nehmen und stellte mir vor, es wäre Max.
Hunter reagierte nicht. Er war zu abgelenkt. Das hieß, ich würde meinen Willen bekommen.
Er atmete scharf aus und wandte den Blick ab, aber ich sah einen Anflug von Zweifel in seinen Augen. Gut. Ich brauchte ihn verunsichert, besorgt um Grace.
„Ich denke, Grace sollte bei uns einziehen“, sagte ich mit gelassener Stimme. „Es wäre sicherer für sie. Für das Baby.“
Sein Kopf schnellte zu mir. „Einziehen?“
„Natürlich.“ Ich legte den Kopf schief, ein Bild schwesterlicher Besorgnis. „Sie könnte unser Kind erwarten, Hunter. Wäre es nicht einfacher, wenn sie hier wäre, wo wir auf sie aufpassen könnten? Sicherstellen, dass sie sich gesund ernährt und Stress vermeidet?“ Hunter zögerte. Ich konnte den inneren Kampf in ihm sehen. Je unsicherer er war, desto besser für mich.
„Du weißt, dass ich Recht habe“, sagte ich mit sanfterer Stimme. „Grace lässt sich viel zu leicht beeinflussen. Sie ist so naiv. Und jetzt, wo Max da ist, wer weiß, was er ihr alles einflüstert?“ Meine Stimme zitterte, als ich hinzufügte: „Du willst doch unser Baby, oder?“
Ich unterdrückte einen Würgereiz. Schwangerschaft ekelte mich an. Dafür gab es doch Kindermädchen. Hunter wollte einen Erben, und um ihn bei Laune zu halten, sorgte ich dafür, dass er einen bekam, ohne meinen Körper zu ruinieren. Er dachte, ich könnte den Parasiten nicht austragen. Er ahnte ja nicht, was noch kommen würde.
Hunters Lippen zogen sich zu einem festen Strich zusammen. „Max ist kein schlechter Kerl.“
Ich musste fast lachen. Die Ironie! Hunter verteidigte Max, obwohl er aussah, als wollte er ihn erwürgen, weil er es wagte, sich für Grace zu interessieren. Hunter war schon immer beschützerisch gegenüber seiner jüngeren Schwester Maya gewesen, also sollte ich mich nicht wundern. Grace hatte diese unschuldige Ausstrahlung, die Männer so liebten. Ich unterdrückte nur mit Mühe ein Augenrollen.
„Ich habe nie behauptet, dass er einer ist“, sagte ich ruhig. „Aber sie ist so zerbrechlich. Hormone. Angstzustände. Du willst doch nicht, dass sie Entscheidungen trifft, die dem Baby schaden könnten, oder?“
Das war der Auslöser. Ich sah, wie er sich veränderte. Seine Haltung wurde aufrechter. Sein Kiefer spannte sich an.
„Ich werde mit ihr reden“, murmelte er und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
Ich lächelte, erleichtert. „Lass uns zusammen mit ihr reden. Sie braucht Stabilität. Sie braucht uns.“
Nein, sie muss da sein, wo ich sie kontrollieren kann.
Ich lehnte mich zurück. Grace sollte heute Abend ihre kleine Freiheit genießen. Sie sollte denken, sie könnte mir entkommen.
Denn schon bald würde sie genau da sein, wo ich sie haben wollte.
Und jetzt, wo das geklärt war, hatte ich meine eigenen Bedürfnisse.
Ich setzte mich ohne Vorwarnung auf Hunters Schoß und presste meinen Körper an seinen. Seine Hände umfassten automatisch meine Taille, aber ich merkte, dass seine Gedanken noch woanders waren. Das ging so nicht.
„Du denkst schon wieder an Max, nicht wahr?“, flüsterte ich und rieb meine Hüften langsam an ihm. „Ich liebe es, wie beschützerisch du gegenüber meiner Schwester bist. Aber deine Frau braucht dich hier bei mir.“ Hunter stöhnte leise auf, seine Finger umklammerten mich fester.
„Er ist nicht für feste Beziehungen zu haben“, sagte er schließlich. „Ich will nicht, dass ihr etwas passiert.“
Ich summte und strich mit den Händen über seine Brust, wobei ich die Knöpfe einen nach dem anderen öffnete. „Du denkst wohl, du bist jetzt der große Bruder?“ Ich kniff ihm ins Kinn. „Glaubst du, sie ist zu naiv für einen Mann wie Max?“
Er antwortete nicht.
Ich wiegte meine Hüften wieder, langsam und bedächtig. „Männer wie Max stehen auf Mädchen wie Grace. Süß. Unschuldig. Sie sind die besten Spielzeuge.“
Hunter erstarrte unter mir.
Das war mir egal.
Ich beugte mich vor und biss ihm in den Hals, gerade fest genug, dass es brannte. Dann presste sich sein Mund auf meinen. Seine Hände schoben meinen Morgenmantel beiseite, seine Finger gruben sich in meine Oberschenkel, als er mich hochhob und ins Schlafzimmer trug.
Ich lächelte gegen seine Lippen, wissend, dass ich gewonnen hatte. Hunter gehörte mir.
Und Grace? Sie würde bald genug unter meinem Dach leben.