An jenem Tag atmete das Schloss wie ein großer Körper, der den Atem anhält. Der Luftzug glitt sanft durch die Korridore, die Kühle des Steins lief mir über die Fußsohlen, und jedes Geräusch schien schärfer: das Platschen des Wassers im Kupferkessel, das Schaben der Besenborsten auf dem Boden, das leise Klirren der Teller, als ich sie nebeneinander stellte. Seit dem Morgen hatte ich vorbereitet. Nicht aus Willen, sondern aus Zwang: Meine Hände kannten ihre Arbeit, bevor mein Geist entschieden hatte.
„Langsam“, mahnte meine Wölfin, als ich den Wassereimer bis zur Taille zog. „Du musst dich nicht zwingen. Wir müssen vorsichtig sein.“
„Heute muss alles in Ordnung sein“, antwortete ich ihr in Gedanken und stellte den Eimer ab. Ich stand mitten im Raum, meine Hand lag instinktiv auf meinem Bauch. Die Worte der Heilerin waren den ganzen Tag bei mir geblieben: In dir ist Leben. Dieses Wissen glitt in jede Bewegung. Wenn ich die Kerze anzündete, den Vorhang ausschüttelte, die Glut im Herd anfachte – alles hatte Bedeutung, weil ich es für jemanden tat, der vorerst nur ein Beben in meinem Körper war.
In der Küche köchelte die Suppe sanft: Geflügelknochen, Wurzeln, Rosmarin und Thymian. Ihr Duft zog auch durch den großen Speisesaal, wo eisenbeschlagene Tabletts und ein frisch gewaschenes Tuch am langen dunklen Tisch auf das Ende des Tages warteten. Ich backte Brot: Der Teig war warm unter meinen Händen, gab sich bereitwillig der Formung hin und ruhte dann am Ofenmund, so wie ich einen Augenblick an der Schwelle ruhte. Währenddessen legte meine Wölfin eine leise, wachsame Präsenz um meine Brust: Sie wollte nicht nach vorn drängen, aber sie war da, näher als je zuvor.
„Sie spürt es“, dachte ich. „Sie spürt, was ich spüre: Von nun an sind wir zwei.“
Der Morgen verfloss in den Nachmittag. Das dumpfe Schlagen vom Übungshof verklang; das Licht im äußeren Hof wurde schläfriger. Im Fensternischen stehend sah ich, wie die Diener ihre Aufgaben beendeten, der Beta mit einem kurzen Nicken durchs Innentor ging, der Wachwechsel auf den Zinnen. Kein Robert. Es machte nichts. Er kommt immer am Abend. Auch jetzt würde er kommen.
Ich ging noch einmal durch den Raum. Truhen geschlossen an der Wand, frisches Fell auf der Liege, das Feuer erwachte im Herd. Ich stellte zwei geschnitzte Holzhumpen auf den Tisch. Vor den einen legte ich den kleinen, glatten Stein, den wir einst am Fluss gefunden hatten. Damals hatte Robert ihn aufgehoben und in seiner Hand gedreht, als sei er ein gutes Omen. Ich legte ihn zurück neben den Humpen. Ich meinte es jetzt ebenfalls als gutes Omen.
Als die Sonne tiefer sank und das Licht sich über den Stein zog, kippte Aufregung in Erwartung, und Erwartung langsam in Anspannung. Meine Wölfin zuckte in mir mit den Ohren – ein kleines Zucken, eine Warnung.
„Wenn er müde ist, sagen wir es nicht jetzt“, flüsterte sie.
„Ich werde nicht zögern“, antwortete ich. „Es ist nichts Beschämendes. Das ist Freude.“
Die Stunden zogen sich, wurden dünn und rissen dann. Die Ofenhitze wurde zu viel, und doch fröstelte ich, als ich endlich das dumpfe Geräusch von Stiefeln im äußeren Korridor hörte. Langsame, schwere Schritte, die weder eilten noch ruhten. Der Eisenrahmen der Tür klirrte, das Holz stöhnte, und er trat ein.
Roberts Schatten erreichte die Schwelle vor seinem Körper. Sein Umhang hing noch auf seinen Schultern, sein dunkles Haar klebte in nassen Strähnen an seinen Schläfen. Sein Geruch brachte Wald und Blut zugleich in den Raum, Eisen und Kälte; um ihn herum spürte ich den rohen, trockenen Wind seiner Wölfin, als hätte sich selbst die Lufttemperatur mit ihm verändert. Sein Blick fiel auf mich: tief und schmal, wie der Mund eines Brunnens.
„Du bist spät“, sagte ich, aber es lag ein Lächeln in meiner Stimme. „Ich habe mit dem Abendessen gewartet.“
Er antwortete nicht. Er nahm den Umhang nicht ab. Er setzte sich auf den Stuhl am Kopf des Tisches; sein Finger tippte einmal, zweimal auf die Messerklinge, dann verharrte er. Seine Hand war so ruhig, dass mir der Magen schmerzte.
Ich stellte den Teller vor ihn. Dampf stieg auf; der Duft der Suppe umhüllte uns. Ich setzte mich ihm gegenüber. Die Stille war leer und doch hatte sie Gewicht, als hätte sich etwas sehr Altes mit an den Tisch gesetzt.
„Ich muss dir etwas sagen“, begann ich und spürte, wie meine Wölfin in mir aufstieg, sich in meiner Brust weitete. „Ich war heute bei der Heilerin.“
Einen Herzschlag lang blitzten Roberts Augen über der Klinge auf; dann sanken sie zurück in hohle Dunkelheit. Er nickte, fragte aber nicht. Meine Kehle wurde trocken. Ich wollte nicht umkreisen. Ich wollte nicht bitten. Ich würde die Tatsache aussprechen und sie mir zu eigen machen.
„Ich bin mit Kind“, sagte ich, und meine Stimme bebte nicht. „Dein Kind.“
Einen Herzschlag lang war die Stille vollkommen, dann brach etwas in ihr. Der Tisch knarrte, kippte aber nicht; er klagte nur unter dem Gewicht, als Roberts Handfläche sich darauf presste. Sein Kiefer spannte sich; sein Blick verengte sich. Meine Wölfin knurrte in mir – nicht drohend, sondern reflexhaft.
„Was hast du gesagt?“ fragte Robert leise. Seine Stimme war wie ein Messer, das nicht schneidet, nur ritzt.
„Ich bin mit Kind“, wiederholte ich, denn ein Wort ändert sich nicht, egal wie oft man es ausspricht. „Ich bin sicher. Die Heilerin—“
„Die Heilerin“, schnitt er mir das Wort ab. „Die Heilerin weiß alles, nicht wahr?“
Ich widersprach nicht. Meine Hand lag flach auf der Tischkante; meine Haut war kühl gegen das Holz. Robert bewegte sich plötzlich. Er schrie nicht, schlug nicht auf den Tisch. Er stand einfach auf, und in dieser Bewegung lag schon die Androhung der Folgen. Im nächsten Augenblick kippte die Welt: Der Tisch hob sich, Schalen stürzten herab, heiße Tropfen Suppe brannten auf meiner Haut. Der Stuhl schabte zurück, ich erhob mich halb – und seine Hand war schon an meinem Hals.
Der Griff war nicht sanft – er war sofort brutal. Meine Füße verließen den Boden, der kleine Stein fiel neben dem Humpen und kam dumpf zur Ruhe. Die Luft brach; einen Herzschlag lang verwechselte mein Körper Stille mit Sicherheit, dann schlug er meine Lungen in ein Flehen.
„Ich brauche weder dich noch das Junge“, sagte Robert, seine Augen wurden so rot, als brenne eine Flamme hinter seinen Pupillen. „Niemand legt mir eine Leine an.“
Meine Wölfin sprang in mir auf. Es war keine Verwandlung – nur Reflex. Meine Handfläche spannte sich zu Krallen, meine Nägel bohrten sich in sein Handgelenk. Der Blutgeruch überschwemmte meine Nase sofort: metallisch, warm. Robert zuckte, nicht vor Schmerz, sondern weil ich ihm widersetzte. Der Druck an meinem Hals verdoppelte sich. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.
„Lass mich vor“, brüllte meine Wölfin. „Du musst atmen. Du musst schützen.“
Ich versuchte, ihr Raum zu geben, doch der Schmerz zersplitterte meinen Körper und blockierte jeden Weg. Im nächsten Herzschlag schleuderte Robert mich fort. Wand, Schrank, Stein – ich sah nicht, ich fühlte nur, wie meine Schulter, mein Rücken, meine Hüfte etwas trafen und mir die Kraft abstreiften. Der Boden fing mich, aber nicht freundlich. Die Welt war hart unter meinen Knien.
Ich versuchte aufzustehen. Ich zog meine Hand über meinen Bauch, als könnte ich dort Rüstung wachsen lassen. Roberts Schatten fiel auf mich. Er lief nicht. Er kam. Schritt, Atem, Schritt. Meine Wölfin richtete sich in meiner Brust auf, ihr Fell stellte sich.
„Nein!“ schrie sie in mir. „Nicht dort!“
Der Schlag traf trotzdem meinen Bauch. Er begann als offene Hand und ballte sich unterwegs zur Faust. Mein Körper krümmte sich instinktiv. Luft strömte lautlos aus mir, wie wenn man eine Kerze mit Fingern auslöscht. Ich schmeckte mein eigenes Blut, aber ich schluckte es nicht. Es gab nichts zu schlucken.
„Es wird nichts davon geben“, grollte Robert, seine Stimme war zugleich menschlich und das, was darunter lebt. „Nichts bindet mich. Es wird keine schwache Leine an meinem Hals geben.“
„Das ist keine Fessel“, brachte ich hervor. „Es ist Leben.“
Die Antwort war ein Tritt. Oberhalb der Rippen, dann tiefer, dann zur Seite. Ich zählte nicht. Der Körper kann in solchen Momenten nicht zählen; er kann nur signalisieren: Es tut weh, es tut weh, es tut weh. Mein Fokus verengte sich auf den Raum unter meiner Hand, wo ich meinen Bauch schützte, doch meine Beine glitten weg, mein Ellbogen rutschte, meine Schulter knackte wie ein Türscharnier, das viel zu lange nicht bewegt wurde.
Meine Wölfin schrie in mir. Kein wildes, angreifendes Schreien, sondern der Laut von jemandem, der dabei ist, etwas Unersetzliches zu verlieren.
„Zurück!“ flehte sie. „Genug, genug, genug …“
Robert beugte sich und packte mich am Haar, um mich hochzureißen. Mein Kopf flog zurück, mein Nacken gab nach, helle Punkte flackerten vor meinen Augen. Unsere Blicke trafen sich. Nichts, was ich kannte, war in seinen Augen geblieben. Der Mann war fort, nur noch Befehl war da – das wütende Verlangen zu besitzen.
„Sieh mich an“, befahl er. Die Stimme des Alphas – kein Schrei, sondern ein Gewicht, das auf mich gelegt wurde. Meine Wölfin zuckte; reflexhaft hätte sie gehorcht. Nicht jetzt. Jetzt leistete sie Widerstand. Leicht, zitternd, aber Widerstand. Mein Blick sank nicht. Wenn ich eine Stimme hatte, blieb sie in meiner Brust, eingesperrt.
„So hört das nicht auf“, flüsterte ich. „So endet alles.“
„Das ist der Sinn“, antwortete er leise, und in der Stille war das das Furchterregendste. „Ein Ende für alles, was schwach ist.“
Der nächste Schlag kam von der Seite, begleitet von einem metallischen Dröhnen durch meinen eigenen Körper. Auf dem Stein sah ich Dunkelheit: nicht fließend, nur sich ausbreitend, wie ein Schatten mit Gewicht. Mein Oberschenkel zitterte vom Versuch aufzustehen. Meine Hand lag immer noch auf meinem Bauch; meine Fingerspitzen waren weiß vor Kraft.
„Beweg dich!“ peitschte meine Wölfin mich. „Zurück, rechts, jetzt!“
Ich bewegte mich. Nicht schnell, nicht anmutig. Stolpernd. Die Schrankkante traf meine Hüfte, mein Ellbogen stieß ans Tischbein, eine Kerze kippte und Wachs sprenkelte meine Haut. Schmerz brannte jetzt an so vielen Stellen, dass ich sie nicht mehr zählen konnte.
Robert hetzte mich nicht. Er sprang wie auf fliehende Beute. Er trat vor und griff wieder nach mir, an meinem Hals. Diesmal war ich bereit: Ich glitt zur Seite, und sein Griff schloss sich über meinem Schlüsselbein. In diesem Druck lag alles, was er vom Tag hereingetragen hatte: Urteil, Erschöpfung, diese Art von Wut, die kein Ziel sucht – sie macht ein Ziel aus allem, was vor ihr steht.
„Nein“, brachte meine Wölfin hervor, und irgendwie schob sich ihre Stimme auch durch meinen Mund. „Du kannst mir das nicht nehmen.“
Der Widerstand hielt nur einen Herzschlag. Der nächste Schlag trieb mich zu Boden. Die Haut an meinem Knie riss am Stein auf; eine warme Linie kroch mein Schienbein hinab. Meine Ohren dröhnten, als wollte das ganze Schloss auf einmal in meinen Schädel steigen. Irgendwo weit weg klirrte Metall – vielleicht das Messer, das vom Tisch gefallen war – irgendwo näher erlosch eine Kerzenflamme.
Meine Wölfin hechelte. Sie schrie nicht mehr und forderte nicht. Sie krümmte sich um mich, wie ich mich um sie krümmte – Arme über dem Bauch verschränkt, Knie angezogen, das Schutzlose schützend. Jeder Muskel in meinem Körper zitterte, und doch war eine Art Festigkeit in diesem Zittern: Wenn das alles ist, was ich tun kann, dann tue ich es. Ich werde standhalten und festhalten.
Roberts Schatten fiel wieder auf mich. Der Tritt traf meine Hüfte, dann meine Rippen. Meine Lungen pfiffen gehorsam; die Ränder der Welt verschwammen, Farben kühlten. Gedanken formten sich nicht mehr zu Sätzen – nur Bruchstücke trieben: Halt durch, atme, ich bin hier.
„Sieh mich an“, kam die Stimme des Alphas wieder. „Sieh, wer ich bin.“
Ich sah auf. Nicht weil er es befahl. Weil ich sehen wollte, wer noch immer Herr meines Lebens sein wollte. Ich sah: Anstelle des Mannes stand etwas Härteres, in dessen Augen keine Fragen mehr waren, nur Antworten, die es anderen austeilte. Es brauchte niemanden für diese Antwort. Es brauchte nur Stärke und Willen.
„Ich habe dich nicht gebeten, mich zu lieben“, flüsterte ich. „Nur, dass du nicht tötest, was aus mir geboren wurde.“
Die Antwort war kein Wort mehr, sondern eine Bewegung. Beim nächsten Tritt rutschte mein Körper zurück, mein Schulterblatt schlug gegen die Wand, und der Schlag hallte irgendwo zwischen meinen Rippen. Ein kurzes weißes Licht flackerte in meinem Kopf, mein Gehör dämpfte sich; hinter dem Dröhnen war nur Platz für meinen eigenen Puls, pochend, unerbittlich.
Meine Wölfin in mir wurde langsamer. Ihr Atem synchronisierte sich mit meinem, als säßen wir am Fuß eines Berges und sähen zu, wie Schnee den Hang hinabgleitet. Ihre Stimme war nicht mehr direkt; eher eine Vibration, die unter meiner Hand den Ort beruhigte, wo die Zukunft lebte.
„Halt durch“, sagte sie. „Noch einen Atemzug. Noch einen. Noch einen …“
Die Ränder der Welt wurden weich. Roberts Bewegungen schienen fern, als sähe ich sie unter Wasser. Ich versuchte noch einmal, mein Knie anzuheben, noch einmal, meinen Arm auf meinen Bauch zu pressen. Ich schaffte es. Ich goss die Kraft, die mir blieb, in diese Bewegung, diese letzte Geste, die unbedeutend schien und doch alles enthielt, was zählte.
„Genug“, sagte jemand. Vielleicht er. Vielleicht ich. Vielleicht nur jener Teil der Dunkelheit, der sich Gnade nennt.
Die Deckenbalken verschwammen. Die Dunkelheit kam nicht auf einmal; zuerst graute sie, dann wurde sie tiefer, bis nichts mehr hindurchschimmerte. Bevor ich ein letztes Mal die Augen schloss, hörte ich die Stimme meiner Wölfin, ganz leise:
„Ich bin da. Ich halte dich.“
Dann wurde alles still. Der Schmerz verschwand nicht; er rückte nur weiter weg. Die Welt wurde mir wie ein Teppich unter den Füßen weggezogen, und ich fiel, aber ich hatte keine Angst mehr davor. Am Ende des Falls war nichts, nur Stille. Und in dieser Stille bewegte sich etwas sehr Kleines, sehr hartnäckig Lebendiges noch einmal … und dann verschluckte mich die Dunkelheit endgültig.