Kapitel Sieben

1676 Words
Unten an der Treppe lag das Gehen nicht mehr bei mir. Sie hielten mich an beiden Seiten; das Eisen an meinem Knöchel rieb über die Haut, biss bei jedem Schritt. Die Steine waren nass, die Luft kalt und roch nach Kalk. Jemand sagte: „Noch zwei“, aber die Zahlen zerfielen in meinem Kopf. Dann ließ mein Körper los. Ich kippte nach vorn. Das Eisen an meinem Handgelenk klirrte, und dann—Dunkel. Halbschlaf. Stimmen kommen und gehen. Ein Schlüssel im Schloss. Schritte, die sich nicht beeilen. Das Spratzen einer Öllampe. Jemand hustet. Der Wolf in meiner Brust ist nur ein schwerer, warmer Block—tritt nicht hervor, aber beobachtet. Der Stein summt in den Wänden. „Ich hab’s dir gesagt, sie gehört nicht zu uns“, eine junge Stimme, scharf, ungeduldig. „Der Schleier hat sie eingelassen“, eine andere Stimme, trockener, tiefer. „Das ist eine Tatsache.“ „Eine Tatsache, dass sie ein Problem ist“, schnappt der Junge zurück. „Die Nordgrenze verschiebt sich seit Wochen. Sie ist eine von ihnen.“ „Genug“, sagt eine dritte, tiefere. Er schreit nicht. Nach dem Wort fällt Stille, wie wenn ein Räuber zwischen Bäume tritt und der Wald für einen Herzschlag innehält. Meine Lider sind schwer. Ich öffne sie einen Spalt. Steinmauer, Gitterstäbe, Wasser in dünnen Schlieren auf dem Boden, ein Eimer in der Ecke. Zwei Gestalten an der Tür: einer mit einer Narbe, die von der Schläfe bis zum Mundwinkel läuft, Leder auf die Schulter genäht, ein Mann, der viel gesehen hat. Daneben einer mit dunklen Augen und Mütze, unbeweglicher. Weiter hinten, leicht abgewandt, als ließe er auch der Wand Platz, ein Größerer in schwerem Mantel. Ich kenne ihre Namen nicht. Ich sehe nur Gesichter. Ihre Gerüche mischen sich: Eisen, Öl, Kiefer, Disziplin. Durch die kleine Durchreiche schieben sie eine Feldflasche. Wasser. Meine Hand zittert, als ich sie zu mir ziehe. Sie greifen nicht hinein. Der Schatten—der Größere—fängt die Flasche mit einer einzigen Bewegung, bevor sie kippt, und lässt sie dann los. Ich trinke ein paar Schlucke. Das Wasser ist kalt; meine Kehle schrappt danach. „Sie lebt“, sagt der Narbige. „Aber das ist kein Verband. Nur ein Lappen.“ Er streckt die Hand durch die Stäbe zu meiner Seite; er berührt mich nicht, er sieht nur. „Es blutet.“ „Sie bekommt einen Verband“, sagt der mit der Mütze. „Das Eisen bleibt.“ Er schiebt die Kette auf dem Boden so, dass sie mich nicht so schneidet. Das ist etwas. „Könnte eine Spionin sein“, brummt der Junge, einen halben Schritt näher an den Stäben. „Der Schleier lässt sie rein, der Rat zaudert, und wir dürfen den Dreck wegmachen.“ „Du entscheidest nicht“, grollt die tiefe Stimme. „Es wird entschieden.“ Mein Wolf zuckt bei dieser Stimme mit dem Ohr in mir. Er weicht ihr nicht. Er erkennt sie: Macht, die nicht spielt. Schritte im Gang. Nicht dieselben. Schwerere Stiefel. Mehr Eisen. Ein weiterer Geruch mischt sich in die Luft: teureres Öl, besseres Leder, etwas Metallisches, das keine Waffe ist. Die beiden Soldaten richten sich auf. Das Licht der Lampe streift den Saum eines neuen Mantels hinten: dunkler Stoff, silberne Stickerei, eine Brosche, die glimmt, als hielte das Licht selbst Abstand. Er bleibt vor den Stäben stehen. Er muss sich nicht vorstellen. Es ist nicht seine Stimme, nicht das Abzeichen—es ist, wie alle anderen um ihn herum atmen. Der König. Er wirft mir einen Blick zu. Nicht lange. Lang genug, dass sein Blick über mein Handgelenk, meinen Knöchel, das Tuch um meinen Bauch fährt. Er verzieht den Mund, nur einen Hauch. „Was ist das?“ fragt er. Seine Stimme ist nicht laut, aber sie schnellt. „Das ist es, was ihr mir über die Grenze gebracht habt?“ „Der Schleier ließ sie ein, Mylord“, sagt der Mann mit der Mütze. Er verneigt sich nicht, er stellt fest. „Der Schleier ‚lässt vieles ein‘“, schießt er zurück. „Der Schleier entscheidet nicht. Ich entscheide.“ Er hebt das Kinn in meine Richtung, als begutachte er schlechte Ware. „Sieh mich an.“ Ich hebe den Kopf. Es fällt mir nicht leicht. Die Kehle rau, die Rippen protestieren. Ich treffe seinen Blick. Kalt, glatt. Sein Blick fragt nicht. Er richtet. „Woher bist du gekommen?“ wirft er hin. Ihn interessiert nicht die Geschichte. Nur der Punkt am Ende des Satzes. „Aus dem Norden“, sage ich. Borke in der Stimme. Er versteht es trotzdem. Das ist das Stück Wahrheit, das ich gebe. Der König blickt zu dem Mann mit der Mütze. „Wolf?“ „Ein Wolf“, nickt der mit der Mütze. „Nicht der Geruch unserer Meute.“ „Dann gilt sie als nichts, bis ich anderes sage“, erwidert er. „Bindet sie ordentlich. Doppelt, wenn’s sein muss. Ich will nicht, dass sie mir in der ersten Nacht die Stäbe herausreißt.“ „Sie trägt bereits Eisen, Mylord“, deutet der Narbige auf meinen Knöchel. Der Blick des Königs zuckt hin, taxiert; Details interessieren ihn nicht. „Dann legt es noch einmal an.“ Halb unter dem Atem. „Und wascht sie. Ihr Geruch beleidigt meine Nase.“ Der Junge will fast etwas sagen—ich lese es an der Bewegung—, verstummt aber, als der König den Kopf zur Seite dreht. Sein Blick kommt zu mir zurück. „Wenn sie lügt, bringe ich sie vor die Mauern“, stellt er fest. So schlicht, wie ein anderer sagen würde: „Morgen regnet es.“ „Und dort beende ich es.“ Er macht kein Versprechen. Er macht eine Ansage. Mein Wolf knurrt in mir, bleibt aber drin. Die Kälte des Eisens hilft jetzt: sie schnürt die Regung eng. „Fragen“, wirft der König dem Mann mit der Mütze und dem Narbigen zu. „Aber zuerst der Heiler. Ich will nicht, dass sie mir auf dem Boden krepiert. Es ist mir egal.“ Er wendet sich an den Jungen. „Und du—sei still. Das hier ist kein Markt.“ Er rückt ab. Seine Wachen mit ihm, die Beine im Gleichschritt. Ihr Geruch—Öl, Eisen, Kälte—setzt sich in die Luft der Zelle, dann schluckt der Stein ihn. Nur die Stille bleibt, die nachher immer schlimmer ist als vorher. Der Mann mit der Mütze wartet, bis der Gang zur Ruhe kommt. Dann sieht er wieder zu mir. Es ist kein Mitleid in ihm. Auch kein besonderer Eifer. Arbeit. „Mehr Wasser“, sagt er zum Narbigen. „Und hol jemanden von den Heilern. Jemanden, der verbinden kann, nicht nur Rezepte kritzeln.“ Der Junge tritt an die Stäbe. Starrt mich an, zu nah. Flatterige, nervöse Energie. Ich liege nur da. Er mustert meine Augen, als erwarte er die Antwort aus ihnen. „Spionin“, knurrt er. „Bei solchen kommt es immer raus.“ „Vielleicht“, entgegnet der mit der Mütze trocken. „Vielleicht nicht. Du entscheidest nicht.“ Seine Stimme greift nicht an, aber sie schließt die Sache. Die kleine Tür im Gitter öffnet sich. Der Narbige schiebt sauberes Leinen und eine weitere Feldflasche herein. Er berührt mich nicht. Ich ziehe sie zu mir. Er unterlegt die Kette an meinem Knöchel, damit sie weniger schneidet. Diese kleinen Dinge geben mir einen Splitter der Weltordnung im Kopf zurück. Als der Heiler kommt, verliert er keine Worte. Kalk und Alkohol—scharf, sauber—sind seine Gerüche. Er fragt nicht, was ich ohnehin jetzt nicht beantworten könnte. Tastet ab, drückt; ich brumme tief, wenn er die falsche Stelle trifft. Er legt einen neuen Verband über meinen Bauch. Zurrt ihn fest. Ich verstehe warum: Wenn ich auseinanderfalle, sage ich morgen nichts. „Ruhen“, sagt er nach draußen. „Sie bekommt Wasser. Essen später.“ Seine Worte sind hart, aber nicht böswillig. Der Mann mit der Mütze nickt. Der Junge schnaubt leise, widerspricht aber nicht. Schritte, ein Geklirr, die Lampe entfernt sich. Die Stille der Zelle kehrt zurück, aber nicht mehr ganz leer: Der Verband hält, das Wasser liegt in meinem Magen, das Eisen kühlt an meinem Handgelenk. Mein Wolf richtet sich in mir ein, stupst mit der Nase gegen meine Rippen. Er tröstet nicht; er hält Wache. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergeht. Der Stein ist gleichmäßig kalt. Das Stroh unter mir knarrt, wenn ich mich bewege. Ein Schatten bleibt vor den Stäben stehen. Nicht der Junge. Nicht der Narbige. Die unbewegliche Sorte. Er spricht nicht herein. Er steht einfach da. Seine Anwesenheit schärft die Geräusche: ein Tropfen auf dem Boden, der feine Metallklang der Kette, mein eigener Atem. Sein Blick ist schwer, aber nicht aggressiv. Wenn er mich ansieht, spüre ich, wie er misst: Was ist mit mir zu machen, wie viel bin ich. „Schlaf“, sagt er schließlich. Einfach. Kein Befehl, kein Flehen. Eine Anweisung, die ich mir selbst hätte geben können. Ich schließe die Augen. Der Schlaf kommt nicht sofort, aber mein Körper schreit nicht mehr bei jeder Bewegung. Der Verband drückt gleichmäßig, das Wasser beruhigt, das Eisen hält. Der Geruch des Königs sitzt noch in der Luft und sticht in meine Nase, aber er brennt nicht mehr. Vom Ende des Ganges sickern die Stimmen der beiden Soldaten zurück, gedämpft: Sie streiten über etwas, das ich nicht verstehe. Muss ich auch nicht. Mein Wolf streckt sich neben mir in mir aus. Er sagt nur dies: „Morgen.“ Ich nicke. Vielleicht nur nach innen. Der Stein ist kalt. Diesmal zieht mich die Dunkelheit nicht hinunter, sie legt nur eine Decke über mich. Genug. Morgen habe ich eine Stimme. Für heute genügt, dass ich lebe. Und genug, dass ich weiß: Ich werde sie mir nach Gesichtern merken, nicht nach Namen. Namen kommen später. Namen zählen, wenn Entscheidungen es tun. Für jetzt gibt es nur Gesichter, Stimmen, Eisen, Stein. Und die Tatsache, dass ich nicht zerbrochen bin.
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