Kapitel 5

1026 Words
Endlich fing ich an einer neuen Schule an. Die Aussicht, die alte Schule mit all den schrecklichen Erinnerungen zu verlassen, erfüllte mich mit Erleichterung und Vorfreude. Ein neuer Ort bedeutete die Chance, mich neu zu definieren. Ich konnte es kaum erwarten, etwas Neues und vielleicht Besseres auszuprobieren. Als ich den Flur entlangschlenderte, bemerkte ich, dass die Tür zum Zimmer meines Stiefbruders Xavier ein Glasfenster hatte, das einen freien Blick ins Innere ermöglichte. Meine Neugier siegte, und ich wurde langsamer und spähte gedankenlos hinein. „Boah …“, platzte es heraus, bevor ich es zurückhalten konnte. Xavier war gerade aus der Dusche gekommen, ein Handtuch locker um die Hüften geschlungen. Sein feuchtes Haar klebte an seiner Stirn, während Wassertropfen seine muskulösen Schultern und seine markante Brust hinunterliefen. Der Anblick seiner wohlgeformten Bauchmuskeln und seiner V-förmigen Taille ließ mein Herz rasen. Wie kann jemand so gut aussehen? „Hör auf zu starren, Mia“, sagte ich zu mir selbst und wandte meinen Blick ab. Aber so sehr ich es auch versuchte, ich konnte es nicht verhindern. Meine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf ihn. Er ähnelte einem griechischen Gott, seine Muskeln waren perfekt geformt. Ich biss mir auf die Lippe und spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Du solltest deinen Stiefbruder nicht so anstarren. Gerade als ich gehen wollte, holte er das Handtuch und trocknete sich damit ab. Meine Augen weiteten sich beim Anblick seines völlig nackten Körpers, und mein Blick wanderte beschämt zu seinem langen, harten … „Oh nein!“, rief ich, stolperte rückwärts und verlor das Gleichgewicht. „Ah!“ Mein Rücken knallte mit einem lauten Knall gegen die Wand. „Autsch!“, keuchte ich und fasste mir verlegen und schmerzerfüllt an den Kopf. Was genau war nur mit mir los? Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder seinem Zimmer zu, und zu meinem Erstaunen hatte sich Xavier umgedreht. Sein Blick traf meinen, und sein Gesicht zeigte eine Mischung aus Unglauben und Zorn. Mir sank das Herz. Bitte lass das hier ein Albtraum werden. Er schnappte sich hastig das Handtuch und wickelte es sich wieder um die Hüfte. Sein Kiefer war angespannt. „Meinst du das ernst?“, knurrte er und rannte zur Tür. Ich blieb stehen, zu beschämt, um mich zu bewegen, während meine Gedanken von dem, was ich gerade getan hatte, abschweiften. Bevor ich antworten konnte, erreichte er die Glastür und riss den Vorhang mit einem plötzlichen, wütenden Ruck zu. Ich blieb wie versteinert stehen, als sein finsterer Blick mich noch einmal durchbohrte. Er ist wütend. Natürlich ist er das. Du hast deinen Stiefbruder einfach nur angestarrt wie ein Widerling. „Reiß dich zusammen, Mia“, sagte ich leise und zwang mich, mich zu bewegen. „Du hast dich schon blamiert. Mach es nicht noch schlimmer.“ In diesem Moment ertönte die Stimme meines Stiefvaters von unten. „Mia, alles in Ordnung?“ „Mir – mir geht’s gut!“, rief ich mit zitternder Stimme zurück. Nein, mir geht’s nicht gut. Ich habe meinen Stiefbruder gerade nackt gesehen. Ich zuckte zusammen, spürte, wie mich die Verlegenheit überkam. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich drehte mich zur Tür um und rechnete fast damit, dass Xavier herausstürmen und mich anschreien würde, aber der Vorhang blieb fest verschlossen. „Ich muss hier raus.“ Ich rannte den Flur entlang, mein Puls klopfte, während ich die Stufen immer zwei Stufen auf einmal nahm. Unten angekommen, wartete Lord Atwood bereits mit besorgtem Gesichtsausdruck. „Bist du sicher, dass es dir gut geht?“, fragte er und sein Blick wurde von meinem angezogen. „Ja, nur tollpatschig heute Morgen“, zwang ich mich zu einem Lächeln, während meine Wangen brannten. „Ich, ähm, bin gegen die Wand gestoßen.“ „Sei vorsichtig“, sagte er sanft. „Denk daran, wenn du etwas brauchst, kannst du immer zu mir kommen.“ „Danke, Dad“, sagte ich und senkte den Kopf. Wenn du nur wüsstest, was passiert war. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so geschämt. Ich ging zur Tür und versuchte, Xaviers wütenden Gesichtsausdruck nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen. Wie soll ich ihm nur wieder gegenübertreten? Die Frage ging mir durch den Kopf und drehte mir den Magen um. Ich musste ihn wiedersehen, und allein der Gedanke daran ließ mich am liebsten unter einem Stein verkriechen. „Vergiss es einfach“, sagte ich mir fest, als ich nach draußen ging. Die kühle Luft berührte mein Gesicht und entspannte mich ein wenig. „Du musst dir Sorgen um eine neue Schule machen. Konzentrier dich darauf.“ Aber so sehr ich es auch versuchte, ich konnte das Bild seines Körpers und seinen wütenden Gesichtsausdruck nicht loswerden. Super gemacht, Mia. Tag eins, und du hast es schon peinlich gemacht. Ich holte tief Luft und straffte die Schultern. Vielleicht vergisst er es ja, dachte ich, obwohl ich wusste, dass das zweifelhaft war. „Geh ihm einfach aus dem Weg“, sagte ich mir mit hoffnungsloser Stimme. „Geh ihm aus dem Weg, und alles wird gut.“ Ich war mitten in meinen Gedanken und versuchte, die Kraft aufzubringen, durch die Schultüren zu gehen, als Diegos Worte mich in die Realität zurückrissen. „Mia, ich habe Rolex gebeten, dich heute bei deiner alten Schule abzusetzen“, bemerkte er ruhig, aber bestimmt. Ich starrte ihn an, und mein Herz sank ein wenig. „Aber … ich dachte, ich würde auf eine neue Schule gehen?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Die Aussicht, meiner alten Schule und ihren Peinigern gegenüberzutreten, erfüllte mich mit Angst. Diego nickte, als er mein Zögern bemerkte. „Das wirst du irgendwann. Vorerst kehrst du aber an deine alte Schule zurück. Sie liegt in der Nähe von Rolex‘ Klinik, also kannst du dort dein Studium fortsetzen, während wir die Dinge klären.“ Mein Gesicht war blutleer. „Meine alte Schule?“, wiederholte ich mit zitternder Stimme. Ich sah noch immer die Gesichter der Leute vor mir, die mir das Leben zur Hölle gemacht hatten, und hörte ihr spöttisches Gelächter. Der Gedanke, dorthin zurückzukehren, machte mir den Magen um.
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