Zweites Kapitel.

2262 Words
Zweites Kapitel.Die Jungen entwischen. – Jim! – Tom Sawyers Räuberbande. – Finstre Pläne! ir schlichen auf den Fußspitzen den kleinen Pfad hinab, der unter den Bäumen hin nach der Rückseite des Gartens führt, wobei wir den Kopf beständig bücken mußten, um von den Zweigen nicht getroffen zu werden. Gerade als wir an der Küchenthür vorüber wollen, muß ich natürlich über eine Wurzel stolpern und hinfallen, wodurch ein kleines Geräusch entstand. Jetzt hieß es still liegen und den Atem anhalten! Miß Watsons n****r Jim saß an der Thür; wir konnten ihn ganz gut sehen, weil das Licht gerade hinter ihm stand. Er steht auf, streckt den Kopf heraus, horcht eine Minute lang und sagt dann: »Wer's da?« Dann horcht er wieder und – jetzt schleicht er sich auf den Zehenspitzen heraus und steht gerade zwischen uns, ich hätte ihn zwicken können, wenn ich gewollt hätte. Er steht und wir liegen still wie die Mäuse, und so vergehen Minuten auf Minuten. An meinem Fuß fängt's an mich zu jucken und ich kann mich nicht kratzen. Jetzt juckt's am Ohr, dann am Rücken, gerade zwischen den Schultern, es ist zum Tollwerden! Warum's einen nur immer juckt, wenn man nicht kratzen kann oder darf! Darüber hab' ich oft nachgedacht seitdem. Entweder wenn man bei feinen Leuten ist, oder bei einem Begräbnis, oder wenn einen der Lehrer was fragt, oder in der Kirche, oder wenn man im Bett liegt und will schlafen und kann nicht, kurz, wenn man irgend wo ist, wo man nicht kratzen kann und darf, da juckt's einen gerade erst recht an hundert verschiedenen Stellen. Endlich sagt Jim: »He da, wer's da? Ich mich lassen tot hauen, ich haben was gehört! Aber Jim sein nicht so dumm! Jim sitzen hier hin und warten!« Und damit pflanzte er sich gerade zwischen mich und Tom auf den Boden, lehnt den Rücken an einen Baum und streckt die Beine aus, daß das eine mich beinahe berührt. Jetzt beginnt mein Juck-Elend von neuem. Erst die Nase, bis mir die Thränen in den Augen stehen, ich wage nicht zu kratzen, dann allmählich jeder Körperteil, bis ich nicht weiß, wie ich still halten soll. Fünf, sechs Minuten geht das Elend so weiter, mir scheinen's Stunden. Ich zähle schon elf verschiedene Orte, an denen mich's juckt. Gerade als ich denke, nun kannst du's aber nicht mehr aushalten, höre ich Jim tief aufatmen, dann schnarchen und – ich bin gerettet. Tom gab mir jetzt ein Zeichen, er schnalzte leise mit den Lippen und wir krochen auf allen Vieren davon. Vielleicht zehn Fuß weit entfernt hielt Tom an und flüsterte mir zu, er wolle Jim zum Spaß am Baum festbinden. Ich sagte nein, ich wolle nicht, daß er aufwache, Lärm schlüge und man dann entdecken würde, daß ich nicht im Bett sei. Dann sagte Tom, er habe nicht genug Lichter und wolle sich daher in der Küche ein paar mitnehmen. Das wollte ich aus Angst vor Jim auch nicht erlauben, aber Tom bestand darauf, und so schlichen wir uns in die Küche, fanden die Lichter und Tom legte fünf Cents zur Bezahlung auf den Tisch. Ich schwitzte nun förmlich vor Angst, fortzukommen, Tom aber ließ sich nicht halten und kroch zu Jim zurück, um ihm einen Streich zu spielen. Ich wartete und die Zeit wurde mir sehr lang; alles war so still und unheimlich um mich herum. Endlich kam Tom und nun rannten wir eilig den Pfad hinunter und kletterten den steilen Hügel hinter dem Hause hinauf. Tom erzählte, daß er Jim mit einem Strick an den Baum gebunden und seinen Hut oben an einen Ast gehängt habe, der Kerl habe aber immer weiter geschlafen und sich nicht gerührt. Später behauptete Jim, die Hexen hätten ihn verzaubert und seien auf ihm über den ganzen Staat geritten. Dann hätten sie ihn wieder unter dem Baume niedergelassen und zum Zeichen, wer es gethan, seinen Hut auf den Ast gehängt. Als Jim seine Geschichte das nächste Mal erzählte, waren die Hexen bis New Orleans auf ihm geritten, und jedesmal, so oft er es wieder erzählte, war der Ausflug weiter gewesen, bis er schließlich behauptete, daß der Ritt um die ganze Erde gegangen und sein Rücken ganz zerschunden worden sei. Jim war riesig stolz darauf und sah auf die anderen n****r nur noch vornehm herab. Aus meilenweiter Ferne kamen n****r herbei, um Jims Geschichte zu hören. Es gab keinen angeseheneren Neger in der Gegend und die fremden Gäste glotzten ihn mit offenem Munde an wie ein Meerwunder. Die n****r unterhalten sich gern im Dunkeln beim Herdfeuer über Hexen: so oft einer aber darüber seine Weisheit auskramte und Jim dazu kam, dann rief er: »Ach, was wißt ihr von Hexen«, worauf jener n****r beschämt in den Hintergrund schlich. Jim trug jenes fünf Centsstück stets an einer Schnur um den Hals und behauptete, es sei ein Zaubermittel, das ihm der Teufel eigenhändig gegeben habe mit der Bemerkung, er könne damit jedermann heilen und Hexen herbeizaubern, so viel er wolle, wenn er einen gewissen Spruch dabei hersage. Auch das trug nicht wenig zur Erhöhung der Berühmtheit Jims bei. Als Tom und ich oben auf dem Hügel ankamen, konnten wir gerade ins Städtchen hinunter sehen, und da blinkten noch drei oder vier Lichter, wahrscheinlich bei Kranken. Ueber uns blitzten die Sterne und drunten zog der Strom dahin, so breit und ohne Laut, es war großartig. Wir rannten dann auf der andern Seite den Hügel hinunter und fanden Joe Harper und Ben Rogers und noch ein paar Jungens, die auf uns warteten. Ein Boot wurde losgemacht und wir ruderten den Fluß hinunter, bis dahin, wo der große Einschnitt im Ufer ist. Dort legten wir an. Wir kletterten auf ein dichtes Buschwerk zu und nun ließ Tom uns alle schwören, das Geheimnis nicht zu verraten, und zeigte uns ein Loch im Hügel. Wir steckten die Lichter an und krochen auf Händen und Knieen hinein. So ging es ungefähr 200 Meter in einem engen Gange fort, bis sich die Höhle aufthat. Tom tastete an den Wänden der Höhle umher und verschwand auf einmal unter einem Felsen, wo niemand eine Oeffnung vermutet hatte. Wir folgten ihm durch einen schmalen Gang, bis wir in einen Raum gelangten, ungefähr wie ein Zimmer, nur etwas kalt, feucht und dumpfig, und da blieben wir dann. Tom hielt nun eine feierliche Ansprache und sagte: »Hier wollen wir also eine Räuberbande gründen und sie ›Tom Sawyers Bande‹ nennen. Jedermann, der beitreten will, muß einen Eid schwören und seinen Namen mit Blut unterschreiben!« Alle waren dazu bereit und so zog Tom einen Bogen Papier aus der Tasche, auf den er einen furchtbaren Eid geschrieben hatte, den er uns jetzt vorlas. Darin stand, daß jeder Junge treu zur Bande halten müsse und niemals deren Geheimnisse verraten dürfe bei Todesstrafe. Wenn irgend jemand irgend einem von uns irgend etwas zu Leid thäte, müsse einer das Racheamt übernehmen, den man dazu erwähle, und er dürfe nicht essen und nicht schlafen, ehe er den Beleidiger und seine ganze Familie getötet und allen ein blutiges Kreuz in die Brust geritzt habe, was das Zeichen der Bande sein solle. Und niemand außer uns dürfe dieses Zeichen benützen, und wenn er es doch thäte, solle er gerichtlich belangt, und wenn dies nichts helfe, einfach getötet werden. Wenn aber eines aus der Bande die Geheimnisse verrate, werde ihm der Hals abgeschnitten, der Körper verbrannt und die Asche in alle vier Winde zerstreut, sein Name dann d**k mit Blut von der Liste gestrichen, ihn auszusprechen bei Strafe verboten und er selbst solle vergessen sein für immer und ewig. Wir alle fanden den Eidschwur für prächtig und fragten Tom, ob er ihn ganz allein aus seinem eignen Kopf gemacht habe. Er sagte ja, zum größten Teil, einiges habe er auch in alten Piraten-, und Räuberbüchern gefunden; jede ordentliche Bande schwöre einen solchen Eid. Jetzt meinte einer, man solle doch auch die Familie töten von den Jungens, die das Geheimnis verrieten. Tom sagte, das sei eine gute Idee, nahm einen Bleistift und korrigierte es noch hinein in den Eidschwurbogen. Da meinte Ben Rogers: »Ja, aber, hört einmal, wie ist denn das? Der da« – dabei zeigte er auf mich – »hat doch gar keine Familie nicht – wen sollen wir denn da töten?« »Er hat doch auch einen Vater,« sagte Tom Sawyer. »Den hat er wohl, aber wo ihn finden? Früher lag er manchmal betrunken in der Straße, aber seit einem Jahr hat ihn niemand hier herum gesehen!« Nun berieten sie hin und her und hätten mich beinahe ausgestoßen, denn jeder, so sagten sie, müsse jemanden zum Töten haben, was dem einen recht, sei dem andern billig, und so saßen sie und überlegten, und ich heulte beinahe, so schämte ich mich. Da fiel mir plötzlich Miß Watson ein, und ich bot ihnen die zum Töten an, das leuchtete ihnen ein und alle riefen: »Das geht, die ist recht dazu, Huck kann eintreten!« Dann nahmen wir Stecknadeln, stachen uns in die Finger und unterzeichneten unsern Namen mit unsrem ›Herzblut‹, wie Tom sagte. »Nun,« meinte jetzt Ben Rogers, »auf was soll unsere Bande sich hauptsächlich verlegen?« »Auf weiter nichts,« versetzte Tom, »als Raub und Mord und Totschlag!« »Wen sollen wir denn berauben? Häuser – oder Vieh – oder –« »Unsinn!« schrie Tom, »das nennt man diebsen und stehlen, nicht rauben und plündern! Wir wollen keine Diebe sein, sondern Räuber! Das ist viel vornehmer! Räuber und Wegelagerer! Wir überfallen die Postkutschen und Wagen auf der Landstraße, mit Masken vor dem Gesicht, und schlagen die Leute tot und nehmen ihnen Uhren und Geld ab!« – »Müssen wir immer alle tot hauen?« »Gewiß, das ist am einfachsten. Ich hab's auch schon anders gelesen, aber gewöhnlich machen sie's so. Nur einige schleppt man hie und da in die Höhle und wartet, bis sie ranzioniert[1] werden!« [1] Durch Lösegeld befreit, losgekauft. »Ranzioniert? Was ist denn das?« »Das weiß ich selber nicht, aber so hab' ich's gelesen und so müssen wir's machen!« »Ho, ho, das können wir ja nicht, wenn wir nicht wissen, was es ist!« »Ei zum Henker, wir müssen's eben! Hab' ich dir nicht gesagt, daß ich's gelesen habe? Willst du's anders machen, als es in den Büchern steht, und alles untereinander bringen?« »O, du hast gut reden, Tom Sawyer, aber wie in der Welt sollen wir die Burschen ›ranzionieren‹, wenn wir nicht wissen, wie man's macht? Das möcht' ich wissen! Wie, zum Beispiel, denkst du dir's eigentlich?« »Ich, – ich weiß nicht, aber ich denke, wenn wir sie behalten, bis sie ranzioniert sind, so wird das heißen, bis sie tot sind!« »Das läßt sich hören, das begreife ich, aber warum hast du das nicht gleich gesagt? Natürlich behalten wir sie, bis sie zu Tode ranzioniert sind. Sie werden uns aber genug zu schaffen machen, uns alles wegfressen und dabei immer auskneifen wollen!« – »Wie du schwatzest, Ben! Wie können sie auskneifen, wenn einer immer Wache steht, der bereit ist, sie niederzuschießen, wenn einer nur den Finger krumm macht?« »Einer, der Wache steht? Das ist gut! Das freut mich! Also soll einer die ganze Nacht dastehen, ohne zu schlafen, und sie bewachen! Das ist eine gräßliche Dummheit. Warum nimmt man da nicht sofort einen Knüttel und ranzioniert sie, sobald sie hierher kommen?« »Weil's so nicht in den Büchern steht, darum! Ich frag' dich, Ben Rogers, willst du alles den Regeln nach thun oder nicht? Darauf kommt's an! Ich glaube, die Leute, welche die Bücher schreiben, wissen besser wie man's macht, als du! Denkst du, sie könnten von dir etwas lernen? Noch lange nicht! Und drum wollen wir die Burschen genau so ranzionieren, wie's da angegeben ist und nicht ein bischen anders!« – »Schon recht, mir liegt nichts dran, ich sage aber, es ist gräßlich dumm so. Sollen wir die Weiber auch töten?« »Ben Rogers, wenn ich so dumm wäre wie du, hielt ich lieber den Mund! Die Weiber töten! Wer hat je so etwas gehört oder gelesen! Nein, die werden in die Höhle geschleppt und man ist so höflich und rücksichtsvoll gegen sie, als man kann. Nach einer Weile verlieben sie sich dann in einen und wollen gar nicht wieder fort.« »Gut, damit bin ich einverstanden! Ich für mein Teil aber danke. Bald werden wir die ganze Höhle voll Weiber haben und voll Kerle, die aufs Ranzionieren warten, so daß am Ende kein Platz mehr für die Räuber da sein wird. Ich seh's schon kommen! Aber mach' nur weiter, Tom, ich bin schon still!« Der kleine Tommy Barnes war inzwischen eingeschlafen, und als sie ihn weckten, fürchtete er sich und weinte und wollte zu seiner Mama und gar kein Räuber mehr sein. Da neckten sie ihn alle und hießen ihn Mamakind; das machte ihn ganz wild und er schrie, nun wolle er auch alles sagen und alle Geheimnisse verraten. Da gab ihm Tom fünf Cents um ihn stille zu machen und sagte, nun gingen wir alle nach Hause und kämen nächste Woche wieder zusammen und dann wollten wir ein paar Leute berauben und töten. Ben Rogers sagte, er könne nicht viel loskommen, nur an Sonntagen, und wollte deshalb gleich nächsten Sonntag anfangen. Aber die anderen Jungens meinten, am Sonntag schicke sich so etwas gar nicht und so ließen wir's sein. Sie machten aus, so bald als möglich wieder zusammen zu kommen und dann einen Tag zu bestimmen. Hierauf wählten wir noch Tom Sawyer zum Hauptmann und Joe Harper zum Unterhauptmann der Bande und brachen dann nach Hause auf. Ich kletterte wieder aufs Schuppendach und von da in meine Kammer, gerade als es anfing Tag zu werden. Meine neuen Kleider waren furchtbar schmutzig und voller Lehm und ich war hundemüde.
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