Szene 3

969 Words
Die Werwölfe sind ein mächtiges Volk. Sie werden von allen Völkern gefürchtet und gemieden. Denn ihre Körperkraft ist kaum zu bändigen, genauso wie ihre Wildheit. Trotz ihrer Nähe zur Natur sind sie durch einen tragischen Unfall entstanden. Ein Elf versuchte, einem Wolf durch Zauberei das Sprechen beizubringen. Doch was er ihm schenkte, war viel mehr als nur die Gabe, sich artikulieren zu können, sondern auch humane Intelligenz und die Fähigkeit, auf zwei Beinen zu gehen. Außerdem schenkte er ihm Daumen, wodurch diese neue Rasse die Möglichkeit bekam, Dinge zu greifen. Schnell vermehrte sich der Wolf unter seinen Artgenossen und immer mehr Werwölfe, wie man sie fortan nannte, wurden geboren. Sie begannen zu einer Plage zu werden, sodass ein hohes Preisgeld auf ihre Köpfe ausgesetzt wurde. Sofort nahmen die Vampire sich dieses Problems an und begannen, Jagd auf die Werwölfe zu machen. Zu Beginn fielen viele Wölfe den Vampiren zum Opfer, doch nach und nach fingen sie an sich zu wehren und ihre eigenen Mächte zu entwickeln. Ihr Kampfmotto wurde: „Sieh, bevor du selbst gesehen wirst. Denn nur dann wirst du derjenige sein, der tötet.“ Einige gingen auch in die Lehre bei den Minotauren und eigneten sich so die Kunst der Schattenmagie an. Es schien ihre einzige Möglichkeit zu sein, sich gegen die Hetzjagd der Vampire zu behaupten. Mittlerweile sehr erfolgreich sogar. Dies alles ist nun schon einige Jahrhunderte her. Doch ist die Jagd noch lange nicht beendet. Nicht für die Vampire. Und das, obwohl sich der dunkle Schatten immer weiter über Yerion ausbreitet… Ich betrachtete die kleine Filmsequenz ruhig, während ich der Geschichte über die Werwölfe folgte. Nun ja, so wie es sich anhörte, sollte ich mich vor den Mitspielern der Vampirrasse in Acht nehmen. Aber das würde wohl nicht allzu schwierig werden. Die Welt, in die man mich gesetzt hatte, wirkte düster und kalt. Es war ein dichter Nadelwald aus Tannen und Fichten. Man roch das Moos und die Pilze, die sich aus dem Boden kämpften. Oft sah man Wölfe durch die Schatten huschen. Ich selbst stand vor einem Höhleneingang und wurde sofort von einem anderen Werwolf angesprochen: „Willkommen, Destina. Schön, dass du dich dem Rudel anschließen möchtest, das sich auf die Suche nach neuen Höhlen macht. Wir können jeden tapferen Kämpfer gebrauchen.“ Es war nur ein NPC, dennoch hörte ich geduldig zu, bevor ich dann ruhig weiterging, um mich in der Umgebung umzusehen. Ich war wirklich in einem Wald. Anscheinend waren die Werwölfe noch nicht gut genug entwickelt, um in richtigen Siedlungen zu leben. Oder aber sie lebten absichtlich hier, weil sie sich so besser vor den Vampiren verstecken konnten. Ein Chatfenster ploppte in meinem Sichtfeld auf. „Hey, Shujo! Bist du nun auch endlich online? Hat aber lange gedauert, bis sich das Spiel auf deinem Rechner angesiedelt hat.“ Ich erkannte, dass es Laura war. Ihr Charakter trug den Namen Terrivon und sie war nicht mehr allzu weit vom Maximallevel 60 entfernt, was auf Grund ihrer Spieldauer nicht allzu verwunderlich war. „Ja, ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren. Schließlich durfte ich mir in diesem Bereich schon einiges anhören und darauf habe ich langsam keinen Bock mehr“, antwortete ich ruhig. Der nächste Text ließ nicht lange auf sich warten: „Ah, okay. Hast eh lange durchgehalten. Warte, ich komm' vorbei, dann können wir etwas zusammen machen. Ich kann dir ein paar Orte zeigen. Du bist ein Werwolf. Ich weiß, wo diese Rasse startet. Warte kurz. Ich bin bald da.“ Ich lächelte. Ja, ich wusste, wie sehr sie sich darauf gefreut hatte, mit mir zu spielen. Schließlich hatte ich ihr sofort meine Kontaktdaten geben müssen, sodass sie mich adden konnte. So oft hatte sie versucht, mich zu überreden. Viel zu oft, wenn ich ehrlich war. Ein breiteres Lächeln legte sich auf meine Lippen, während ich mich ruhig umsah. Die Grafik war schön. Sehr realistisch gehalten, was mir durchaus gefiel. Ich mochte diese Comicgrafik nicht. Es kam mir vor, als machten sich die Entwickler mit einem derartigen Stil über ihr eigenes Spiel lustig. Außerdem würde es zu Shards of Fantasy schlichtweg nicht passen. „Hier bin ich“, riss mich die Stimme von Laura in meinem Ohr aus meinen Gedanken und ich erschrak kurz. Ich sah irritiert auf den buckligen Troll, der mich schelmisch angrinste. Seine blaue Mähne hing lässig über seine Schultern, während die gewaltigen Stoßzähne für den nötigen Respekt sorgten. „Na, hab ich dich erschreckt? Ich hab dir doch gesagt, dass sich das Spiel der neusten Technik bedient, sodass man direkt kommunizieren kann und auch Emotionen von dem Spieler auf die Figur übertragen werden. Aber ich wusste, dass du mir wieder nicht zuhörst“, redete sie weiter auf mich ein. Ich erholte mich langsam von dem Schreck, als ich schon die nächste spöttische Anmerkung hörte: „Hey, du bist ja ein Weibchen. Wie kommt das denn?“ „Da redet gerade die Richtige. Du bist doch selbst ein Kerl. Mir sind die männlichen Werwölfe zu animalisch“, erklärte ich mich kurz und trat dann ruhig näher zu ihr, „und warum ist dein Troll männlich?“ „Ganz einfach, weil mich so niemand blöd anmacht.“ Sie zuckte mit den Schultern, bevor sie dann ein Reittier beschwor. „Komm, steig auf. Ich will dir die Hauptstadt zeigen und noch ein paar andere interessante Orte.“ Sie hatte einen gewaltigen Greif gerufen, auf den sie anschließend stieg. Ich nahm zögerlich hinter ihr Platz. „Wieso wird man blöd angemacht, wenn man ein Weibchen spielt?“ „Das wirst du schon noch selbst sehen. Oh ja, du wirst deine Wahl noch bereuen.“ Sie lachte auf, was mich nur irritiert meine Augenbrauen zusammenziehen ließ. Irgendwie wollte ich das nicht wirklich glauben. Schließlich würde jeder hören, dass ich ein Junge war. Bestimmt übertrieb Laura nur wieder einmal…
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