Laura hatte nun schon eine geraume Weile nichts mehr gesagt. Sie ging einfach weiter und sah sich hin und wieder um. Die Wölfe um uns herum wurden immer weniger und die Gefahr nahm spürbar zu, wodurch ich mich instinktiv anspannte.
„Wir sind gleich da. Ich kann schon das Getrappel ihrer Spinnenbeine spüren.“ Sie durchbrach endlich das Schweigen. Ich sah sie irritiert an, doch nickte schließlich.
„Wir müssen in die Höhle und dort ihre Königin töten. Mit mir an deiner Seite wird das keine schwierige Aufgabe sein. Ich werde dir ein Schild geben, das eine Weile deinen Schaden prozentual verringern wird. Das ist alles, was ich für dich tun kann. Außer dir noch ein paar Spinnen vom Hals zu halten. Leider bin ich kein Heiler. Also behalte dein Leben gut im Auge, okay?“, erklärte sie mir den Schlachtplan und nur nach wenigen Schritten, war der Wald plötzlich von Spinnweben überzogen. In ihnen krabbelten riesige Spinnen, die nur darauf warteten, dass sie jemanden zum Fressen bekamen.
Ohne mein Zutun legte sich meine Hand instinktiv um den Griff meines Schwertes, wobei sich Terrivon noch einmal zu mir umwandte. „Hier der Schild. Denk daran: Du hast im Moment nur die Fähigkeit, dass du deine Klinge mit Schatten überziehst, was deinen Schaden für eine gewisse Zeit erhöht. Die Schattenmagie selbst wirst du erst später erlernen. Im Moment bist du nur ein schwarzer Krieger. Mehr nicht.“
Ich nickte erneut und spürte den Schild um mich herum, dennoch konnte ich nicht verhindern, dass die Spannung in meinem Körper immer mehr anstieg. „Pass auf dich auf, Kleiner.“ Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und ich konnte nicht anders, als zu grinsen. „Hey, ich bin gut einen Kopf größer als du.“
„Ja, das behauptest du jetzt.“ Der Troll streckte sich und ich musste laut lachen. „Ich meine im echten Leben.“ „Das zählt hier nicht.“ Sie zwinkerte mir zu, bevor sie sich dann umwandte und aus dem Gebüsch trat.
Die Spinnen reagierten nicht auf sie, was mich kurz irritierte. Doch dann sammelte ich all meinen Mut und trat ebenfalls auf das Schlachtfeld. Sofort drehten sie sich alle in meine Richtung. Ich konnte direkt ihre acht ekelhaften Augen auf mir spüren und das Zischen aus ihren widerlichen Kiefern drang an mein Ohr. Oh mein Gott!
Mein Körper war wie versteinert und ich starrte nur auf die Spinnen, die sich auf mich stürzten. Jetzt erkannte ich den Nachteil der Egoperspektive. Ich verlor die Distanz zu meinem Charakter und meine Gedanken waren von dem Wunsch zu fliehen gelähmt, doch ich rührte mich nicht.
Ich sah schon den Geifer aus den Kiefer der vordersten Spinne tropfen, als diese von einem Blitzschlag getroffen wurde, der sich über die nächstliegenden Spinnen ausbreitete und sie alle zu Boden schickte. Sie waren tot. Der Geruch von verbranntem Chitin breitete sich in meiner Nase aus und löste meine Lähmung auf.
Fassungslos sah ich auf Terrivon, der seinen kleinen Streitkolben in den Himmel gestreckt hatte und auch in seinen Augen erkannte ich das, was ich gerade eben noch gefühlt habe: puren Schrecken.
„Und das ist das Anfangsgebiet?“ Meine Stimme war nur ein Krächzen und mein ganzer Körper zitterte wie Espenlaub. Terrivon wandte sich kurz um und deutete dann auf einen Weg. „Nun ja, eigentlich läuft man da entlang, sodass man nach und nach auf die Spinnen trifft. Wir sind von der anderen Seite gekommen und somit direkt in die Meute gelaufen. Tut mir leid. Aber hey, du hast zwei Level dadurch bekommen. Das ist doch gut.“
Sie grinste breit und ich konnte nicht anders als es zu erwidern. Ich fühlte mich so erleichtert, dass ich diese Begegnung überlebt hatte, dass ich gar nicht böse sein konnte. Schließlich hatte sie mich ja auch gerettet.
„Zwei Level sind ja auch das mindeste, was ich erwarten kann, oder?“, ging ich sofort auf das Gespräch ein und schritt schließlich wieder neben sie, „aber starker Angriff.“
„Nicht wirklich. Er geht nur auf die meisten Gegner und nachdem sie alle sehr schwach sind, musste kein starker Angriff her“, winkte sie ab und ging dann weiter voraus, „das nächste Mal wäre es aber gut, wenn du auch kämpfen würdest. Das bringt mehr Erfahrung.“
Ich nickte nur kurz und schritt weiter voran. Wir betraten schließlich die Höhle, wo erneut drei Spinnen auf uns warteten. Dieses Mal zog ich mein Schwert, als die Monster auf uns zustürmten. Terrivon erledigte zwei davon, sodass ich nur noch einen Gegner hatte, der sich, ohne zurückzusehen, auf mich stürzte.
Meine Klinge wehrte die Kiefer ab und stieß sie von mir. Sprang ihr nach und ließ mein Schwert nach vorne schnellen. Die Klinge durchtrennte drei Gliedmaßen und ließ sie aufschreien. Sofort stürzte sie sich erneut auf mich. Der Geifer tropfte auf mich herab. Wie konnte das Spiel nur so real sein? Ich begriff es nicht.
Ein gezielter Hieb trennte den kleinen Kopf von dem Körper und sie rollte sich sterbend zusammen. Ich sah schwer atmend zu Terrivon. „Das Spiel ist der Hammer. Warum ist das so real? Die hat sogar Beine verloren, wo ich sie getroffen habe. Wie ist das möglich? Das kann doch kein anderes Spiel.“
Terrivon legte den Kopf ein wenig schief und sah mich besorgt an. „Sie hat keine Beine verloren. Nur Schaden genommen. So wie es sich gehört. Ich weiß nicht, was du gesehen hast.“
„Aber ihr Kopf müsste-“ Ich wandte mich zu der Stelle, wo das kleine Gebilde liegen sollte, doch dort war nichts mehr. Ich stockte und sah mich irritiert um. „Wo ist er?“
„An ihrem Rumpf, wo er hingehört“, drang ihre Stimme zu mir durch und als mein Blick zu dem Monster glitt, sah ich, wie es wirklich noch ganz war. Derweil habe ich es doch zerstückelt. Was ging hier vor?
Sie sah mich besorgt an, während ich versuchte zu verstehen. Was machte das Spiel gerade mit mir? Meine Hand zitterte und bevor ich es verlor, steckte ich das Schwert wieder in die Scheide, ehe ich noch einmal zu meinem Gegner sah. Warum war die Spinne ganz? Ich habe sie doch zerteilt.
„Was passiert hier mit mir?“ Ich sah auf meine Hände und die Kleidung, wo der Geifer hätte entlanglaufen müssen, doch dort war nichts. Ich war staubtrocken. So wie es sein sollte in einem Spiel.
„Ich weiß es nicht.“ Lauras Blick wurde nicht besser und ich selbst verlor mich immer mehr in meinen Gedanken.
„Ich muss hier raus! Laura, bring mich aus der Höhle raus, sodass ich mich ausloggen kann!“ Alles in mir schrie danach, mich von dem Spiel zu entfernen. Der Troll erhob sich und näherte sich mir vorsichtig mit erhobenen Händen. „Jetzt beruhige dich erst einmal, Shujo. Dafür gibt es bestimmt eine Erklärung. Du hattest schon immer eine sehr ausgeprägte Fantasie. Vielleicht geht sie gerade nur mit dir durch. Komm, lass uns den Quest noch beenden und dann bring ich dich zurück zu den Höhlen, wo du dich gefahrlos ausloggen kannst. Wir haben es nicht mehr weit.“
Ich wollte jetzt raus aus dem Spiel. Weg von dieser Figur, die mich Dinge sehen ließ, die nicht da waren. Nein, ich wollte nicht anfangen, an meinem Verstand zu zweifeln. Ich wollte hier raus.
Sanft berührten mich die großen Hände des Trolls an meinen Schultern und sie sah mich mit einem besorgten Lächeln auf den Lippen an. „Komm… die paar Minuten bringen dich dann auch nicht um, oder?“
Ich rang mich zu einem Nicken durch und folgte Terrivon dann weiter in die Höhle. Sie vermied es, mich kämpfen zu lassen und erledigte die Gegner, noch bevor sie uns sahen. Genauso wie die Spinnenkönigin, die diese Höhle behauste.
Es war unspektakulär, redete ich mir ein, wodurch ich auch den Geruch von verbranntem Chitin ignorierte. Das war alles nicht real. Es war nur ein Spiel. Nur ein Spiel…