KAPITEL ZWEI

2289 Words
KAPITEL ZWEI Kate schaffte es in Rekordzeit zur Schule. Normalerweise wurde sie früher oder später von Madison überholt, aber sie war so wütend gewesen, dass sie es in weniger als fünfundvierzig Minuten geschafft hatte. Schweiß lief ihr über den Rücken, als sie ihr Fahrrad in den Unterständen neben dem Parkplatz abschloss. Sie war sich verlegen bewusst, dass ihr Gesicht knallrot und fleckig sein musste. In dem Moment hielt ein Auto auf dem Platz neben ihr und Tony sprang heraus. "Oh Gott," murmelte Kate laut. Tony war ihr Schwarm. Er spielte im Football-Team, hing mit den coolen Kids ab und trotz alldem war er ein wirklich liebenswerter Mensch. Er war die Art von Junge, der für Jeden Zeit hatte. Er sah die Leute an der Highschool nicht durch die Linse ihrer Cliquen. Kate war für ihn keine Außenseiterin - sie war einfach Kate Roswell. Manchmal hatte Kate das Gefühl, dass er der einzige war, der sie nicht im Vergleich zu ihrer schöneren, beliebteren, lustigeren Schwester sah. "Kate," sagte er und schlug die Autotür zu. "Wie geht's?" Kate fühlte sich unbehaglich. Sie wünschte sich sie würde hier nicht schwitzend und so erschöpft aussehend stehen. "Gut," sagte sie, das einzige, was ihr einfiel. "Hey," sagt er mit einem leicht verwirrten Blick. "Du siehst heute anders aus. Du hast was mit deinen Augen gemacht." "Mascara," erwiderte sie und fühlte sich noch unbehaglicher. "Sieht gut aus," stellte er nüchtern fest. "Vorher war mir nicht aufgefallen, wie blau deine Augen sind." Kates Herz machte einen Satz. Falls er nicht die Absicht hatte mit ihr zu flirten, dann gelang ihm das nicht sehr gut. "Hey, habe ich recht, wenn ich denke, dass heute dein Geburtstag ist?" fügte er hinzu. Sie konnte nicht anders, als dahinzuschmelzen. Woher wusste er das? Sie konnte sich nicht erinnern ihm das erzählt zu haben. "Ähm, ja, ist es," sagte sie. Tony lächelte und zeigte seine schönen, perlweißen Zähne. "Herzlichen Glückwunsch." Er lehnte sich zu ihr und zog sie in eine Umarmung. Kate stand stocksteif da. Ihr ganzer Körper vibrierte voller Elektrizität. Sie wollte ihn auch umarmen, aber sie hatte Angst, dass sie Schweißflecken so groß wie Teller zeigen würden, falls sie Arme hob. Tony ließ sie los und machte einen Schritt zurück. "Danke," murmelte sie und fühlte sich wie der größte Depp auf Erden. Sie wünschte sich sie könnte cool bleiben. Madison wäre nicht ausgeflippt, wenn ihr Schwarm sie umarmt hätte. "Hör zu," sagte Tony, dessen Augen zum Football-Team flackerten, das auf den Parkplatz kam. "Ich muss los. Hab einen schönen Geburtstag, okay?" Er ging bereits und sprach dabei über seine Schulter. "Wenn ich dich beim Mittagessen sehe, dann kaufe ich dir einen Cupcake." Dann war er weg und joggte zu seinen Freunden. Kate umklammerte fest ihre Tasche, während ihr schmerzhaft bewusst wurde, dass sie die ganze Unterhaltung versaut hatte. Es war der Kommentar über ihre Augen gewesen, der sie aus der Bahn geworfen hatte. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob Tony mit ihr geflirtet hatte. Vielleicht gab es einen winzigen Teil in ihm, der auch für sie schwärmte? "Kate!" rief jemand und als sie sich umdrehte, sah sie ihre drei besten Freundinnen auf sich zulaufen. Dinah Higgins, Nicole Young, und Amy Tan waren Kates beste Freunde seit sie sich alle in der neunten Klasse kennengelernt hatten. Dinah war eine Afro-Amerikanerin und kam aus einer großen, warmherzigen Familie, die mehr Zeit für Kate zu haben schien als ihre eigene. Sie trug ihr Haar in Cornrows mit weißen und roten Strähnen hineingewebt. Nicole lebte nur mit ihrem Vater; ihre Mutter war an Krebs gestorben, als sie noch klein war. Sie war durch und durch Kalifornierin, aber versuchte es unter Lagen von schwarzen Kleidern und Motorradstiefeln zu verstecken. Weil ihre Haare von Natur aus blond waren, färbte sie sie oft in alle möglichen Farben. Im Moment waren sie leuchtend orange. Amy war das Mädchen, dem sich Kate am nächsten fühlte. Ihre Eltern waren beide Chinesen, die nach Amerika gezogen waren um ihr und ihrem Bruder bessere Chancen zu ermöglichen. Daraus hatte sich ein großer kultureller Unterschied zwischen Amy und ihren Eltern ergeben. Sie sahen sie als eine Kuriosität, mit ihrer Liebe zur Pop-Kultur, ihrer Besessenheit von Reality-TV und ihrer albernen Persönlichkeit. Darum waren Kate und Amy sich so nahe. Amy fühlte sich auch wie ein Außenseiter in ihrer Familie. Die drei Mädchen schnappten sich Kate und zogen sie in eine Gruppenumarmung. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!" riefen sie alle. Viele der cooleren Leute auf dem Parkplatz sahen abschätzig zu ihnen herüber - so verhielt man sich einfach nicht in der Öffentlichkeit. Aber Kate war es egal. Sie liebte ihre Freunde und wie sie ihr das Gefühl gaben etwas Besonderes zu sein; trotz der Tatsache, dass sie gewöhnlich und langweilig im Vergleich zu Madison war. "Wir haben Geschenke!" Dinah strahlte, zog ein schlecht verpacktes Geschenk aus ihrer Tasche und drückte es Kate in die Hände. "Mach meins zuerst auf", rief Nicole und hielt ihr eine kleine Schachtel entgegen. "Nicht raten was drin ist," sagte Amy und reichte ihr ein Buchförmiges Paket. Kate war von den Geschenken überwältigt. "Danke, Leute," strahlte sie. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll." "Mach sie einfach auf!" rief Nicole. Sie setzten sich auf die Wiese neben dem Tennisplatz. Kate öffnete all ihre Geschenke - eine Schachtel mit Schokolade von Dinah, Totenkopfohrringe von Nicole und eine gebrauchte Ausgabe von Romeo und Julia. Kate liebte Shakespeare und sie liebte romantische Tragödien. Sie würde all ihre Nächte damit verbringen sie zu lesen, wenn sie könnte. "Ihr seid die Besten," sagte sie und umarmte jede von ihnen. Amy stupste sie an. "Also ... was hat das Mutter-Monster heute Morgen gesagt? Hast du Glückwünsche bekommen?" Kate schüttelte den Kopf. "Nein." Dann erinnerte sie sich an die Karte von Max. "Max war der einzige, der daran gedacht hat." Sie zog die Karte aus der Tasche. Sie war ein wenig zerknittert worden. Sie öffnete den Umschlag und sah eine glitzernde pinke Karte mit einer Blume darauf. Es war die Art von Karte, die man einer Vierjährigen geben würde, aber sie war trotzdem dankbar. Max musste sein Taschengeld dafür genommen haben; ihre Mutter hätte ihm auf keinen Fall etwas geliehen. Im Inneren der Karte stand: "Für meine Schwester an ihrem Geburtstag." Er hatte keine Nachricht geschrieben, nur "Kate" am oberen Ende und "Max" weiter unten. Bei dem Anblick der einfachen Karte zog sich ihr Herz zusammen und sie erinnerte sich an den schmerzhaften, enttäuschenden Morgen. Bevor sie es verhindern konnte, fing ihre Unterlippe an zu zittern. "Kate!" rief Dinah und schlang die Arme um ihre Freundin. "Was ist los?" Kate versuchte zu sprechen, aber die Tränen überwältigten sie. Die drei Mädchen wussten wie schwer sie es zu Hause hatte - sie hatten ihr bereits durch drei Jahre der Qualen geholfen und ihr zugehört - und sie hatten großes Mitgefühl für ihre Freundin. "Mom hat gesagt," begann Kate und schluchzte schwer, "sie hat gesagt, dass ich nicht aufs College gehen kann. Dass ich arbeiten muss, um mit Madisons Studiengebühren zu helfen." Amy fiel die Kinnlade herunter. Dinah warf Kate einen gequälten Blick zu. Nicole drückte ihren Arm. "Das kann sie nicht machen!" rief Amy. "Das ist so unfair," sagte Nicole und runzelte die Stirn. "Du kannst jederzeit bei meiner Familie bleiben, wenn du aus dem Haus rauskommen musst." "Oder bei meiner," fügte Dinah hinzu. "Meine Mutter liebt dich. Das weißt du. "Danke," murmelte Kate. "Aber ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn ich nicht aufs College kann. Das war mein Fluchtplan, wisst ihr?" Die Mädchen nickten. Sie hatten sich oft über Colleges unterhalten und sogar geplant auf das gleiche zu gehen, damit sie zusammenbleiben konnten. "Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll," fügte Kate hinzu und fing wieder an zu weinen. "Ich nehme an Madison hat sich nicht für dich eingesetzt," sagte Amy. Sie hassten Madison dafür, dass sie Kate nicht half und versuchte Kate immer dazu zu bringen, dass sie ihrer Schwester nicht so viel Freiraum gab. So wie Amy es sah, sollte Madison ihre Mutter darauf ansprechen, wie schlecht sie Kate behandelte, anstatt einfach unschuldig all ihre Komplimente und ihre Aufmerksamkeit anzunehmen. "Nein," erwiderte Kate düster. "Hey," sagte Nicole und drückte ihre Freundin. "Das wird schon wieder. Du hast uns, wir passen auf dich auf. Es passiert schon etwas, das alles wieder in die richtige Bahn bringt. Ich verspreche es." Kate wusste nicht, wie sie sich da so sicher sein konnte. Nicole sprach immer davon, wie Dinge sich verändern und letzten Endes gut werden würden, aber es schien, als würden sie sich für Kate immer nur zum Schlechten wenden. Das Trinken ihres Vaters war schlimmer geworden, der Griff ihrer Mutter um ihr Leben stärker und Madison distanziert sich immer weiter, je höher ihr Status als das goldene Kind stieg. Kates Leben folgte einer Abwärtsspirale und die Möglichkeit zu verlieren aufs College zu gehen war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Nicole redete noch immer. "Der Abschlussball steht an," sagte sie gerade. "Wer weiß, was da passiert." "Oh, bitte," erwiderte Kate. "Jungs sind gerade das Letzte was mich beschäftigt." "Ach wirklich?" sagte Amy mit hochgezogener Augenbraue. "Denn ich glaube, dass ich gesehen habe, wie ein gewisser Tony Martin einer gewissen Kate Roswell auf dem Parkplatz eine Umarmung gegeben hat." Trotz ihrer Traurigkeit tröstete der Gedanke Kate ein wenig. Sie fühlte wie ein Lächeln an ihren Lippen zog. "Ja. Er, ähm, er hat gesagt meine Augen sehen gut aus mit Mascara." "Oh mein Gott!" rief Dinah. "Der steht total auf dich!" Kate lachte und schüttelte den Kopf. "Da bin ich mir nicht so sicher. Er ist zu allen nett." "Ja, nett," sagte Amy, "aber er flirtet nicht mit jedem!” Nicole sah sie triumphierend an. "Habe ich dir nicht gesagt, dass die Dinge wieder besser werden?" Kate winkte ab und versuchte die Begeisterung ihrer Freundin zu dämpfen. "Ich glaube wirklich nicht, dass das so ist," sagte sie. "Vielleicht lädt er dich zum Abschlussball ein," quietschte Dinah. Der Gedanke sorgte für Schmetterlinge in Kates Bauch. Gab es eine Chance, dass er sie fragen würde? Da erinnerte sie sich daran, dass sie Mascara trug und geweint hatte. "Oh Gott, bin ich verlaufen?" fragte sie panisch. "Nein, keine Panik," erwiderte Dinah. "Du siehst gut aus. Aber ich werde dich beim Mittagessen noch ein wenig aufhübschen, als ein Geburtstagsgefallen!" Dinah liebte Make-up. Wegen ihrer großen Familie konnte sie nicht all die Klamotten und Schuhe kaufen, die sie haben wollte, um mit den Trends mitzuhalten. Deshalb war sie ständig dabei ihre Anziehsachen selber zu verändern und verschiedene Make-ups auszuprobieren. Sie war unglaublich kreativ geworden. Sie versuchte die anderen immer zu ermutigen mehr aus ihrem Aussehen zu machen. Nicole war die einzig andere, die sich immer um ihr Aussehen bemühte. Amy versuchte neutral zu bleiben, um ihre Familie nicht zu beunruhigen, auch wenn sie Miniröcke und kniehohe Stiefel trug, wann immer sie Gelegenheit dazu hatte. Kate war hatte bisher noch nie versucht ihre Identität durch Mode auszudrücken. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihre Entscheidungen traf nur um ihre Mutter zu verärgern. Seit sie aufgehört hatte die seidenen, gerüschten, Pastell-Kleider ihrer Mutter zu tragen und zu Schönheitswettbewerben zu gehen, war sie ziemlich burschikos geworden. Aber sie wusste nicht, ob das wirklich ihr Stil war, oder ob sie sich nur so anzog, weil sie wusste, dass es ihre Mutter aufbrachte. Kate lächelte. Falls auch nur die geringste Möglichkeit bestand, dass Tony sie zum Abschlussball einlud, dann konnte sie ruhig versuchen das Beste aus sich zu machen und ihre Chancen erhöhen. Sie fühlte sich bereits Tausend Mal besser als während ihrem wütenden Fahrradritt am Morgen. Sie wusste, dass ihre Freunde für sie da waren. "Und selbst wenn Tony mich nicht fragt, dann ist das auch keine große Sache," fügte Kate hinzu. "Wir können alle zusammen gehen." "Ich bin so froh, dass du das sagst," erwiderte Amy. "Ich glaube nicht, dass meine Eltern mich mit einem Jungen gehen lassen würden!" Sie lachten alle. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass sie für einander da waren, dass sie nicht auf Jungs angewiesen waren, um Spaß auf dem Abschlussball zu haben. Als es schellte standen die Mädchen auf und gingen in verschiedene Richtungen. Amy und Kate hatten beide Mathe, also gingen sie Arm in Arm den Flur entlang. Plötzlich fühlte Kate wie Amy ihre Hand drückte. Sie sah auf und bemerkte, dass Madison mit ihren Cheerleader-Freundinnen bei den Schließfächern stand. Sie stand mit dem Rücken zu Kate und Amy und, ohne zu wissen, dass sie hinter ihr standen, gab sie eine Geschichte zum Besten, die die anderen Mädchen lauthals lachen ließ. "Und dann war Mom so 'Junge Dame, du wirst eine Putze, so wie ich, damit Madison aufs College gehen kann.' Könnt ihr das glauben? Und ich war so 'Oh mein Gott, sie verwandelt meine Schwester in eine Sklavin!' Und das alles an ihrem Geburtstag! Ich meine, ich habe ein Auto zum Siebzehnten bekommen. Und sie bekommt, irgendwie, nichts." Sie lachte laut auf und die anderen Mädchen taten es ihr gleich. Kates Magen fiel ihr in die Kniekehlen. Wie konnte Madison sich so über sie lustig machen? Sie wusste, dass Madison sich zu Hause nicht wirklich für sie einsetzte, aber sie hatte nicht gedacht, dass sie über ihr Unglück mit ihren Freunden tratschte. Amy klammerte sich an Kates Arm, versuchte sie zu stützen und sie im Gleichgewicht zu halten. Sie half Kate an Madison und der Grupe gemeiner Mädchen vorbeizugehen. Kate wusste, dass Madison sie erkennen und begreifen würde, dass sie sie gehört hatte. Sie sah über ihre Schulter zurück zu ihrer Schwester. Ihre Augen trafen sich und Madison sah sie leicht entsetzt an. Aber davon abgesehen, gab es keinen Hinweis darauf, dass ihr bewusst war, wie sehr sie Kate verletzte hatte. Dann brach sie den Augenkontakt und wandte ihre Aufmerksam wieder voll ihren Freunden zu. Kate ging schweren Schrittes zu ihrem Unterricht und fühlte sich schlechter als jemals zuvor.
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