Mit einem Grummeln schaltete ich meinen klingelnden Wecker ab. Das Teil hatte den wohl nervigsten Ton überhaupt, aber das war bei den meisten Weckern der Fall. Langsam setzte ich mich auf und musste dabei Gähnen.
Ich saß wie geistig verwirrt da. Die Augen bekam ich gerade mal auf und blinzelte ein paar Mal, um scharf sehen zu können.
Für diesen kurzen Moment nach dem Aufwachen hatte ich doch tatsächlich vergessen, was für eine 180-Grad-Wendung mein Leben genommen hatte.
Von reich und schön zu arm und armselig.
Was für tolle Karten einem das Leben so zuspielen konnte.
Ohne jegliche Motivation schwang ich meine Beine über die Bettkante und stand auf.
Der erste Schritt war es mich umzuziehen. Immer noch mit genau null Prozent Motivation ging ich zu meinem Kleiderschrank hinüber. Er stand offen, was es mir ersparte ihn zu öffnen.
Ohne lange zu überlegen entschied ich mich für eine schwarze Leggings und ein einfaches Shirt dazu. Ich war zu müde, um mich näher damit zu befassen. Das musste ausreichen.
Bei meiner morgendlichen Routine war der nächste Schritt das Badezimmer. Halb verschlafen machte ich mich auf den Weg dorthin. Am liebsten hätte ich mich auf den Boden gelegt um weiterzuschlafen. Da würde ich sogar den Boden als Bett akzeptieren.
Während ich mir die Zähne putzte, musterte ich mich im Spiegel. Ich sah furchtbar aus. Die Augenringe schrien einem praktisch entgegen.
Aber hey, für was gab es Make-up?
Damit wirkte ich weniger fertig, zumindest optisch.
Mein Anblick besserte meine Laune kein Stück.
Ich wandte mich von meinem Spiegelbild ab, und sah durch die offene Tür. Dahinter war Wohnzimmer, Essbereich und das improvisierte Schlafzimmer meines Dads. Alles in einem Raum.
Der Arme schlief auf der Couch.
Ich wollte ihm eigentlich mein Zimmer überlassen, aber er hatte darauf bestanden, dass es mir gehörte. Als sein Goldschatz, wie er mich gerne nannte, sollte ich das richtige Bett haben.
Wenn ich dann an meine Mutter dachte, musste ich mit dem Kopf schütteln. Sie war das exakte Gegenteil meines Dads.
Wie konnte man einfach seine Familie verlassen? So eiskalt und endgültig?
Ich würde das nie verstehen. Und solange sie sich weiter tot stellte, würde ich auch nie eine Antwort bekommen.
Gut, auch, wenn sie sich melden würde, für mich war es zu spät. In der schlimmsten Zeit hatte sie uns fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.
Mittlerweile schminkte ich mich und gab dabei mein Bestes. Wenigstens mein Aussehen sollte einigermaßen akzeptabel sein.
Mit Glück überdeckte es auch das Grauen, welches ich empfand, wenn ich an die Schule dachte.
Als der Kleister in meiner Fresse verteilt war, ging es an das braune Chaos auf meinem Kopf. Ich band meine Haare irgendwie hoch, weil es sowieso egal war.
Das Frühstück ließ ich heute aus, denn der Hunger war mir vergangen.
Mir wurde schlecht, wenn ich an den heutigen Tag dachte. Da bekam ich nichts hinunter. Mit dem Pluspunkt, dass ich damit Geld sparte.
Trotzdem ging ich in die Küche und stellte mich vor das Waschbecken. Mit einem Seufzen holte ich ein Wasserglas aus dem Schrank darüber. Trinken wäre sinnvoll.
Mein Körper dankte es mir.
Das hatte ich schnell getrunken und ließ es auf der Theke stehen. Wir würden es alle überleben, wenn ich das erst am Abend aufräumte.
Ich verließ den Raum und der Anblick ließ mich ein weiteres Seufzen unterdrücken. Mein Dad war sitzend mit dem Laptop auf seinem Schoß eingeschlafen.
Leise trat ich zu ihm, nahm ihm das Gerät vorsichtig ab und stellte es auf den Couchtisch. Auch seine Brille nahm ich ihm langsam ab und legte sie daneben.
In dieser Position zu schlafen war bestimmt alles andere als bequem, aber wenn er schon schlief, wollte ich ihn ungern wecken.
Die Decke, die neben ihm lag, breitete ich sanft über ihn aus.
Er sollte es warm und halbwegs bequem haben.
Mein Dad arbeitete meistens Nachtschichten, die brachten etwas mehr Geld ein. Und sobald er nach Hause kam, durchforstete er das Internet nach einem besseren Job.
Ich musterte ihn kurz. Selbst im Schlaf wirkte er angespannt.
In letzter Zeit hatten wir zu viel Stress. Viel zu viel.
Schließlich ging ich zur Haustür, die in der kleinen Wohnung nicht fern war. Meine Umhängetasche hing auf einem der Haken und die schnappte ich mir.
Ein kurzer Check, ob alles drin war, musste sein. Der Inhalt ließ mich zufrieden nicken.
Gesellschaftlich vielleicht unten durch, aber in der Schule würde ich mir Mühe geben.
Meine Schuhe zog ich mir an, was schnell ablief, da es simple Stoffschuhe waren, die ich immer zugebunden ließ.
Mit einem weiteren Schritt stand ich bereits vor der Haustür. Meine Hand legte ich auf den Türgriff und holte tief Luft, um mich auf die grausame Realität vorzubereiten.
Schon drückte ich die Klinke nach unten.
Der Wahnsinn, der sich mein Leben nannte, konnte losgehen.