ALLE KÖNIGLICHE AUSBILDUNG der Welt war nicht genug, um ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten. Fünf Jahre des Schweigens, das mit solchen Neuigkeiten gebrochen wurde. Sie konnte die Tränen, die ihr Sichtfeld verschwimmen ließen, nicht aufhalten und sie streifte sie mit wütenden Wischbewegungen ab. Sie las die ersten Zeilen wieder und wieder: Du wirst mehr vermisst, als du dir vorstellen kannst.
»Welche Art von Krankheit ist es?«, fragte sie leise.
Mr. Jerrinson zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck hilflos. »Es tut mir leid, Hoheit, ich weiß es nicht.« Sie bemühte sich nicht ihn zu korrigieren. Plötzlich fiel ihre Aufmerksamkeit auf eine andere Zeile. Sie wischte den Rotz, der aus ihrer Nase trat, auf ihren Ärmel und fragte: »Was bedeutet das, ›deine gemeinsame Herrschaft‹? Ist Edward jetzt als Zweitgeborener an erster Stelle der Thronfolge?«
Rubald nickte. »Der Erstgeborene, Lincoln Atticus Jonathan Norris Bryant Broward versuchte die Macht an sich zu reißen, bevor sein Vater seine Absicht zurückzutreten verkündet hat. Er wurde als untauglich zu regieren erachtet und sitzt momentan im Exil in Op’ho’lonia. Er stellt dort sogar jetzt eine Armee auf, um einen weiteren Putsch zu versuchen—das heißt bis sein Bruder Euch heiratet und den Vorteil der Kräfte Eures Territoriums erlangt, an welchem Punkt er ...«
»Unbedeutend sein wird«, beendete sie.
Es gab ein Klopfen an der Tür und ohne nachzudenken rief sie: »Herein!«
Zwei Arbeiter niedriger Stufe standen mit großen Augen in der Türöffnung. »Ähm, wir hatten eine Frage zur Temperatur des Abwassers was die Durchführbarkeit der Rückgewinnung des Quecksilbers betrifft ...«, begann einer, aber verstummte allmählich, als er Abbies tränenverschmierte Wangen bemerkte.
»Wir kommen noch einmal«, sagte der andere und die Tür schloss sich einmal mehr.
Abbie wischte sich noch einmal über ihr Gesicht, die Tränen weigerten sich noch immer aufzuhören. Rutha bot ihr ein Taschentuch an, welches sie dankbar annahm.
»Verflixt«, flüsterte sie. »Verflixt und zur Jersey.«
»Majestät«, sagte Rutha leise, »wenn man die Gefahr bedenkt, von welcher Euer Vater gesprochen hat, glauben wir, dass Ihr beabsichtigen solltet hier so schnell wie möglich wegzugehen.«
»Nein«, gab sie zurück, putzte ihre Nase. Sie starrte sie durch gerötete Augen an, die zu ihrem Haar passten, bis sie wegsahen. »Sie können jetzt gehen.«
Zwei schockierte Gesichtsausdrücke erschienen auf den Gesichtern des Paars, aber Rubald fand zuerst seine Stimme wieder. »Majestät, wir beide haben das Gefühl—«
Abbie stand auf und ließ ihre Handflächen auf den Schreibtisch krachen, verstreute dabei Papiere und die Verpackung des Gebäcks auf dem Fußboden. »Mir ist egal, was Sie beide für ein Gefühl haben, oder was Sie denken, oder was Sie wollen«, sprach sie langsam und deutlich aus. »Ich habe dieses Leben permanent hinter mir gelassen. Ich werde niemals zu einem royalen Leben zurückkehren. Sie können gerne versuchen mich auszuliefern, wenn Sie es wagen.«
»Meine Güte«, murrte Rutha und Rubald schüttelte nur seinen Kopf. Sie starrten sie an, Rubalds Gesicht wurde fleckig rot, aber sie bewegten sich nicht, bis sie sich räusperte.
»Lassen Sie mich deutlicher werden. Raus hier.«