Kapitel 1

2378 Words
1 CRICKET „Du hast zehn Minuten“, knurrte Schmidt und drückte mir ein Outfit in die Hände. „Zieh das an und komm wieder raus. Finde ein Paar Schuhe, die passen.“ Er zeigte auf den Boden hinter mich. Das Wummern des Basses in dem Lied, das im Hauptraum in voller Lautstärke gespielt wurde, drang durch den Boden und die dünnen Wände. Der Geruch von abgestandenem Bier und Rauch hing in der Luft. Ich warf einen Blick auf meine neue Realität. Der Raum war klein, nicht mehr als ein übergroßer Schrank. Eine Neonröhre, die an der Decke angebracht war, tauchte alles in ein grelles Licht. Zwei bewegliche Garderobenständer flankierten mich zu beiden Seiten. Unterwäsche und die kürzesten Outfits hingen gemeinsam mit Tops, die nicht einmal bis zur Taille reichten, von den Ständern. Auf dem Boden lag eine Auswahl an nuttigen Lackschuhen mit mindestens zehn Zentimeter hohen Absätzen in allen möglichen Farben. Ich blickte hinab auf die Dinge, die er mir in die Hände gedrückt hatte. Ein Krankenschwesternkostüm. Ein weißes Kleid – wenn man es überhaupt als ein solches bezeichnen konnte, mit kurzen Ärmeln und einem noch kürzeren Saum – mit Klettverschlüssen anstatt Knöpfen an der Vorderseite. Darunter sollte ich ein weißes Bikinioberteil tragen, das aus zwei winzigen Dreiecken bestand, und einen dazu passenden String-Tanga, ebenfalls in weiß, der ein rotes Pluszeichen direkt auf der Vorderseite hatte, als ob meine v****a die Quelle medizinischer Hilfe wäre. Mein Magen verknotete sich bei dem Gedanken daran, was sie von mir erwarteten. Ich konnte nicht da rausgehen und strippen! Ich konnte nicht einmal dieses Outfit anziehen. „Ich kann das nicht tun“, sagte ich flehend. Ein letztes Mal. Ich hatte das bereits während der vergangenen zwei Stunden getan, seitdem sie mich aus meiner Wohnung geholt hatten. „Du hast keine Wahl, Schätzchen.“ Schmidt – ich nahm an, dass das sein Nachname war, aber es war der einzige Name, unter dem ich ihn kannte – war in seinen Fünfzigern, gebaut wie ein Whiskeyfass und eine Zigarette hing zwischen seinen Lippen. Ich hatte die Pistole an seinem Hosenbund gesehen. Nichts Ungewöhnliches, da wir hier in Montana waren und jeder eine trug, sogar kleine alte Damen, aber ich glaubte nicht, dass diese hier zum Schutz war, als viel mehr zur Durchsetzung seiner Wünsche. Er hatte seine Hand zwar nicht gegen mich erhoben, aber ich wusste, dass er nicht zögern würde, das zu tun, wenn er wollte. Das Gleiche galt für seinen Handlanger, Rocky. Besonders nachdem mich Rocky gepackt und aus meiner Wohnung zu meinem Auto gezerrt hatte. Ich hatte keine andere Wahl gehabt, als uns zu diesem zwielichtigen Laden am Stadtrand zu fahren. Ich hatte darüber nachgedacht, an einer Ampel aus dem Auto zu springen, aber ich wusste, er würde mich nur wieder zurückschleifen und stinksauer sein. Vielleicht wäre es besser gewesen, auf eine Kreuzung zu springen, anstatt dort zu sein, wo ich mich jetzt befand. Ich konnte an Schmidt nicht vorbei, da er fast so breit war wie der Türrahmen, aber selbst wenn ich es könnte, lauerte auch noch Rocky hinter ihm. Und da beide bewaffnet waren, riskierte ich es nicht. Ich glaubte nicht, dass sie Mörder waren, aber eine Vergewaltigung würde ich ihnen durchaus zutrauen. Ihre Art und Weise, mich zu überzeugen, beinhaltete höchstwahrscheinlich ein Szenario, bei dem ich auf meinen Knien war oder auf dem Rücken lag. „Ich habe dir die Summe bezahlt, die ich dir geschuldet habe“, erinnerte ich ihn. Wieder. Verzweiflung mischte sich in meine Worte. Darüber lachte er, seine Augen wanderten über mich, wie ich in Jeans und einem einfachen T-Shirt vor ihm stand. „Nicht die Zinsen.“ „Die habe ich ebenfalls bezahlt. Zwanzig Prozent.“ Er grinste, schüttelte langsam seinen Kopf, als ob er mit einem Idioten sprechen würde. Vielleicht war ich einer, da ich im Hinterzimmer eines zwielichtigen Stripclubs stand. „Schätzchen, ich habe dir doch gesagt, es sind Zinseszinsen. Hast du in diesen schicken Collegekursen, für die du dir Geld geliehen hast, überhaupt nichts darüber gelernt?“ Die Anatomie und Physiologie Kurse, die ich belegt hatte, hatten unter anderen das Thema behandelt, wie sein vorderes Kreuzband reißen würde, wenn ich ihm so gegen sein Knie treten würde, wie ich es wollte, aber ich hatte keine Tests darüber gemacht, wie es ist, von einem verschlagenen Kredithai übers Ohr gezogen zu werden. Ich war so dumm gewesen, dass ich Geld von ihm geliehen hatte. Ich hatte das Diplom, für das ich so hart gearbeitet hatte, praktisch vor mir sehen können. Aber dann hatte mein Auto ein neues Getriebe benötigt, das ich nicht bezahlen konnte, egal wie viele zusätzliche Schichten ich arbeitete. Er grinste und zeigte seine schiefen, gelben Zähne. Er hatte mich in der Hand und ich hatte das ziemlich sichere Gefühl, dass die Zinseszinsen nie getilgt werden würden. Ich war am Arsch. So was von am Arsch. „Dieses Outfit ist besonders. Es ist nur für dich, da du ja eine Ausbildung zur Krankenschwester machst und all das.“ Mir war schlecht, denn ich bemerkte, dass er sich daran erinnerte, warum ich überhaupt Geld von ihm geliehen hatte. Ich hatte es nicht getan, damit ich mir Drogen kaufen konnte, verdammt nochmal! Es war fürs College gewesen, damit ich mich beruflich verbessern konnte! Wie lange hatte er mich schon beobachtet? „Ich weiß nicht, wie man strippt“, sagte ich, womit ich das Offensichtliche aussprach und leckte über meine trockenen Lippen. Ich konnte kaum tanzen. Meine Freunde zogen mich ständig damit auf, dass ich kein Rhythmusgefühl hatte. „Du ziehst jeden verdammten Tag deine Klamotten aus“, konterte er. „Es ist nicht so schwer und so lange du diese großen Titten zeigst und die Kerle am Ende einen Blick auf eine enge p***y bekommen, wird es keiner merken.“ Tränen brannten mir in den Augen. „Ich habe das noch nie zuvorgetan.“ „Schätzchen, du bist die jungfräuliche Krankenschwester. Jeder wird es lieben, dabei zuzusehen, wie du deine Stripper Jungfräulichkeit verlierst. Du musst nur strippen, bis deine Schulden bezahlt sind.“ „Zweitausend Dollar?“, erwiderte ich. „Das sind einhundert Prozent Zinsen und verdammt viel Strippen.“ Er hob eine fleischige Schulter. „Du kannst auch Kunden mit ins Hinterzimmer nehmen. Ein Lapdance bringt mehr Geld ein, vor allem wenn du ihnen ein glückliches Ende bescherst.“ Würg. Ich wusste, was er damit meinte. Gegen zusätzliches Geld Fremde zu ficken oder an ihren Schwänzen zu saugen. Ein glückliches Ende für mich wäre, von hier wegzulaufen und ihn nie wiederzusehen. „Du kannst mir nach Ladenschluss zeigen, wie gut du bist.“ Er zwinkerte und mir schoss Galle in den Mund. Ich war keine Jungfrau und ich mochte es beim s*x gerne ein bisschen wild, aber ich würde niemals, unter keinen Umständen, etwas mit ihm tun oder irgendjemandem in diesem Laden. Ich schüttelte langsam mit großen Augen meinen Kopf. „Ich kann zur Polizei gehen“, erinnerte ich ihn. Auch wenn ich ihm damit drohte, wusste ich, dass es eine leere Drohung war. Sein Lächeln wurde tödlich. „Erzähl es jemandem und für einen Zwanziger an Schwänzen zu saugen, wird nicht alles sein, das du tun wirst. Ich hoffe, dir hat dieses Semester gefallen. Rache ist süß.“ Er lächelte einfach nur. „Zehn Minuten.“ Er trat zurück und schlug die Tür so heftig zu, dass die metallenen Kleiderbügel schepperten. Ich schluckte, ließ die Tränen fallen. Scheiße, Scheiße! Ich konnte das nicht tun. Ich konnte mich nicht in einen Raum voller fremder Männer stellen und tanzen, geschweige denn meine Klamotten ausziehen. Ich war schon zuvor nackt vor Männern gewesen, aber das war etwas völlig anderes gewesen. Einvernehmlich. Spaßig. Ein bisschen wild. Nein, sehr wild. Aber dies? Ich hatte Geld. Jetzt. Nicht zu Beginn des Sommersemesters, als ich es mir von Schmidt geliehen hatte. Letzte Woche, als ich den offiziellen Brief mit der Post erhalten hatte, hatte ich es nicht fassen können. Mein Vater, den ich nie gekannt hatte, war gestorben und hatte mir Geld hinterlassen. Eine Menge davon. Aber wenn ich Schmidt von dem Erbe erzählen würde, würde er mehr als die Zweitausend wollen. Er würde mich nie in Ruhe lassen und das war der Grund, warum ich es unter Verschluss hielt. Ich wollte es ihm erzählen, so verzweifelt erzählen, damit ich von hier verschwinden konnte, aber an diesem Punkt bezweifelte ich, dass er mir überhaupt glauben würde. Ich bin die Erbin des Steele Vermögens. Ja, genau. Er hatte meine Wohnung gesehen, mein altes Auto. Zur Hölle, ich hatte mir Geld von ihm geliehen. Kein Millionär musste sich Geld von einem Kredithai leihen. Die Tür öffnete sich und ich machte einen Satz zur Seite, wodurch der String-Tanga vom Bügel glitt und auf den Boden fiel. „Du ziehst dich nicht um.“ Rocky. Schmidt hatte definitiv das Kommando inne und erledigte das Geschäftliche. Ich bezweifelte nicht, dass er die Frauen, die in diesem Club arbeiteten, fickte, aber er war nicht wie Rocky. Rocky war ein kranker Mistkerl. Übergriffig. Er würde mich jetzt gleich an Ort und Stelle nehmen, wenn er damit davonkommen könnte. Und er machte mir mehr Angst als sein Chef. Er bückte sich und hob den String-Tanga auf, so dass er von einem seiner Finger baumelte. „Ich kann helfen.“ Sein schmieriges Grinsen versetzte meinen Magen in Aufruhr. „Mir wird schlecht.“ Ich legte eine Hand über meinen Mund. Vielleicht war es mein Gesichtsausdruck oder dass ich wahrscheinlich eine scheußliche Grünfärbung angenommen hatte, aber er sprang zurück und zeigte zu der Tür am anderen Ende des Flurs. Ich rannte zur Damentoilette und in die hinterste Kabine, beugte mich über die Toilette und würgte. Das Lied änderte sich und ich wusste, dass ich bald dran sein würde. Mich mit einer Hand gegen die fleckige Wand stemmend, rang ich um Atem. Als ich fertig war, tat mein Magen weh. Ich stand auf und bemerkte, dass ich nach wie vor den Bügel mit dem Krankenschwesternoutfit in der Hand hielt. Auf keinen Fall konnte ich das anziehen. „Fünf Minuten“, schrie Rocky und hämmerte gegen die Tür. Er hatte mir zwar damit helfen wollen, das sexy Krankenschwesternoutfit anzuziehen, aber anscheinend zog er eine Grenze, wenn es darum ging, mir die Haare zurückzuhalten, während ich mich übergab. Er blieb im Flur. Dafür war ich dankbar. Ich musste hier und aus dieser ganzen Sache rauskommen. Ich hatte mir Geld geliehen, ja. Ich hatte von Anfang an gewusst, dass es wahrscheinlich dumm war, aber ich hatte Schmidt alles zurückgezahlt. Rechtzeitig. Ich hatte Überstunden gearbeitet, um das zu tun. Ich hatte noch nie in meinem Leben Drogen genommen, ich trank nicht einmal. Hatte nie eine Zigarette geraucht. Ich hatte zu viel von diesen Dingen während meiner Zeit in Pflegefamilien gesehen, um zu wissen, was sie den Menschen antaten und hatte schnell gelernt, dass sich niemand sonst um mich kümmern würde. Mein gesamtes Geld ging für meine Rechnungen und die Schule drauf, damit ich meinen Abschluss als Krankenschwester erhalten und der Gehalt-zu-Gehalt Existenz entkommen konnte. Aber Schmidt wollte mir einfach nur übel mitspielen, mich runterziehen. Er wollte zusätzliches Geld verdienen, indem er diejenigen, die sich unglücklicherweise auf ihn eingelassen hatten, aufs Kreuz legte. Ich hatte ihm alles zurückgezahlt. Ich hatte die Nase davon voll, immer ausgenutzt zu werden. Ich würde das nicht zulassen, nicht schon wieder. Ich trat aus der Kabine, sah mich um. Schmutzige mintgrüne Fließen, ein gesprungener Spiegel. Es kamen nicht genug Frauen in einen Stripclub, um eine Renovierung lohnenswert zu machen. Aber anders als im Umkleideraum, gab es hier ein Fenster. Ein kleines, aber es war ein Weg nach draußen. Ich ging zu ihm, fummelte an dem Griff herum, dann blickte ich über meine Schulter. Rocky konnte jeden Moment reinkommen. Er würde es, wie ich wusste, in weniger als fünf Minuten tun, wenn ich nicht rauskam. Ich drehte das abgenutzte Schloss, legte meine Handflächen auf den mittleren Teil des Rahmens und drückte. Es bewegte sich, aber die Farbe war alt, das Holz gedehnt, weshalb meine Bemühungen ein lautes, protestierendes Knarzen auslösten. Ich blickte ein weiteres Mal über meine Schulter, da ich mich fragte, ob Rocky es gehört hatte. Hoffentlich übertönte das laute Dröhnen der Musik das Geräusch. Ein Schwall kalter Luft kam mir aus der kleinen Öffnung, die ich verursacht hatte, entgegen, was mich dazu antrieb, das Ding vollständig zu öffnen. Vier Zentimeter Freiheit und mein Adrenalin pumpte durch mich. Das Fenster war klein, aber wenn ich es öffnen könnte, könnte ich mich durchquetschen. Ich würde es tun, komme, was wolle. Ich drückte und öffnete es irgendwie weiter, dann noch weiter, bis ich hindurchpassen konnte. Ich schlängelte, schob, drückte und quetschte mich durch die Öffnung, wobei ich meine Hände nach vorne streckte, um meinen Kopf zu schützen, als ich einen halben Meter auf den Boden fiel. Ich sah mich um, versuchte, mich zu orientieren. Ich befand mich auf dem Parkplatz. Der Müllcontainer vor mir bedeutete, dass ich auf der nicht sichtbaren Seite war, weg vom Eingang. Es war noch nicht dunkel, vielleicht sieben Uhr oder so. Auch wenn der Parkplatz halb voll war, war niemand in der Nähe. Niemand bemerkte meine Flucht. Ich musste einfach hoffen, dass der Laden zu schäbig war, um Videokameras zu haben, zumindest nicht auf dieser Seite des Gebäudes. Ich stand auf, wischte meine Hände an der Jeans ab, um den Schmutz loszuwerden, dann rannte ich zu meinem Auto. Meine Lederhandtasche hing immer noch quer über meinem Körper. Mit zitternden Fingern kramte ich darin nach den Schlüsseln, während ich zurückschaute, um mich zu vergewissern, dass Rocky mein Verschwinden noch nicht entdeckt hatte. Ich hatte nur eine oder höchstens zwei Minuten. Als ich in meinem Auto saß, betete ich, dass es anspringen würde. Sie hatten mich nicht als Bedrohung eingestuft, da sie wussten, dass sie mich einschüchtern – oder mir wehtun – konnten, wenn ich nicht Nacht um Nacht zurückkommen und strippen würde, bis die verdammte Schuld abbezahlt war. Sie mussten mich nicht gefangen halten, um mich zu ihrer Gefangenen zu machen. Auf keinen verdammten Fall. Ich würde nicht zurückkommen. Niemals. Ich musste von hier verschwinden. Von diesem Parkplatz, aus dieser Stadt. Ich startete meine Schrottkiste und raste vom Parkplatz, wobei ich kaum langsamer wurde, als ich auf die Straße fuhr. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich im Rückspiegel sah, wie Rockys Kopf aus dem offenen Toilettenfenster ragte und seine Augen mörderisch blitzten. Ich konnte nicht nach Hause gehen, nicht einmal, um Klamotten oder das Geld, das ich versteckt hatte, zu holen. Sie wussten, wo ich wohnte und zweifellos würden sie dort als erstes nach mir suchen. Dann würden sie mich packen und zurückbringen, dieses Mal allerdings mit ein bisschen mehr Wut und Aggressivität. Wahrscheinlich würden sie zuerst ein wenig Spaß mit mir haben. Sie hatten mich heute Abend unterschätzt, Gott sei Dank, aber ich wusste, das würde ihnen kein zweites Mal passieren. Am anderen Ende der Stadt beschleunigte ich nochmal, die Gebäude wurden hinter mir kleiner. Ich musste untertauchen. Mich verstecken. Ich wusste genau, wohin ich gehen musste.
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