Herrin oder Tochter

1277 Words
Die Feier erwachte zum Leben – eine Pracht, die fast unwirklich schien, als Lachen, Jubel und Musik von den Palastwänden widerhallten. Die Luft war erfüllt von Macht und Präsenz, doch nichts davon kam ihr gleich. Sie stand am anderen Ende des Saals, mit ihrem Vater, dem König, an ihrer Seite – das Kinn erhoben, die Schultern gerade, von einer ätherischen Anmut umgeben, die alles um sie herum bedeutungslos erscheinen ließ. Sie war unantastbar, wie eine Königin aus einer Legende. Mein Atem stockte, als ich sie wie betäubt ansah. Es ergab keinen Sinn. Chloe war seit Jahren Teil meines Lebens. Immer da, immer schweigend – ein schlichter Schatten am Rand meiner Welt, während ich sie um jemand anderen kreisen ließ. Abgeklärt. Ich hatte sie nie gesehen… wirklich gesehen. Aber jetzt? Jetzt brannte Chloe mit einem Licht, von dem ich meinen Blick nicht abwenden konnte – so sehr, dass ich die Zähne zusammenbiss und die Fäuste ballte. Wie hatte ich nur so blind sein können? Die Blicke der Adligen, die sie anhimmelten, ließen etwas Rohes und Unbekanntes in meiner Brust aufsteigen – Eifersucht, Besessenheit –, ein Gefühl, das ich nicht benennen wollte. Mein Herz machte einen unregelmäßigen Sprung, als ich sah, wie sich einer nach dem anderen ihr näherte, um ihre Gunst zu gewinnen. Sie hat mir das vorenthalten. Der Gedanke war bitter, scharf, nagte an mir, während ich durch den Raum starrte. Sie war immer diese Frau gewesen – eine Königin im Wartestand –, und ich hatte sie ignoriert, sie beiseitegeschoben, als wäre sie bedeutungslos. „Wie fühlt sich das an, Alpha?“ Seths Stimme durchbrach meine Gedanken. Er stand neben mir, mit seinem üblichen Grinsen, aber sein Ton war ruhig, fast wachsam. „Die Frau zu sehen, die du zurückgewiesen hast – wie sie jetzt den ganzen Raum beherrscht?“ Ich sagte nichts. Mein Kiefer spannte sich. Ich hielt meinen Blick auf Chloe gerichtet, die jedem Adligen mit einem höflichen Nicken und einem flüchtigen Lächeln begegnete, das sie aus dem Gleichgewicht brachte. Sie blieb auf Distanz – kaiserlich, unnahbar. Meine Brust brannte. Und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich unsichtbar. Vergessen. Ihr Blick glitt durch den Saal, bis er – endlich – auf mir ruhte. Ich erstarrte, hielt den Atem an. Doch da war keine Wärme, keine Verletzlichkeit, an die ich mich hätte klammern können. Kein Funke jener Frau, die mich einst geliebt hatte. Nur ruhige Distanz, als wäre ich nichts weiter als Luft in ihrer Welt. Sie wandte sich ab, ohne einen zweiten Blick, und ließ mich schweigend zurück. „Das muss wehtun“, murmelte Seth mit einem leisen Lachen. „Du bist es nicht gewohnt, ignoriert zu werden, was?“ „Halt die Klappe“, knurrte ich leise, obwohl die Frustration schwer auf meiner Brust lastete. „Du magst es nicht.“ Er fuhr fort: „Sie mit anderen Männern zu sehen. Zu hören, wie sie über sie reden, als gehöre sie ihnen. Gib es zu.“ „Es steht ihr frei, mit jedem zu reden, den sie will.“ Die Lüge schmeckte bitter. „Oh, nennt man das heutzutage Eifersucht?“ Seth grinste. Ich funkelte ihn an, aber er zuckte nur mit den Schultern. „Wie du willst, Alpha.“ Ein leises Lachen lenkte meine Aufmerksamkeit ab. Serene war an meiner Seite aufgetaucht und legte ihren Arm um meinen. Ihr Parfüm – einst vertraut und verführerisch – wirkte heute Abend abstoßend. „Du bist heute Abend furchtbar still, Dylan“, sagte sie, den Kopf schief gelegt, ihr goldenes Haar fiel über die Schulter. Sie lächelte – aber ich kannte diesen Blick. Ich wusste, dass sie mich beobachtete, wie ich Chloe beobachtete. „Ich bin nur müde“, sagte ich kühl. Serene folgte meinem Blick. Als sie Chloe entdeckte, verzog sie verächtlich den Mund. „Sag nicht, dass du immer noch an sie denkst.“ Ihre Stimme senkte sich zu einem Flüstern – zuckersüß, aber giftig. „Diese Show, die sie da abzieht? Lächerlich. Chloe ist keine königliche Prinzessin, Dylan. Sie ist nichts weiter als die Mätresse des Königs.“ Ihre Worte trafen mich wie ein Schlag in die Magengrube. Ich wandte mich ihr zu. „Wovon redest du?“ „Armes Ding.“ Sie schmollte gespielt. „Du glaubst mir nicht? Chloe ist nicht die echte Prinzessin. Sie ist nur eingesprungen für die, die nicht kommen konnte. Das ist alles nur Theater.“ „Das ist Unsinn“, schnauzte ich, doch mein Blick wanderte wieder zu Chloe am anderen Ende des Saals. Serene zückte ihr Handy. „Ich habe Beweise.“ Sie tippte ein paar Mal, dann hielt sie mir das Display unter die Nase. „Schau. Mein Freund kennt die echte Prinzessin. Siehst du?“ Auf dem Bildschirm waren zwei Frauen zu sehen – die eine mit vom Haar verdecktem Gesicht und einem kunstvollen Armreif, ein königliches Erbstück. Die andere starrte direkt in die Kamera – unverkennbar Serenes angebliche Freundin. „Der Armreif…“ „Das ist das Erbstück der Prinzessin“, sagte Serene mit leiser, selbstgefälliger Stimme. „Die echte Prinzessin trägt ihn immer. Der König brachte Chloe hierher, um das Gesicht zu wahren, als seine Tochter nicht kommen konnte. Glaubst du wirklich, sie“ – sie deutete verächtlich auf Chloe – „könnte jemals wirklich etwas bedeuten? Sie ist nichts, Dylan. Nichts ohne dich.“ Ihre Worte ließen mir die Galle aufsteigen. Ich wandte den Blick zurück zu Chloe, als plötzlich die Stimme des Königs durch den Saal hallte. „Heute Abend gebe ich euch meinen wertvollsten Schatz“, verkündete er und brachte alle Gespräche zum Verstummen. Er drehte sich zu Chloe, und sein Stolz leuchtete in seinen Augen. „Das Licht meines Königreichs und meine größte Freude – meine Tochter Chloe.“ Der Saal brach in Jubel aus. Chloe stand still, als das Licht auf sie fiel. Ihr Lächeln strahlte im goldenen Glanz. Der König hielt ihre Hand, und alle verneigten sich – Respekt und Ehrfurcht erfüllten den Raum. Und ich? Ich konnte nicht atmen. „Tochter?“ murmelte Seth ungläubig neben mir, doch ich hörte ihn kaum. Nein. Nein. Serenes Worte kratzten an mir, flüsterten in die Ritzen meines Stolzes. Und doch… Könnten sie wahr sein? Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Ich ballte die Fäuste, die Nägel gruben sich in die Handflächen, fast bis sie bluteten. Chloe lächelte, als sie die Tanzfläche betrat und einem Alpha die Hand reichte, der eifrig um den ersten Tanz gebeten hatte. Ich sah zu, wie sie sich bewegte – anmutig, strahlend, unberührbar. Weitere Adlige traten an sie heran, drehten sie im Takt der Musik, ihre Hände auf ihrer Taille, ihr Lächeln hell und frei. Ihre Eleganz berührte etwas Tiefes in mir. Und ich hasste es. Ich hasste es, wie sie sie ansahen. Ich hasste es, dass ihr Lachen ohne mich so weich und frei klang. Ich hasste – bei der Göttin, ich hasste alles an diesem Abend. „Sie ist jetzt flüchtig“, murmelte Serene bitter an meiner Seite, ihr Griff um meinen Arm immer noch wie ein Schraubstock. „Aber du glaubst es nicht, oder? Dass sie mehr wert ist als das, was du hattest? Mal sehen, wie weit ihre Lügen sie tragen werden.“ Doch ich hörte ihr nicht mehr zu. Plötzlich hielt Chloe inne. Sie schenkte ihrem Tanzpartner ein schwaches Lächeln, bevor sie durch eine Seitentür in einen dunklen Gang verschwand. Der Drang war instinktiv. Ich dachte nicht nach – ich folgte einfach. „Dylan – was machst du da?“ zischte Serene. Aber ich ignorierte sie. Meine Füße trugen mich vorwärts. Mein Blut rauschte in meinen Ohren, als ich Chloe in die Schatten folgte.
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