Dunkler Saal

1257 Words
Chloes Perspektive In dem Moment, in dem ich in die kühle Dunkelheit des Flurs trat, atmete ich tief aus – und mein Lächeln glitt von mir ab wie eine Maske, die ich nicht länger brauchte. Die große Feier, die zahllosen wirbelnden Tänze, die Flut neugieriger Blicke – all das war anstrengend gewesen. Heute Abend hatte ich die Kunst des mühelosen Charmes gemeistert: Ich lächelte, wenn es nötig war, nickte Bewunderern zu, an die ich mich nicht erinnern wollte. Aber jetzt, für einen einzigen Moment, konnte ich durchatmen. Zumindest dachte ich das. Ein vertrauter Geruch traf mich zuerst – die scharfe Mischung aus Kiefernholz und etwas Dunklerem. Etwas, das einst mir gehört hatte. Eine halbe Sekunde lang erstarrte ich, bevor ich die Kontrolle zurückgewann und den Stoff meines Kleides glättete, während ich wieder zu gehen begann. Das Echo schwerer Schritte folgte mir – lauter mit jedem Schritt. Ich wusste, dass er es war. Der Flur war leer, bis auf uns beide. Trotz der schwachen Laternen, die flackernde Schatten auf die Marmorwände warfen, drehte ich mich nicht um. Diese Genugtuung würde ich ihm nicht gönnen. Doch dann trat er direkt vor mich, versperrte mir mit einer leisen Aggressivität den Weg, die meinen Puls in die Höhe schnellen ließ. Seine hochgewachsene Gestalt ragte bedrohlich auf, die breiten Schultern angespannt, und seine dunklen Augen – voller Gefühle, die ich nicht benennen konnte – hafteten an mir, als wäre ich seine Beute. Einen Herzschlag lang herrschte erstickende Stille. „Dylan“, sagte ich kühl und hob eine Augenbraue, als wäre seine Anwesenheit nichts weiter als eine lästige Unterbrechung. „Kann ich dir irgendwie helfen? Du siehst verloren aus.“ Ich legte den Kopf schief und täuschte unschuldige Neugier vor, obwohl ich praktisch sehen konnte, wie sich die Ader in seinem Kiefer anspannte. „Nein“, sagte er scharf. Seine Stimme war tief und grollte wie ein warnendes Donnergrollen. „Was nicht?“, fragte ich und hob mein Kinn ein wenig höher. Ich hatte zu lange auf diesen Moment gewartet – den Moment, in dem ich unantastbar war und er mich nicht mehr brechen konnte. Sein dunkler Blick glitt über mich hinweg – intensiv, langanhaltend, auf eine Weise, die mich früher erschüttert hätte. Aber jetzt nicht mehr. „Willst du wirklich so tun, als würdest du mich nicht kennen?“, knurrte er und trat näher. Die Besessenheit, die von ihm ausging, war erdrückend, aber ich weigerte mich, ihm zu zeigen, wie mein Herz raste. Ich erwiderte seinen Blick mit einem kleinen, mühelosen Lächeln. „Oh nein“, sagte ich langsam. „Ich erinnere mich jetzt. Alpha Dylan, nicht wahr?“ Ich hielt inne, ließ das Schweigen wirken, bevor ich fortfuhr. „Wie geht es dir nach all der Zeit?“ Seine Augen verfinsterten sich, wie ein Sturm, kurz vor dem Ausbruch. „Hör auf, Chloe“, schnauzte er. Seine Stimme war scharf wie ein Schnitt. „Ich weiß nicht, was für ein Spiel du spielst – was das hier sein soll – aber ich will die Wahrheit.“ „Die Wahrheit?“ Ich verschränkte die Arme locker und verlagerte mein Gewicht. „Du glaubst, du willst die Wahrheit, Dylan, aber ich verspreche dir: Nach allem, was passiert ist, würdest du sie nicht ertragen.“ Ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. Gut., dachte ich. „Geht es dir darum, mich wie einen Idioten dastehen zu lassen?“, presste er hervor, seine Stimme nun härter. „Ist es das? Du marschierst in diesen Palast und paradierst herum wie …“ „Wie was? Wie ein König?“, unterbrach ich ihn sanft und wölbte eine Braue. Ich stieß ein leises, kaltes Lachen aus – unbehelligt, denn diesmal hatte ich die Macht. „Wenn dich die Wahrheit so sehr stört, Dylan, schlage ich vor, du wendest dich an meinen Vater – den König.“ Meine Worte waren eisig, und für einen Moment flackerte etwas in seinem Gesicht – Schock, Verwirrung, vielleicht sogar Bedauern. „Lügen“, spuckte er aus, aber das Wort schien mehr ihm selbst zu gelten – sein eigener Unglaube zerbrach unter dem Gewicht der Wahrheit. „Serene hat mir gesagt …“ „Ah, ja. Serene“, unterbrach ich ihn, meine Stimme triefte vor spöttischer Süße. „Die Quelle all deiner Weisheit, nicht wahr? Soll ich mich geschmeichelt fühlen, dass du dir wieder von ihr deine Gedanken diktieren lässt?“ „Sie hat mir gesagt, dass du …“ „Was?“ Ich schnitt ihm das Wort ab, schärfer als zuvor. Mein Lächeln verblasste, meine Hände ballten sich an den Seiten. „Sag es. Sag das Wort, Dylan. Nenn mich so, wie Serene es tut. Eine Mätresse? Die Hure des Königs? Ist das, was du wirklich von mir glaubst?“ Er wollte etwas sagen, aber der Blick in meinen Augen ließ ihn schneller verstummen, als ich es mir hätte wünschen können. „Das überrascht mich nicht“, sagte ich bitter. „Der Alpha, der mich zurückgewiesen hat. Der mich kaum berührte. Der zuließ, dass sein Rudel mich als unfruchtbar verspottete … der Alpha, der sein Herz einer anderen geschenkt hat. Warum sollte er in mir etwas anderes sehen als Dreck?“ Seine Augen wurden weicher – nur für einen Moment. So flüchtig, dass ich fast glaubte, es mir eingebildet zu haben. Doch dann spannte er den Kiefer wieder an. „Ich habe nie gesagt …“ „Stopp.“ Ich trat einen Schritt vor, nah genug, dass meine Stimme fast zu einem Flüstern wurde. „Lass dir die Mühe ersparen, so zu tun, als würde es dich interessieren, Alpha. Du. Bist. Mir. Egal.“ Ich sprach es langsam, Stück für Stück. Sein Körper spannte sich an, aber das war mir egal. Jedes Wort, das meinen Mund verließ, war eines, das ich seit Jahren sagen wollte. „Einst dachte ich, du würdest den Mond aufhängen“, fuhr ich fort, meine Stimme ruhig – zu ruhig für den Sturm, der in mir tobte. „Ich dachte, du wärst meine Welt. Mein Alpha. Mein Gefährte. Ich habe mich selbst zerstört, um dich zu lieben, um mir einen Platz in deinem Rudel zu verdienen. Und wofür? Um gedemütigt und wie Müll weggeworfen zu werden.“ Er hielt den Atem an – kaum merklich –, aber ich sprach weiter. „Und jetzt sieh dich an“, fügte ich hinzu und lächelte erneut. „Du jagst mich durch den Flur wie ein Geist aus meiner Vergangenheit. Wie traurig.“ Ich wollte an ihm vorbeigehen, doch seine Hand schoss vor und packte mein Handgelenk. Die Berührung schickte einen ungewollten Hitzeschock durch meinen Arm, und ich unterdrückte den Impuls, zusammenzuzucken. „Geh nicht weg von mir“, sagte er, seine Stimme nun leiser – flehend, nicht fordernd. Langsam drehte ich mich um, seine Hand immer noch an meinem Handgelenk. Seine dunklen Augen suchten meine – verzweifelt nach etwas, doch ich wusste nicht, was. Aber ich war nicht mehr das Mädchen, das sich vor ihm beweisen musste. „Lass mich los“, sagte ich leise. Meine Stimme war todernst. Sein Griff lockerte sich, aber er ließ nicht los. „Ist das wirklich alles, was ich für dich bin?“, flüsterte er. „Ein Geist?“ Ich sah ihm fest in die Augen. „Nein. Eine Lektion.“ Schließlich ließ er mich los, und seine Hand fiel schlaff an seine Seite, als hätten meine Worte ihm den Wind aus den Segeln genommen. Ich wandte mich ab, ohne noch einmal zurückzusehen, und ließ ihn in der Dunkelheit zurück.
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