PROLOG

836 Words
PROLOG Gareth Ogden stand am Strand und schaute hinaus auf den Golf von Mexiko. Gerade war Ebbe und der Golf war still –– die Wasser ruhig und die Wellen niedrig. Er konnte einige Möwen im immer dunkler werdenden Himmel erkennen und hörte, wie ihre müden Schreie über die Wellen hallten. Er zog an seiner Zigarette und lächelte bitter während er dachte... Die Möwen klingen beinahe so, als würden auch sie dieses Wetter hassen. Er war sich nicht sicher, wieso er überhaupt aufgebrochen war, um hierher zu kommen. Früher hatte er die Geräusche und Gerüche des Strandes am Abend genossen. Vielleicht war es sein Alter oder schlicht dieses schwüle Wetter, welches es schwer machte, überhaupt irgendetwas zu genießen. Die Sommer wurden immer heißer. Selbst nachdem, so wie jetzt, die Sonne untergegangen war, konnte die Meeresbriese ihm keine erleichternde Abkühlung verschaffen, und die Luftfeuchtigkeit war erstickend. Er rauchte seine Zigarette zu Ende und trat sie mit dem Fuß in den Sand. Dann wandte er sich vom Wasser ab, um sich auf den Weg zurück zu seinem Haus zu machen –– einem verwitterten Gebäude dessen Fenster einen Blick auf die alte Straße und den leeren Strand boten. Während er durch den Sand stapfte, dachte Gareth an die Reparaturen, die der letzte Hurrikan vor ein paar Jahren notwendig gemacht hatte. Die große Veranda vor dem Haus musste komplett erneuert werden sowie Teile der Wandbekleidung und einige Dachziegel. Tatsächlich jedoch hatte er großes Glück gehabt, und die Struktur des Gebäudes selbst hatte keine ernsthaften Schäden davongetragen. Amos Crites, dem die Nachbarhäuser auf beiden Seiten von Gareths Haus gehörten, hatte beinahe alles von Grund auf wiederaufbauen müssen. Dieser gottverdammte Sturm, dachte er sich und schlug nach einigen Moskitos. Die Immobilienwerte waren seither stark gefallen. Er träumte davon, das Haus zu verkaufen und Rushville zu verlassen, jedoch würde niemand genug dafür zahlen wollen. Gareth hatte in dieser Stadt sein gesamtes Leben verbracht, und er hatte wirklich nicht das Gefühl, dass sie es ihm leicht gemacht hatte. Seiner Meinung nach ging es mit Rushville schon eine ganze Weile bergab –– spätestens seitdem sie angefangen hatten, die Autobahn nebenan zu bauen. Er konnte sich noch an die Zeit davor erinnern, als Rushville ein kleines, aber blühendes Städtchen mit viel Sommertourismus gewesen war. Doch diese Tage waren längst vorbei. Gareth schlüpfte durch ein Loch im hölzernen Strandzaun und lief hinunter zur Straße. Als er fühlte, wie die Hitze durch die Sohlen seiner Schuhe drang, schaute er zu seinem Haus hinauf. In den Fenstern des ersten Stocks brannte einladendes Licht... Fast so, als würde dort jemand leben. „Leben“ schien nicht gerade das passende Wort für Gareths eigene einsame Existenz zu sein. Und die Gedanken an fröhlichere Tage –– als seine Frau Kay noch am Leben gewesen war und sie beide ihre Tochter Cathy großzogen –– stimmten ihn nur noch trauriger. Als er den Weg zu seinem Haus entlangging, erspähte Gareth etwas durch die Gittertür –– einen Schatten, der sich im Inneren des Hauses bewegte. Wer konnte das sein? fragte er sich. Er war nicht überrascht, dass sich ein Besucher selbst hineingelassen hatte. Die Eingangstür stand sperrangelweit offen, und die Gittertür war nicht abgeschlossen. Gareths Freunde konnten schließlich immer kommen und gehen wie es ihnen beliebte. „Es ist ein freies Land“, pflegte er ihnen zu sagen. „Wird jedenfalls behauptet.“ Als er die lange, schiefe Treppe zur Veranda emporstieg, dachte Gareth sich, dass es sich bei seinem Besuch um Amos Crites handeln könnte. Vielleicht war Amos vom anderen Ende der Stadt, wo er lebte, hierher gekommen, um nach seinen Strandhäusern zu schauen. Gareth wusste, dass keines der beiden Häuser für den August, einem in dieser Umgebung bekanntermaßen sehr heißen und schwülen Monat, vermietet worden war. Ja, ich wette, er ist es, dachte Gareth sich, als er über die Veranda ging. Amos kam des Öfteren vorbei, um sich über alles Mögliche zu beschweren, und Gareth stimmte mit seiner eigenen Unzufriedenheit gerne in seine Tirade mit ein. Er überlegte, ob er und Amos in dieser Hinsicht einen schlechten Einfluss aufeinander hatten... Aber hey, wozu hat man Freunde? Gareth blieb vor der Eingangstür stehen und schüttelte den Sand aus seinen Sandalen. „Hey, Amos“, rief er. „Nimm dir ein Bier aus dem Kühlschrank.“ Er erwartete, dass ihm Amos mit einem „bereits passiert“ antworten würde. Doch es folgte keine Antwort. Gareth vermutete, dass Amos auf der Suche nach einem Bier bereits hinten in der Küche war. Oder vielleicht war er einfach noch schlechter gelaunt als sonst. Das war für Gareth auch in Ordnung... Gleich und Gleich gesellt sich gern, wie man so schön sagt. Gareth öffnete die Gittertür und ging hinein. „Hey, Amos, wie geht’s?“, rief er. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine blitzschnelle Bewegung. Er drehte sich um und erblickte eine schattenhafte Form, die im Licht der Wohnzimmerlampe eine Silhouette an die Wand warf. Wer auch immer es war, sprang Gareth so schnell an, dass dieser keine Zeit hatte, einen Laut von sich zu geben. Die Figur hob einen Arm, und Gareth sah in ihrer Hand Stahl aufblitzen. Etwas unsagbar Hartes rammte seinen Kopf, und es fühlte sich so an, als würde eine Explosion durch sein Gehirn gehen. Dann wurde es still.
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