GIOVANNIS PERSPEKTIVE
Ich konnte nur zusehen, wie sie glücklich lächelnd miteinander verschwanden. Mein Herz zerbrach in tausend Stücke. Der Junge, für den ich so viele Jahre meines Lebens gesorgt hatte, sprang so leicht in die Arme einer anderen Frau.
Ich wollte umkehren und die Nacht woanders verbringen, doch die Tür flog auf und der Butler trat heraus.
„Kommen Sie herein, Frau Leonardo. Man hat mir befohlen, Sie zu rufen“,sagte er hastig.
Ich war verblüfft. Wer von ihnen hatte eigentlich befohlen, mich hereinzubitten? Ohne weiter zu zögern betrat ich das Haus.
Als ich das Wohnzimmer betrat, sah ich sie in einer geradezu vertrauten Pose: Stephanie lagen die Beine auf seinem Schoß, er massierte ihre Füße, und die beiden unterhielten sich lachend.
Eric saß daneben, aß Äpfel und schaute Zeichentrickfilme. Ein perfektes Bild einer „glücklichen Familie“.
Ich tat so, als hätte ich sie nicht bemerkt, und ging zur Treppe hin.
„Bleib sofort stehen!“, donnerte er.
Ich hielt inne und drehte mich um.
„Wohin zur Hölle gehst du?“ fragte er.
Ich schwieg.
„Also willst du meinen Sohn verhungern lassen? Ich habe gehört, er ernährt sich seit dem Morgen nur von Obst. Geh in die Küche und koch etwas für ihn. Nicht nur für ihn – für uns alle“,befahl er.
Eric ist ein wählerischer Esser, und nur ich durfte sein Essen zubereiten.
Genervt lächelte ich spöttisch und antwortete: „Du könntest ihm auch etwas zu essen besorgen. Es gibt genug Hausangestellte hier.“
„Du weißt, wenn er etwas isst, das nicht von dir zubereitet wurde, wird er krank. Willst du ihn umbringen?“ donnerte er.
„Dann soll deine neue Frau die Rezepte lernen. Die Chefköchin kennt sie alle. Und übrigens, mit dir bin ich fertig. Erwarte bald die Scheidungspapiere an deiner Tür“, sagte ich mit hochgezogener Braue.
Er packte mich am Hals und schnürte mir die Luft ab.
„Ich war wohl zu sanft mit dir“, knurrte er. „Wie kannst du es wagen, mir ins Gesicht Scheidung zu sagen? Wer hat dir erlaubt, mich zu verlassen? Das hier ist für immer.“
Ich stieß seine Hand weg, rang nach Luft und fauchte: „Wer hat gesagt, dass ich für immer mit dir aushalten will? Frag Eric – er zählt schon die Minuten, bis ich gehe.“
„Verschwinde einfach aus unserem Leben! Ich hasse dich! Ich kann es kaum erwarten, bis Papa Tante Stephanie heiratet!“ rief Eric begeistert.
„Nein, Eric, das war zu hart. Du solltest keine Dinge sagen, die deiner Mutter das Herz brechen“,sagte Stephanie scheinheilig.
„Sie ist nicht meine Mutter“,fauchte Eric zurück. „Sie ist böse. Eine Hexe. Eine Mörderin. Geh einfach und komm nie wieder zurück.“
Ich lachte bitter. „Ich wollte ohnehin gehen. Dein Vater soll sie doch endlich heiraten. Er ist ja ohnehin völlig verrückt nach ihr.“
„Eric, geh in dein Zimmer“,sagte Mark ruhig.
Eric rannte die Treppe hinauf, ohne zurückzublicken. Ich zuckte nicht einmal, als Mark näherkam, die Wut von ihm ausgehend wie eine dunkle Wolke.
„Wenn du also so verzweifelt weg willst“, sagte er kalt, „lass mich dir helfen.“
Er drehte sich zu Stephanie, küsste sie auf die Lippen und befahl dann ohne zu blinzeln: „Verpass ihr eine Lektion.“
Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Mich verprügeln?
Ich erinnerte mich daran, dass Stephanie in ihrer Jugend Kampfsport gelernt hatte. Ohne zu zögern trat sie auf mich zu, packte mein Handgelenk, verdrehte es schmerzhaft und trat mich so heftig, dass ich zu Boden stürzte. Mein Kopf schlug gegen den Boden, ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper.
Bevor ich mich erholen konnte, hagelte es Schläge. Ich versuchte, mich zu wehren, doch ich war zu schwach.
Plötzlich flog die Tür auf.
Eine Gruppe Männer stürmte ins Wohnzimmer.
Ich blieb benommen am Boden liegen, während einer von ihnen nach vorne trat.
„Wunderbar! Da bist du ja wirklich, Stephanie. Betrügst mich mit diesem Welpen?“
Seine Stimme war eiskalt. Seine Ausstrahlung unbeschreiblich.
Zum ersten Mal sah ich Stephanie in Panik. Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Es ist nicht, was du denkst, Liebling“, stammelte sie und ging auf ihn zu.
Er stieß sie ohne zu zögern von sich.
Dann wandte er sich Mark zu.
„Du Hurensohn, jetzt bestiehlst du mich also?“ fauchte er und packte Mark am Hals.
„Nein, Don“,stammelte Mark.
Und da begriff ich es – er war es.
Der Mafiaboss.
Zum ersten Mal sah ich Mark vor jemandem zittern.
„Dann erklär mir, was sie in deinem Haus macht – und das in so einem knappen Nachthemd?“ verlangte er.
Aus irgendeinem Grund spürte ich einen seltsamen Funken von Aufregung. Ich versuchte aufzustehen.
Die Augen des Mannes fixierten mich. Er verengte die Lider, musterte mein Gesicht – dann ließ er Mark links liegen und kam direkt auf mich zu, als hätte er etwas Faszinierendes entdeckt.
„Du bist es. Giovanni Marino“,sagte er.
Ich erstarrte, unfähig zu begreifen, woher er meinen Namen kannte.
Doch bevor ich etwas sagen konnte, fügte er hinzu:
„Ich habe dich überall gesucht.“