Kapitel 4

1157 Words
4 Peter Als wir auf einem privaten Flughafen in der Nähe von Matsumoto landen und in einen Hubschrauber steigen, der dort bereits auf uns wartet, schmerzt mein Wangenknochen immer noch von Saras Schlag. Morgen werde ich ein blaues Auge haben – ein Gedanke, den ich jetzt, nachdem der anfängliche Schreck und die Wut verschwunden sind, amüsant finde. Die Schmerzen, die mir Sara zugefügt hat, sind recht leicht – selbst in einem Routinetraining habe ich schon mehr gelitten – aber die Überraschung, dass meine hübsche, kleine Ärztin mich körperlich angegriffen hat, beschäftigt mich. Es war so, als würde man von einem Kätzchen blutig gekratzt werden, einem Kätzchen, das man einfach nur beschützen und streicheln will. Sie ist immer noch wütend auf mich. Das ist ganz deutlich in ihrer steifen Haltung und daran zu erkennen, dass sie weder mit mir spricht noch in meine Richtung schaut, während der Hubschrauber abhebt. Auch wenn es immer noch dunkel ist, sehe ich, wie sie auf den Anblick unten starrt, und ich weiß, dass sie versucht, sich zu merken, wohin wir fliegen. Ich weiß, dass sie zum frühestmöglichen Zeitpunkt versuchen wird, zu entkommen. Anton fliegt den Hubschrauber, und Ilya sitzt hinten bei mir und Sara, während Yan vorne ist. Wir erwarten keine Schwierigkeiten, aber wir sind bewaffnet, also behalte ich Sara sorgfältig im Auge, um sicherzugehen, dass sie nichts Dummes tut, wie zu versuchen, sich eine Waffe von mir oder Ilya zu schnappen. Sie ist in einer Stimmung, in der ich ihr alles zutraue. Unser japanischer Unterschlupf befindet sich in der dünn besiedelten, bergigen Präfektur Nagano an der Spitze eines steilen, stark bewaldeten Berges mit Blick auf einen kleinen See. An einem klaren Tag ist die Aussicht atemberaubend, aber der Hauptgrund, warum ich diese Immobilie erworben habe, ist, dass diese Bergspitze nur auf dem Luftweg zu erreichen ist. Früher gab es einen Feldweg am Westhang – auf diesem Weg hat ein wohlhabender Geschäftsmann aus Tokio sein Sommerhaus dort oben in den neunziger Jahren gebaut –, aber ein Erdbeben löste einen Erdrutsch aus, und der Hang wurde zu einer Klippe, wodurch der Zugang zu dem Grundstück abgeschnitten wurde und sein Wert verfiel. Die Kinder des Geschäftsmannes waren mehr als dankbar, als eine meiner Briefkastenfirmen das Haus letztes Jahr kaufte und sie von der Bezahlung von Steuern für einen Ort befreit wurden, den sie nicht wollten, zumal sie auch nicht die Mittel hatten, ihn regelmäßig zu besuchen. »Also, warum Japan?« Saras Ton ist flach und desinteressiert, während sie aus dem Fenster des Hubschraubers blickt, aber ich weiß, dass sie vor Neugier sterben muss, um das einstündige Schweigen zu brechen und tatsächlich mit mir zu sprechen. Entweder das – oder sie sucht nach Informationen, die ihr bei der Flucht helfen könnten. »Weil es der allerletzte Ort ist, an dem irgendjemand nach uns suchen würde«, antworte ich, weil ich mir denke, dass es nichts schadet, ihr die Wahrheit zu sagen. »Nichts verbindet mich mit dem Land. Russland, Europa, der Nahe Osten, Afrika, Amerika, Thailand, Hong Kong, Philippinen – im Laufe der Zeit bin ich an allen diesen Orten irgendwann auf dem Radar der Behörden aufgetaucht, aber niemals hier.« »Außerdem ist es ein schönes Versteck«, sagt Ilya auf Englisch und spricht damit zum ersten Mal mit Sara. »Viel besser, als sich in irgendeiner Höhle in Dagestan zu verkriechen oder sich in Indien die Eier abzuschwitzen.« Sara wirft ihm einen unleserlichen Blick zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Ausblick widmet. Ich mache ihr keinen Vorwurf daraus. Der Himmel erhellt sich mit den ersten Anzeichen des Sonnenaufgangs, und es ist möglich, die Berghänge und Wälder unten auszumachen. Wenn wir erst einmal unseren Rückzugsort auf dem Gipfel des Berges erreichen, wird sie die volle Wirkung des Ausblicks zu spüren bekommen – und ihr wird klar werden, dass sie alle Hoffnungen auf eine Flucht begraben kann. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass ich Japan ausgesucht habe: die Abgelegenheit dieses speziellen Hauses. Der neue Käfig meines kleinen Vögelchens ist so hübsch wie ausbruchssicher. Wir landen vierzig Minuten später auf einem kleinen Hubschrauberlandeplatz direkt neben dem Haus, und ich beobachte Saras Gesicht, als sie den Anblick unseres neuen Zuhauses aufnimmt – eine umwerfende, moderne Holz-Glas-Konstruktion, die sich nahtlos in die unberührte Natur einfügt, die sie umgibt. »Magst du es?«, frage ich, als ich ihren Blick einfange, während ich ihr aus dem Hubschrauber helfe, aber sie schaut weg und zieht ihre Hand aus meiner, sobald ihre in Socken gehüllten Füße auf dem Boden stehen. »Ist das wichtig? Wenn ich Nein sagen würde, würdest du mich dann zurückbringen?« Sie dreht sich um und beginnt, zum Rand des Hubschrauberlandeplatzes zu gehen, wo der Berg als Klippe zu dem darunterliegenden See abfällt. »Nein, aber wenn du es hier hasst, können wir überlegen, zu einem anderen Versteck zu reisen.« Ich folge ihr, um ihr Handgelenk zu ergreifen, bevor sie zum Rand des Platzes kommt. Ich glaube nicht, dass sie wütend genug ist, um von einer Klippe zu springen, aber ich werde es nicht riskieren. »Wohin? Nach Dagestan oder Indien?« Endlich sieht sie mich an, und ihre Augen sind zu Schlitzen verengt. Auch wenn es bereits später Frühling ist, ist es in dieser Höhe kalt wie im Winter, und der leichte Morgenwind bewegt die braunen gewellten Haare, die ihr Gesicht umgeben, und drückt das zu weite schwarze T-Shirt gegen ihren schlanken Oberkörper. Ich kann spüren, dass sie zittert und wie schlank und zerbrechlich ihr Handgelenk in meinem Griff liegt, aber ihr zartes Kinn ist stur nach vorne geschoben, während sie meinen Blick erwidert. Sie ist so verletzlich, meine Sara, aber gleichzeitig so stark. Ein Überlebenskünstler, wie ich, auch wenn ihr der Vergleich wahrscheinlich nicht gefallen würde. »Dagestan und Indien wären auch zweite Möglichkeiten, ja«, sage ich und lasse sie in meiner Stimme hören, dass mich diese Unterhaltung amüsiert. Sie versucht, gegen mich anzukämpfen, sie will, dass ich bedaure, sie mitgenommen zu haben, aber kein Sarkasmus und kein Schweigen dieser Welt wird das hinbekommen. Ich brauche Sara, wie ich Luft und Wasser brauche, und ich werde es niemals bedauern, sie bei mir zu behalten. Ihr weicher Mund presst sich zusammen, und sie dreht ihren Arm, weil sie versucht, meinen Griff um ihr Handgelenk zu lösen. »Lass mich los«, zischt sie, als ich sie nicht sofort loslasse. »Nimm deine verdammte Hand von mir.« Trotz meiner Entschlossenheit, unberührt zu bleiben, überkommt mich ein Anflug von Wut. Sara hat mich gewählt, wenn auch nicht genau das hier, und ich habe nicht vor, mich von ihr wie ein Aussätziger behandeln zu lassen. Anstatt ihr Handgelenk loszulassen, festige ich meinen Griff und ziehe sie zu mir, weg vom Rand des Hubschrauberlandeplatzes. Als sie weit genug von dem Abhang entfernt ist, beuge ich mich nach unten und hebe sie hoch, wobei ich ihr erschrockenes Protestquieken ignoriere. »Nein«, sage ich grimmig und drücke sie an meine Brust. »Ich werde dich nicht gehen lassen.« Ich ignoriere ihre Versuche, sich aus meinem Griff zu winden, und trage die Frau, die ich liebe, zu unserem neuen Zuhause.
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