Kapitel 2

713 Words
Kapitel Zwei Mama hackt etwas in einer unbekannten Küche, während eine Kinderversion von mir ein Päckchen Manna öffnet. Mein jüngeres Ich scheint etwa fünf Jahre alt zu sein und muss durch Mamas Erinnerungen gefiltert werden. Ich bezweifele, dass ich so bezaubernd war, und ich bin skeptisch gegenüber dieser Unschuld in meinen Augen. Obwohl ich mich an nichts aus der Zeit erinnern kann, als ich jünger als sieben Jahre alt war, habe ich mich sicher nicht so sehr verändert. Ein Teil von mir ist enttäuscht. Meine Traumwandlerkräfte erlauben mir zu sagen, ob ein Traum auf einer Erinnerung beruht, und das ist hier nicht der Fall. Es wäre eine Chance gewesen, etwas von meinen ersten Jahren zu erfahren – eines von Mamas vielen Tabuthemen. Mama beginnt, mit größerer Intensität zu hacken. Etwas hindert mich daran, mich zu räuspern, um sie über meine Anwesenheit zu informieren. So sehr ich mich danach sehne, mit ihr zu sprechen, so sehr lassen mich Neugier und eine gewisse Intuition vorerst beobachten. Ich werde unsichtbar – und das gerade noch rechtzeitig. Das Messer so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß werden, stürzt sich Mama auf mein kleines Ich. Was zum Teufel …? Mamas Gesicht ist eine unerkennbare Maske des Hasses, als sie meinem kleinen Ich ins Herz sticht. Mein Kind selbst schreit vor Schmerz – was das Einzige ist, was mein schockiertes Keuchen überdeckt. Ich schalte den Ton aus und atme tief durch, um mich zu beruhigen. Es ist nur ein Traum. Träume können chaotisch und verrückt sein. Das bedeutet nicht, dass Mama mich umbringen will. Was ich gerade gesehen habe, muss nicht unbedingt eine Manifestation von Mamas Wut über unseren Streit sein. Ein neuer Traum beginnt. Wir sind in unserer Wohnung auf Gomorrha. Mama sieht zu, wie eine Teenager-Version von mir in der Mitte des Raumes steht, mit einem VR-Headset auf dem Kopf. Als ich mich umsehe, bemerke ich etwas Merkwürdiges – einige der Fenster um uns herum sind schwarz. Das erste Mal stieß ich auf das Konzept eines schwarzen Fensters in den Notizen von Leal, dem ermordeten Traumwandler vom New Yorker Rat, und ich erfuhr mehr über sie in den Träumen von Nina, der Telekinetikerin, die als eine Art Gedächtnisspeicher für besagten Traumwandler fungierte. Nina selbst hatte eine unangenehme Erinnerung, die sie von Leal hinter einem schwarzen Fenster hatte wegschließen lassen. Ist das bei Mama der Fall? Sind diese Fenster Ereignisse, die sie, oder jemand anderes, aus ihrem Gedächtnis gelöscht hat? Es könnte erklären, warum sie keine Traumaschleife hatte. Was auch immer sie beunruhigt, könnte hinter den schwarzen Fenstern versteckt sein. Bevor ich diese Gedankenkette weiterverfolgen kann, erscheint der gleiche hasserfüllte Gesichtsausdruck auf Mamas Gesicht, und sie greift das ahnungslose Teenager-Ich wie ein NFL-Linebacker an und schubst es mit aller Kraft. Mein jugendliches Ich fliegt gegen eines der normalen Fenster. Mit den Armen wedelnd, kracht es durch das Glas und stürzt weit unten auf den Bürgersteig. Was. Zum. Teufel? Der Traum ändert sich wieder. Diese Version von mir sieht aus, als wäre ich etwa zehn, und sie schläft. Mama steht mit demselben beängstigenden Gesichtsausdruck über ihr. »Bitte sag mir, dass du nur in ihr traumwandeln möchtest«, flüstere ich, aber sie kann mich nicht hören. Meine Stimme ist immer noch deaktiviert. Mama schnappt sich ein Kissen, legt es über das Gesicht des schlafenden Ichs und erstickt es. Verdammter Mist. Ich gebe mir selbst die Fähigkeit, wieder Geräusche zu machen und sichtbar zu werden. »Mama«, sage ich ganz fest. »Ich glaube, du steckst in einem höllischen Alptraum fest.« Zumindest hoffe ich, dass das passiert. Sie kann es auf keinen Fall genießen, mich immer und immer wieder so zu töten. Ich war keine so eine nervige Tochter. Verwirrung ersetzt den Hass auf Mamas Gesicht. »Du träumst«, sage ich schnell. »Dies …« »Du traumwandelst in mir!« Mama sieht wütend genug aus, um diesmal die echte Version von mir zu töten. Ich ziehe mich instinktiv zurück. »Du verstehst nicht. Ich hatte keine Wahl.« Sie zeigt mit ihrer Hand auf mich, und ein Blitz schießt aus ihren Fingern in meinen Kopf. Ich fühle mich, als hätte mich jemand in eine Zitrone verwandelt, mich trockengepresst und das übrig gebliebene Fleisch und die Schale zu einem Smoothie verrührt. Ich öffne den Mund, um zu schreien, aber es ist zu spät. Ich bin nicht mehr in der Traumwelt.
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