Kapitel Drei
Meine Schulter pocht, als ich meinen Kopf herumwirbele und zwölf Meter hohe quadratische Kuppeldecken, gelblich-blaue Marmorböden, rötlich-grüne Wände und eine schwebende Ansammlung glühender geometrischer Formen sehe, die in der wachen Welt unmöglich sind, genauso wie das sich überlappende Penrose-Dreieck. Ich atme tief ein und rieche den süßlich-aromatischen Duft von Manna, meinem gomorrhischen Lieblingsessen.
Natürlich. Ich bin in der Hauptlobby meines Palastes. Das heißt, dies ist die Traumwelt, und die Monster, die ich gerade besiegt habe, waren Teil dessen, was ich den Subtraum nenne. Verdammter Mist. Wieder einmal war mir nicht klar, was passierte, trotz so unrealistischer Dinge wie auf dem Wasser zu laufen und dass Pom sich in eine Peitsche verwandelte.
Ein stechender Schmerz bringt mich zurück in die Gegenwart. Diese Schulterverletzung verhält sich allzu realistisch, was bedeutet, dass ich nur ein paar Liter Blutverlust davon entfernt bin, in der Traumwelt zu sterben und damit verrückt zu werden.
Na gut. Jetzt, da ich weiß, wo ich bin, kann ich die Dinge so ändern, wie ich sie für richtig halte.
Ich schwebe aus meinem Traumkörper heraus, als hätte ich eine Nahtoderfahrung. Der Schmerz verschwindet augenblicklich. Ich betrachte den Körper unter mir und zucke im Geiste zusammen. Diese Schulter ist übel. Der Rest von mir sieht allerdings für einen Traum ziemlich langweilig aus.
Mit kaum einer Anstrengung heile ich meine Schulter. Dann – weil ich es kann – mache ich meinen Körper größer und dünner und tausche meine praktische Cargohose und mein Tarnhemd gegen eine coole Lederjacke, enge schwarze Jeans und kniehohe Stiefel. Ein guter Start. Ich ersetze meine krausen schwarzen Locken durch den Look, den ich bevorzuge – heiße Feuerflammen, die meinen Kopf aussehen lassen, als hätte ein Feuervogel ein Nest darauf gebaut. Da ich in Eile bin, muss das genügen.
Ich springe zurück in meinen Körper. Sobald ich das tue, erscheint Pom vor mir – etwas, was er immer dann tut, wenn ich traumwandele und er sich im REM-Schlaf befindet, was fast immer der Fall ist.
Hier in der Traumwelt ist er kein flauschiges Armband. Wie ich nimmt er eine Traumform an.
Pom ist so groß wie eine große Eule, hat riesige lavendelfarbene Augen, hochbewegliche dreieckige Ohren und flauschiges Fell, das je nach seinen Gefühlen die Farbe wechselt. Er ist so niedlich, dass es verboten sein sollte, und andere angeblich niedliche Wesen wie Otter, Pandas und Koalas im Vergleich dazu geradezu hässlich wirken.
»Du hast dein Gesicht nicht verändert«, sagt er mit seinem Singsang-Falsett. »Wie kommt das?«
»Magst du mein Gesicht nicht?« Ich verwuschele sein Fell, bis es blau wird, und gehe dann zu meinem Turm der Schlafenden.
Er schwebt hoch und fliegt wie eine Selfie-Drohne hinter mir her. »Dein Gesicht ist okay. Zumindest scheinen die Erdenmenschen es zu mögen.«
»Wenn du dich auf das Anstarren beziehst, denke ich, dass sie nur versuchen, meine Rasse und ethnische Zugehörigkeit herauszufinden.«
Er fliegt vor mich. »Was ist das?«
»Es ist, wie wenn wir herauszufinden versuchen, was für ein Cogniti jemand auf Gomorrha ist. Die Erdenmenschen verwenden diese Bezeichnungen auf ähnliche Weise, wobei einige Gruppen andere Gruppen nicht mögen – wie Nekromanten und Vampire.«
»Oh, aber das ist ein einfaches Ratespiel.« Seine Ohren wackeln vor Aufregung. »Orks sind grün, Elfen sind dünn und weidenartig, Zwerge haben Bärte, Riesen sind …«
»Richtig.« Ich beschleunige meine Schritte, als ich die Treppe erreiche. Auch wenn die Zeit in der Traumwelt schneller vergeht oder es sich zumindest so anfühlt, gibt es immer noch einen guten Grund, sich zu beeilen. Was soll’s – ich fliege, anstatt mich mit jedem Schritt zu quälen. »Aber es ist nicht immer so einfach«, fahre ich fort, als Pom mich einholt. »Werwölfe sehen nicht anders aus als ich, es sei denn, sie verwandeln sich.«
Sein pelziges Gesicht nimmt einen weisen Blick an. »Was schätzen also die meisten Menschen bei deiner Masse und fetischen Zugehörigkeit?«
»Es ist Rasse und ethnische Zugehörigkeit. Und ihre Vermutungen sind weitreichend: Lateinamerika, Afrika, der Nahe Osten … Manche denken, ich bin nur eine gebräunte Person europäischer Abstammung mit einer Dauerwelle – ich schätze, es liegt an der winzigen Nase und den grauen Augen.«
»Ich mag deine Augen.« Pom huscht wieder vor mich und schaut mich völlig ernst an. Dieser völlige Mangel an sozialer Kompetenz ist der Grund, warum ich ihn normalerweise darum bitte, unsichtbar zu sein, wenn ich mit meinen Klienten arbeite.
Er muss in meinen Gedanken sein, denn die Spitzen seiner Ohren werden rot.
»Danke für das Kompliment«, sage ich, um ihn zu besänftigen. Aus einer Laune heraus ändere ich meine Augen in Flammenrot, passend zu meinem Haar.
Poms Ohren werden wieder blau. »Die Menschen sind dumm. Du kommst offensichtlich nicht von einem dieser Orte.«
»Richtig.« Ich nehme eine Abkürzung, indem ich einen Teil der Wand vor mir verdunsten lasse. »Die gute Nachricht ist, dass mein Aussehen mir einen Vorteil verschafft. Wir Cogniti tendieren dazu, uns in den Teilen der von Menschen besetzten Welten niederzulassen, in denen wir der einheimischen Bevölkerung am ähnlichsten sind – was bedeutet, wenn ich mich jemals dazu entschließen sollte, dauerhaft auf die Erde zu ziehen, könnte ich mir einen Großteil des Planeten aussuchen.«
Poms Fell verdunkelt sich. »Warum sollten wir jemals an einem so rückständigen Ort leben wollen?«
Er hat recht. Das Abwassersystem auf der Erde ist immer noch wasserbasiert, die VR-Technologie steckt noch in den Kinderschuhen und die Autos fahren noch nicht allein.
»Gomorrha ist in jeder Hinsicht besser.« Er liest ganz klar wieder meine Gedanken.
»Ich muss in der Nähe von Menschen sein, um meine Kräfte zu erhalten«, erinnere ich ihn zum x-ten Mal. »Außerdem kann ich dank meines tollen Rufs bei den Cogniti auf der Erde hoch bezahlte Jobs bekommen.«
»Illegale und risikoreiche Jobs«, wirft er mürrisch ein.
Ich unterdrücke die Sorgen, die mich wegen der Vollstrecker in der wachen Welt wie eine Welle überrollen wollen. Warum Pom wegen etwas stressen, bei dem er nicht helfen kann? Stattdessen lege ich ein hohes Tempo vor und erreiche den Turm der Schlafenden.
Der Turm ist eine zylindrische Glasstruktur, die aus mehreren Ebenen mit gläsernen Nischen besteht, von denen jede ein einzelnes Möbelstück besitzt: ein Bett. Wenn ich einmal erfolgreich eine Traumverbindung mit jemandem hergestellt habe, taucht er in einem dieser Betten auf, wenn er träumt. Dank dieses Turms muss ich die unangenehme Berührung von Menschen in der realen Welt nur einmal durchmachen.
Bernard, der neueste Schlafende in meiner Sammlung, hat den Platz eingenommen, der frei wurde, als ich meinen letzten echten Patienten von seinem Bettnässerproblem geheilt und unsere Verbindung unterbrochen habe.
Als wir uns Bernards Nische nähern, wird der Rest von Pom schwarz, und ich fluche vor mich hin.
Dunkle Miniaturwolken fliegen über Bernards Kopf.
»Na klar«, murmele ich. »Warum dachte ich auch, dass es diesmal einfach sein würde?«
Diese Wolken deuten auf eine Traumaschleife hin – eine Art von Traum, der auf traumatischen Ereignissen in Bernards Leben basiert. Traumaschleifen plagen Schlafende regelmäßig, und sie sind so mächtig, dass es mir leichter fällt, mir den Traum einfach nur anzusehen, als etwas in ihm zu verändern. Die gute Nachricht für den fraglichen Schlafenden ist, dass meine bloße Anwesenheit während dieser speziellen Träume normalerweise den Wiederholungszyklus unterbricht, was dem Schlafenden hilft, sich in der wachen Welt besser zu fühlen.
Dies könnte Bernards Glückstag sein. Aber dafür weniger meiner. Ich bin in Eile.
Pom fliegt zu den Wolken hinauf und schnuppert an ihnen, woraufhin ein Miniaturblitz in seine Nase einschlägt. »Autsch! Das ist ein schlechter.«
Ich lasse seinen Schmerz verschwinden und hülle die Wolken in eine schützende Glasblase. »Wahrscheinlich tiefsitzendes Trauma.«
»Dann werde ich mich dir nicht anschließen.« Poms Fell sieht aus wie Kohle. »Das letzte Mal, als wir mit so jemandem gearbeitet haben, hat es meinen Schlaf gestört.«
Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, schwebt er hinter mich, als ob Bernard die Hand ausstrecken und ihn aus der Luft schnappen könnte, um ihn zu zwingen, den Alptraum mitanzusehen.
»Etwas hat deinen Schlaf gestört?« Ich drehe mich um und grinse ihn an. »Hast du dreiundzwanzig Stunden und vierundvierzig Minuten geschlafen, statt der vollen dreiundzwanzig Stunden und fünfundvierzig Minuten?«
Er schnaubt. »Wenigstens bin ich nicht auf Vampirblut, wie manch andere.«
»Nun, technisch gesehen bist du es, angesichts unserer symbiotischen Beziehung. Es wirkt nur nicht bei dir, aber …«
»Wie auch immer. Ich gehe nicht hinein, egal wie sehr du bettelst.« Pom hebt sein Kinn an und verschwindet wie eine Grinsekatze. Statt seines Lächelns ist es sein pelziges Kinn, das in der Luft schwebt, bis er ganz weg ist.
»Ich brauche dich dort sowieso nicht«, sage ich in die leere Luft. »Ich bin in Eile, und das geht schneller ohne dein Gejammer.«
Er schluckt den Köder nicht.
Ich bin fast bei Bernard, als ich mir auf die Stirn schlage. Beinahe hätte ich vergessen, mich wieder unsichtbar zu machen.
Ich mache mich unsicht-, -hör- und -riechbar und berühre Bernard am Unterarm, so wie ich es in der wachen Welt getan habe, nur dass ich mir keine Sorgen um eine Kontamination mache.
Und dann, anders als in der Realität, wo ich in einer schlafähnlichen Trance stehe, verschwinde ich in der Traumwelt aus dem Palast und tauche in Bernards Traumaschleife wieder auf.