Chapter 1
Mirabellas Sicht
Es war ein ganz normaler Dienstagabend, dachte ich zumindest. Die Luft war kühl, und ich fragte mich, wie sie sich wohl beim Laufen auf meiner Haut anfühlen würde. Ich summte vor mich hin, band mir die Haare zurück und machte mich bereit, das Haus zu verlassen. Es fühlte sich an wie jeder andere Tag, langweilig und vorhersehbar.
Ich ahnte nicht, dass sich mein Leben für immer ändern würde.
Ich ging die Treppe herunter und ging zur Tür.
„Mirabella“, rief die Stimme meines Vaters aus seinem Büro. „Komm her.“ Es war keine Bitte, nie eine.
Verdammt. –
Ich seufzte, die Anspannung in meinen Schultern stieg, noch bevor ich seine Tür erreichte. Matteo De Luca rief mich nur, wenn es wichtig war, und „wichtig“ war in seiner Welt selten etwas Gutes. Trotzdem hielt ich den Kopf hoch, stieß die Tür auf und betrat das Zimmer.
Mein Vater saß hinter seinem massiven Eichenschreibtisch, einem Ort, an dem er alles kontrollierte. Er sah mich nicht sofort an, sondern überflog mit seiner typischen ruhigen Art ein Dokument.
„Setzen Sie sich“, sagte er ohne Umschweife.
Ich sank ihm gegenüber in den Stuhl, meine Nerven waren schon völlig angespannt. „Worum geht es hier?“, fragte ich vorsichtig, obwohl ich tief in meinem Inneren wusste, dass ich das nicht hören wollte.
„Sie heiraten“, sagte er. Er sagte es so beiläufig, als wollte er mir sagen, der Himmel sei blau.
Einen Moment lang dachte ich, ich hätte mich verhört. „Ich bin was?“
„Für Alessandro Rossi.“ Schließlich blickte er auf. „Die Vorbereitungen sind bereits getroffen.“
Ich wartete darauf, dass er mir sagte, dass er einen Scherz gemacht hatte, obwohl das, so wie ich ihn kannte, zu weit ging. Mein Vater machte keine Witze, nicht einmal, wenn es ums Leben ging. Als er nicht lächelte oder seine Worte widerlegte, wurde mir der Mund trocken, ich bekam plötzlich keine Luft mehr.
Alessandro Rossi.
Ausgerechnet den skrupellosesten Mann, dem du deine Tochter verkaufen wolltest, mit einem Ruf, der dem eines gefährlichen Terroristen in nichts nachstand.
„Das … das ist doch ein Witz, oder?“, brachte ich mit brüchiger Stimme hervor, die mir die Ruhe nahm, die ich eigentlich bewahren wollte.
„Ich mache keine Witze über Geschäfte, Mirabella“, sagte er ruhig und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Geschäfte? Bin ich das alles für dich? Ein Verhandlungsobjekt?“
Er zuckte nicht zusammen. Im Gegenteil, sie schienen an ihm abzuperlen wie Wasser auf Stein. „Diese Ehe wird die Zukunft unserer Familie sichern. Das ist es, was getan werden muss.“
„Du meinst, es ist das, was du tun musst“, gab ich zurück. „Ich bin deine Tochter, nicht eines deiner Geschäfte.“
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, die ruhige Fassade brach gerade genug, dass ich die Verachtung darunter erkennen konnte. „Du stehst in meiner Schuld, Mirabella“, sagte er. „Muss ich dich an die Nacht erinnern, in der du zu mir kamst und mich um Hilfe anflehtest? An die Opfer, die ich für dich gebracht habe?“
Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Jene Nacht. Die Erinnerung war wie eine Wunde, die ich zu vergessen versuchte, doch seine Worte rissen sie wieder auf. Ich ballte die Fäuste, meine Nägel gruben sich in meine Handflächen.
„Das war anders“, flüsterte ich, doch der Kampfgeist wich aus meiner Stimme. Mit nur einem Satz hatte er mich unterworfen.
„Nein, war es nicht“, bellte er. „Du hast mich damals gebraucht, und ich bin für dich da gewesen. Jetzt bist du an der Reihe, für mich da zu sein.“
Seine Worte waren grausam, aber sie waren wahr, und ich hasste es, wie viel Macht sie noch immer über mich hatten. Mein Vater hatte immer gewusst, wie er mich manipulieren, wie er Schuld wie eine Waffe einsetzen konnte, und jetzt hat er mir die Kugel in die Haut geschossen.
„Das war’s also?“, sagte ich verbittert. „Willst du mich einfach an den Meistbietenden verkaufen?“
„Sei nicht so dramatisch“, sagte er abweisend. „Alessandro passt gut zu mir. Er ist mächtig, reich und mehr als in der Lage, für dich zu sorgen.“
Ein bitteres Lachen entfuhr mir, der Klang klang so hohl, wie ich mich fühlte. „Für mich sorgen? Hörst du dich überhaupt? Ich brauche keinen Mann, der für mich sorgt, ich brauche meine Freiheit!“
„Genug“, blaffte er und schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. Das Geräusch hallte durch den Raum und brachte mich augenblicklich zum Schweigen.
Wir starrten uns an und warteten darauf, dass der andere zusammenbrach. Schließlich lehnte er sich mit harter Miene zurück. „Es geht nicht darum, was du willst, Mirabella. Es geht um das Beste für die Familie. Du wirst tun, was man dir sagt.“
Ich wollte schreien, brüllen, ihn anfahren. Aber ich wusste, es würde nichts ändern. Matteo De Luca war kein Mann, der sich von Gefühlen beeinflussen ließ. Er fand sie lästig.
„Was ist mit Liebe?“, fragte ich leise. „Spielt das überhaupt keine Rolle?“
Seine Lippen verzogen sich zu einem schwachen Grinsen, aber es lag keine Wärme darin. „Liebe ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können. Denk daran.“
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, aber ich weigerte mich, sie fallen zu lassen. Nicht hier. Nicht vor ihm. Er mochte es nicht, wenn wir Schwäche zeigten. „Du hast dich schon entschieden“, sagte ich.
„Ja“, bestätigte er. „Die Verlobungsfeier ist in einer Woche. Dann lernst du ihn kennen.“
Ich stand abrupt auf, mein Stuhl schabte über den Boden. Meine Brust war eng, mein Atem flach, während ich versuchte, die Fassung zu bewahren. „Ich hoffe, diese Partnerschaft lohnt sich“, sagte ich mit kalter Stimme. „Denn du hast gerade deine Tochter an ein Monster verkauft.“
Sein Blick blieb unverwandt. „Du wirst mir eines Tages danken.“
Ich antwortete nicht. Ich konnte nicht. Meine Zukunft war ein Kompromissd.
Es war zu viel für mich, also drehte ich mich um und verließ den Raum. Meine Beine fühlten sich an wie Blei.
Sobald ich außer Sichtweite war, flossen die Tränen, die ich zurückgehalten hatte, über mich. Ich lehnte mich an die Wand, mein Körper zitterte, während mich leise Schluchzer durchfuhren.
So sollte mein Leben nicht sein. Ich hatte so lange versucht, dem Schatten meiner Familie zu entkommen und mir ein eigenes Leben aufzubauen. Aber das Schicksal oder mein Vater schienen andere Pläne zu haben.
Ich wischte mir die Tränen weg und holte tief und zitternd Luft. Ich konnte nicht zulassen, dass er mich so sah. Ich konnte nicht zulassen, dass mich irgendjemand so sah.
Wenn dies mein Schicksal war, dann würde ich mich ihm zu meinen Bedingungen stellen. Aber so sehr ich auch versuchte, meinen Mut zusammenzunehmen, ich hatte immer noch Angst, denn der Mann, den er als meinen Ehemann wollte, war ein Monster, vor dem sich die ganze Welt fürchtete.
Mein Leben gehörte nicht mehr mir. Und es gab kein Entkommen.