KAPITEL ELF
Irinas Sicht
„Lass mich los!“, schrie ich, Tränen strömten über mein Gesicht.
Alexeis Faust umklammerte mein Handgelenk fester, seine Nägel gruben sich in meine Haut und ließen Blut wie ein Armband fließen.
Ich hatte panische Angst.
Mein Herz raste, als ich zurück auf die bereits zerstörte Tür blickte.
Dmitri wäre untröstlich.
Er würde sich Sorgen machen.
„Wohin bringst du mich?“, schrie ich, als er mich die Treppe hinunterzerrte.
Er drehte sich zu mir um, und es schmerzte, Dmitris Gesicht in seinem zu sehen. Seine grünen Augen glänzten vor Wut.
„Du trägst mein verdammtes Kind“, sagte er mit kalter Stimme. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
Ich sah ihn an und bemerkte, dass er keine Wunde hatte.
„Du solltest vermisst sein“, sagte ich. „Dmitri hat dich gesucht.“
Er lachte und verstärkte seinen Griff, als wir mich durch die Flure zerrten. Wir gingen an Dmitris Schlafzimmer vorbei, und mein Herz brach.
Würde ich ihn jemals wiedersehen?
„Er ist zu langsam.“ Seine Stimme war tödlich.
„Du bist ein Monster!“, rief ich. „Ich würde dir niemals verzeihen, wenn ihm etwas zustößt.“
„Du solltest dir Sorgen um dich selbst machen, Frau“, sagte er. „Du bist schwanger.“
Wut kochte in mir hoch.
„Ich würde lieber sterben, als dein Kind zu bekommen“, sagte ich.
„Das werden wir ja sehen. Jetzt sei still.“ Er krallte seine Nägel tiefer in meine Haut.
Ich schrie vor Schmerz.
Tränen strömten unaufhaltsam über meine Wangen. Dmitri würde mir niemals wehtun. Er würde mich niemals zum Weinen bringen.
Die Angst vor dem, was mich in den Händen dieses Monsters erwartete, nagte an mir.
„Lass mich, bitte.“ Ich flehte.
Wir erreichten die Garage, seine Wachen warteten schon.
„Sorgt dafür, dass sie es bequem hat“, sagte er und übergab mich ihnen.
Sofort stülpten sie mir einen Sack über den Kopf, und es wurde stockdunkel.
Sie fesselten mir die Hände auf dem Rücken und ignorierten meine Schreie. Ich wurde ins Auto gestoßen und hörte den Motor aufheulen.
Das war’s.
Das war das Ende meines Lebens. Ein Leben fern von Dmitri. Dem Mann, den ich liebe.
Das Auto raste durch die Nacht, der Motor heulte wie ein Tier.
Der grobe Stoffsack über meinem Kopf raubte mir den Atem, und der Geruch meiner eigenen Angst war erdrückend.
Meine Handgelenke schmerzten von den engen Seilen.
„Bitte“, flehte ich, der Sack dämpfte meine Stimme. „Wohin bringt ihr mich?“
Vom Sitz neben mir stieß Alexei ein leises, kaltes Lachen aus. Es war ein herzloser Laut, so ganz anders als Dimitris. „Irgendwo wird dein geliebter Dima dich nie finden.“
„Er wird mich finden“, sagte ich mit einer Hoffnung, die ich nicht wirklich spürte.
„Soll er es doch versuchen“, erwiderte Alexei mit verächtlicher Stimme.
Ich schwieg. Mit diesem Mistkerl zu reden, war reine Zeitverschwendung.
Mein Hals brannte vor Durst, aber ich schluckte ständig, damit er nicht zuklebte.
Die Fahrt schien endlos. Es fühlte sich an, als wären Tage vergangen. Wir wechselten mehrmals das Auto, doch der Vorgang verlief stets schnell und effizient. Sie brachten mich von einem Fahrzeug zum anderen, aber der Sack blieb auf meinem Kopf. Ich verlor jedes Zeitgefühl und jede Orientierung.
Alles, was ich hörte, war das Dröhnen der Motoren, der Geruch von Ledersitzen und die beklemmende Präsenz des Mannes, der mich entführt hatte.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, hielt das Auto an. Der Motor verstummte, und ein neues Geräusch erfüllte die Luft: das rhythmische Rauschen der Wellen.
Die Autotür öffnete sich. Starke Hände zogen mich heraus. Der salzige, frische Duft des Meeres schlug mir entgegen.
Wohin hatten sie mich gebracht?
Der Sack wurde mir endlich vom Kopf gerissen.
Ich blinzelte, meine Augen gewöhnten sich an das helle Tageslicht. Ich sah mich um und bemerkte, dass wir in einer einsamen Bucht waren.
Vor mir stand eine moderne, strahlend weiße Villa mit scharfen Kanten und viel Glas. Sie war direkt am Rand einer Klippe gebaut. Und dahinter, bis zum Horizont reichend, erstreckte sich ein riesiges, endloses Gewässer. Es war wunderschön und furchteinflößend zugleich.
Es gab kein Entkommen.
Alexei stand neben mir und beobachtete meine Reaktion. „Wunderschön, nicht wahr? Das Schwarze Meer. Es hat die Gabe, Probleme … verschwinden zu lassen.“
Er ging auf die Villa zu. „Denk nicht mal daran zu fliehen“, rief er mir über die Schulter zu, ohne sich umzudrehen. „Wir sind weit weg von der Zivilisation. Und das Meer ist kalt und gierig.“
Ein Wächter hob mich sofort hoch, bevor ich schreien konnte. Er ging auf die Villa zu und ignorierte meine schwachen Proteste und Tritte. Meine Gegenwehr war zwecklos. Er trug mich durch die elegante, minimalistische Villa in ein geräumiges Schlafzimmer. Es war luxuriös eingerichtet, mit einem großen Bett und einem Balkon mit Blick aufs Meer. Doch es fühlte sich an wie das schönste Gefängnis der Welt. Es war leer, weil Dimitri nicht da war.
Der Wächter ging und schloss die Tür hinter sich ab. Ich war allein.
Ich sah mich im Zimmer um und war schockiert über das, was ich sah.
Alexei hatte dieses Zimmer vor meiner Ankunft vorbereitet.
Der Kleiderschrank war gefüllt mit Kleidung und allem, was eine Frau brauchen könnte. Oder ich brauchen könnte.
Ich zog die schlichten Kleider an, die schon für mich bereitlagen. Später brachte eine Frau ein Tablett mit Essen. Ich wollte nicht essen, doch meine Hand wanderte zu meinem Bauch. Für das Baby. Ich aß alles auf, das Essen schmeckte wie Asche.
Die Nacht brach herein, und das Rauschen der Wellen war ein ständiges, einsames Tosen. Ich schlüpfte in das seidige Nachthemd, das auf dem Bett lag. Es war leicht durchsichtig, und ich spürte einen Anflug von Scham. War das Alexeis Werk?
Ich kroch in das große, kalte Bett und betete, der Schlaf möge mich aus diesem Albtraum befreien.
Ich muss eingenickt sein, denn ein plötzliches Klopfen an der Tür riss mich aus dem Schlaf.
Mein Herz raste.
„Dmitri?“, flüsterte ich und setzte mich auf. Hatte Dmitri mich schon gefunden?
Die Tür öffnete sich, bevor ich aufstehen konnte. Und im Türrahmen, vom Licht des Flurs umrahmt, stand Alexei.
Er war halbnackt und trug nur eine tiefsitzende Schlafhose. Sein Oberkörper war frei und gab den Blick auf die definierten Muskeln seiner Brust und seines Bauches frei, die Dimitris so ähnlich und mir doch so fremd waren. Seine grünen Augen musterten den Raum und blieben an mir hängen.
Instinktiv umfassten meine Hände meine Brust. Mein Körper zitterte.
Was wollte er hier?
Angst stieg mir in die Brust.
Er sagte kein Wort. Er kam einfach herein, streifte meine Schulter mit seinen und ging direkt zum Bett.
Mir blieb der Mund offen stehen.
„Was machst du da?“, flüsterte ich, meine Stimme zitterte vor Angst.
Er zog die Decke auf der anderen Seite zurück. „Ich schlafe hier“, sagte er beiläufig, als wäre es das Normalste der Welt. Er legte sich ins Bett, die Matratze gab unter seinem Gewicht nach, und ließ sich in die Kissen sinken.
Er lag neben mir. In meinem Bett. Der Mann, der mein Albtraum war, lag nur wenige Zentimeter von mir entfernt.
Ich sprang aus dem Bett, stellte mich auf die andere Seite, mein ganzer Körper zitterte vor Angst, Hass und Ekel.
„Nein. Geh raus.“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Er drehte den Kopf auf dem Kissen, ein langsames, wütend machendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Das ist mein Haus, mein Zimmer. Und du bist mein Gast. Ich schlafe, wo ich will.“
„Ich bin nicht dein Gast, ich bin deine Gefangene!“, schrie ich und umarmte mich selbst.
Er lächelte, sein Blick wanderte über meinen Körper, der sich im Mondlicht durch das dünne Nachthemd abzeichnete.
„Geh zurück ins Bett. Du brauchst deine Ruhe.“ Seine Stimme wurde leiser, verlor ihren lässigen Ton und wurde zu einem Befehl. „Ich muss es dir nicht noch einmal sagen.“
Ich stand da, wie gelähmt vor Entsetzen und Wut, und starrte das Monster in Dimitris Haut an, das nun mein Bett besetzte.